Raumnahme im Südwesten

von Sebastian Lipp
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019

#Allgäu

Antifa Magazin der rechte rand
Schrebergarten Buxach-Hart bei Memmingen im beschaulichen Allgäu
© Sebastian Lipp, allgaeu-rechtsaussen

Bei strahlendem Sonnenschein und über 20 Grad war am diesjährigen Karsamstag einiges los im Schrebergarten Buxach-Hart bei Memmingen im beschaulichen Allgäu: Bis in die frühen Abendstunden sah man hier Familien mit ihren Kindern, Rentner*innen und andere Kleingärtner*innen das Wochenende genießen. Doch dann änderte sich die Szenerie. Als sich der Großteil der Pächter*innen bereits aus ihren Parzellen zurückgezogen und auch den Parkplatz geräumt hatten, begann die Anreise eines ganz anderen Publikums.

Hitler-Verehrung im Schrebergarten
Die mit Szenecodes für »Adolf Hitler« und »Heil Hitler« gespickten Kennzeichen der neu eintreffenden Fahrzeuge verwiesen auf die NS-Verehrung ihrer Halter*innen. Die meisten von ihnen passierten die Kleingartenanlage. Das Ziel der Neonazis: Die ehemalige Gartenschänke, die »Voice of Anger« (VoA) gekauft und zum Neonazi-Clubheim gemacht hatte.

Seit ihrer Gründung 2002 versucht die größte Skinhead-»Kameradschaft« in Bayern ein eigenes Clubhaus für ihre Aktiven und Sympathisant*innen zu etablieren – bisher konnten sie keines halten. Bis Ende 2011 nutzten sie ein Gebäude in Tannheim im baden-württembergischen Landkreis Biberach und bis Mai 2012 vorübergehend eines in Weitnau im Landkreis Oberallgäu. Oft trafen sich die Skinheads daher unter Vorwänden wie Geburtstags- und Verlobungsfeiern in fremden Lokalitäten.
Das sollte sich zum 11. Februar 2016 ändern. Damals schloss Boris Gehrig mit der bisherigen Eigentümerin einen Kaufvertrag. Eine Woche später wurde der VoA-Anhänger im Grundbuch vorgemerkt, am Folgetag erteilte die Stadt Memmingen ihre Zustimmung zum Eigentümerwechsel. Markus Wolf beantragte eine Schanklizenz für das neue Neonazi-Lokal. Das blieb nicht unbemerkt. Nazigegner*innen machten am 7. Juli 2016 mit einer Kundgebung an der Immobilie darauf aufmerksam, dass nun Neonazis die ehemalige Gartenschänke betreiben wollten. Die Stadt widerrief ihre wegen einer entsprechenden Grundbucheintragung notwendige Zustimmung, unterlag aber im Juni 2017 in letzter Instanz am Bundesgerichtshof der Klage von Boris Gehrig. In der Zwischenzeit hatte die ehemalige Gartenschänke gebrannt.

Das Problem sind nicht Nazis, sondern ihre Gegner*innen
Der Wiederaufbau des Clubhauses warf die Neonazis um weitere anderthalb Jahre zurück. Erst Anfang diesen Jahres kam es dort wieder zu nennenswerten Aktivitäten. Damit verfügt VoA erstmals seit Jahren über ein eigenes Clubhaus – und die Neonazi-Skins dürfen sich wohlfühlen in ihrer neuen Nachbarschaft. Die Kleingärtner*innen nehmen nicht sie, sondern den Protest gegen die Nazis als Problem wahr. Die Sicherheitsbehörden lassen die Neonazis gewähren, bei Veranstaltungen ist oftmals nicht einmal Polizei vor Ort.

Wie etwa am Karsamstag, als das Clubhaus zum »Führergeburtstag« über 40 Gäste anzog. Als die Neonazis an diesem Tag bemerkten, dass sich Journalist*innen für ihre Veranstaltung interessierten, versuchte einer ihrer Anhänger, deren Arbeit zu behindern. Die Skinheads setzten einen Mann in Clubjacke zur Observation des Parkplatzes ein und begannen in der Umgebung zu patrouillieren. Später trat eine der Patrouillen nach dem Auto eines Reporters.
Die über den Termin informierte Polizei indes ließ sich nicht blicken. Als rund einen Monat später eine antifaschistische Demonstration durch das nahe Memmingen zog, errichteten die Beamten jedoch Kontrollstellen im Umfeld des Neonazi-Clubhauses und kontrollierten sämtliche Fahrzeuge auf der Durchfahrt.

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Anders erging es VoA im Sommer 2017, als sie versuchten, im Bereich der Verwaltungsgemeinschaft Memmingerberg ein konspiratives Konzert zu organisieren. Die bayerischen Behörden bekamen Wind davon und verboten die Veranstaltung. Den Versuch, dennoch ein Festzelt aufzubauen, stoppte die Polizei noch am Tag der Veranstaltung.

Aufbau eigener Infrastruktur
Dennoch fand das Konzert am 14. Juli 2018 statt. Die Neonazis verlegten es kurzerhand nach Stockbauren bei Aichstetten im benachbarten Landkreis Ravensburg jenseits der bayerischen Grenze ins württembergische Allgäu. Spontan sicherte sich VoA Zugriff auf das Gehöft eines Sympathisanten dort, verlegte Technik und Personal und leitete bis zu 200 Konzertbesucher*innen um.
Nur etwa ein halbes Jahr zuvor konnte VoA am 7. Oktober 2017 in einem nur wenige Kilometer entfernten Anwesen mit rund 250 Gästen ihr 15-jähriges Jubiläum feiern. In optimaler Lage unweit eines Autobahnkreuzes konnte sich VoA in Talacker ein ganzes Gebäude-Ensemble sichern. Wenige Tage vor dem Konzert ließ sich der VoA-Anhänger Thomas Brzezicha hier ins Grundbuch Bad Wurzach eintragen. Trotz der guten Anbindung liegt das ehemals landwirtschaftliche Anwesen abgelegen zwischen Wäldern und Wiesen.

Darüber hinaus verfügt die Allgäuer Neonazi-Szene über eine ganze Reihe weiterer Immobilien, darunter etwa ein Landwirtschaftsbetrieb mit Hofladen, eine Biogasanlage, Produktions-, Lager- und Verkaufsstätten von Oldschool Records und – bis vor Kurzem – eine hippe Eventlocation.

Die Publikation »Voice of Anger und der rechte Untergrund im Allgäu«, 100 Seiten, 5 Euro, kann über bestellung@allgaeu-rechtsaussen.de bezogen werden.