Wir müssen reden. Über Tom Buhrow.
von Stephan Anpalagan
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020
#Shitstorm
Die radikale Rechte machte mobil gegen ein satirisches Lied des WDR. Der Sender knickte vor der Kritik ein – nicht das erste Mal, dass ein rechter Shitstorm gegen öffentlich-rechtliche Sender Erfolg hatte. Ein Skandal.
Die gesamte Debatte um #Omagate, #Umweltsau und #Nazisau ist verstörend, ermüdend, zermürbend und im Wesentlichen völlig bescheuert. Und nein, es ist noch nicht alles gesagt. Es ist bei Weitem noch nicht alles gesagt. Nachdem sich Tom Buhrow, Intendant des WDR und seit dem 1. Januar 2020 ARD-Vorsitzender, erst heldenhaft und mit viel Rückgrat von dem Satire-Lied eines Kinderchors distanziert hat, bekräftigte er anschließend seine Kritik mit der Frage, was wohl gewesen wäre, wenn die Kinder anstelle von »Oma« von »Ali« gesungen hätten. Bei dem bisherigen Diskursverlauf sind wir wohl nur noch wenige Tage davon entfernt, dass Tom Buhrow gegenüber der BILD erklärt, der Kinderchor sei nur ein »Vogelschiss« in über 1.000 Jahren erfolgreicher ARD-Geschichte gewesen.
Gehorsam
Das Traurige an diesem Oma-Ali-Rechtfertigungsunfall ist leider: Er stimmt nicht einmal. Gerade der öffentliche Rundfunk war in der Vergangenheit beeindruckend konsequent, rechte Grenzüberschreitungen zu verteidigen und linke Meinungsäußerungen zu bedauern und zu löschen. Einige Beispiele: Als während eines Interviews mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ein Kameramann mit einer Jacke der Punkband Slime zu sehen war, reagierte das ZDF umgehend auf die Kritik der AfD und bedauerte öffentlich, dass dieser Aufdruck zu sehen gewesen war. Als während einer Folge der Serie Polizeiruf 110 an der Bürowand der politisch linksliberalen Filmfigur ein »FCK AfD«-Aufkleber zu sehen war, reagierte das NDR Fernsehen umgehend auf die Kritik der AfD, sprach von einem Versehen und retuschierte den Aufkleber für weitere Ausstrahlungen weg. Als während der WDR-Sendung live nach neun ein Kaffee-Experte mit dem T-Shirt-Aufdruck »Barista, Barista! Antifascista!« zu sehen war, reagierte der WDR umgehend auf die Kritik der extrem rechten und AfD-nahen Organisation »Ein Prozent« und retuschierte das T-Shirt für weitere Ausstrahlungen weg. Es dauerte nicht lange, bis dem WDR auffiel, dass der T-Shirt-Spruch satirisch gemeint und völlig unpolitisch war, so dass die Verantwortlichen ein zweites Mal ihren Fehler bedauern und das T-Shirt wieder in die Mediathek hinein retuschieren mussten. Und als während der Übertragung eines AfD-Parteitags durch den Nachrichtensender Phoenix ein Gerätekoffer mit den Worten »Say no to racism«, »Schöner Leben ohne rechten Hass« oder »Bunt statt braun« zu sehen war, reagierte der Sender umgehend auf die Kritik der AfD und bedauerte, dass dieser Aufdruck zu sehen war. Was genau an einem Aufkleber zu bedauern ist, der Rassismus und Hass verurteilt, konnten die Verantwortlichen allerdings nicht konkret benennen.
ABO
Das Antifa Magazin
alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.
Starkmachen für »Kontroverses«
Ende Dezember 2019 schrieb ich in einem Kommentar auf Facebook, »Asylkritiker« und »besorgte Bürger« hätten einen besonders kurzen Draht in die Chefredaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender. Dabei soll nicht unterschlagen werden, wie exklusiv er auch ist. Es ist nämlich bei weitem nicht so, dass die Verantwortlichen des öffentlichen Rundfunks auf jede Art der Kritik mit Einsicht, Bedauern und Löschung reagieren. Einige Beispiele: Als Frank Plasberg mit Uwe Junge einen Politiker der AfD einlud, kritisierte sogar der Rundfunkrat, dem rechtsradikalen Studiogast sei zu viel Zeit eingeräumt worden. Tom Buhrow hingegen stellte sich hinter Plasberg und verteidigte die Einladung. Als Plasberg dann in seiner Sendung »Hart aber Fair« eine Gesprächsrunde mit »Heimat Deutschland – nur für Deutsche oder offen für alle?« betitelte, verteidigte der WDR seinen Moderator: »Die Diskussion zeigt, wie kontrovers das Thema ‹Heimat› wahrgenommen wird. Genau diese Diskussion wollen wir mit unseren Gästen in der Sendung führen und abbilden.« Als der Kabarettist Uwe Steimle mit Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Rechtspopulismus von sich reden machte und mit einem »Kraft durch Freunde«-T-Shirt für ein Photo posierte, verteidigte der MDR ihn mit den Worten »Uwe Steimle ist Kabarettist und Satiriker. In den Sendungen, die der MDR mit ihm als freiem Mitarbeiter produziert, achten wir darauf, dass seine Satire auch als solche erkennbar ist«. Als der Kabarettist Dieter Nuhr über mehrere Sendungen hinweg die 16-jährige Greta Thunberg beleidigte und für den möglichen Ausbruch eines Dritten Weltkrieges verantwortlich machte, verteidigte das rbb Fernsehen den Kabarettisten: »Satire ist aus unserer Sicht nicht zuletzt dann relevant, wenn sie aneckt, Widerspruch auslöst und polarisiert. Dieter Nuhr buhlt nicht um Zustimmung und hält deshalb, ebenso wie sein Sender, Widerspruch aus.«
Parallelwelt Buhrow
Gerade diese unerträglich überhebliche Selbstbeschreibung, wonach Satire anecken und polarisieren solle und öffentlich-rechtliche Sender nicht um Zustimmung buhlen, sondern Widerspruch aushalten würden, erscheint angesichts des Duckmäusertums in diesem Fall wie eine eigene Form der Satire. Was glaubt Tom Buhrow eigentlich, welches Bild er als Intendant vermittelt, wenn er ausgerechnet in einer Zuschauer*innensendung anruft, um vom Krankenbett seines Vaters aus in den Telefonhörer zu tröten, sein Papa sei nun wirklich keine Umweltsau, weil er sein Leben lang hart gearbeitet habe? Angesichts der Tatsache, dass das Lied von Omas und nicht von Opas handelt, Tom Buhrows Vater hoffentlich nicht Tom Buhrows Großvater ist, man selbstverständlich sein ganzes Leben lang hart arbeiten und trotzdem die Umwelt verwüsten kann, ist man erstaunt, wie ein Mann mit einer derartigen Sprach- und Lesekompetenz es an die Spitze des WDR geschafft hat. Immerhin hat es nur wenige hunderte Nazis gebraucht, die vor den Privatwohnungen und Redaktionsbüros der WDR-Journalisten aufmarschierten, bis sich Tom Buhrow dazu aufgerafft hat, ein einminütiges Video auf Twitter hochzuladen, wo er sich ernsthaft noch einmal von dem Video distanziert, in einem lauwarmen Halbsatz seine Mitarbeiter in Schutz nimmt und anschließend 27 von 60 Sekunden darüber lamentiert, »was eigentlich mit unserem Land los ist, dass ein missglücktes Video zu Morddrohungen führt?« Ähm ja…
Nun muss man Tom Buhrow zugute halten, dass ihn die Angriffe auf seine Journalist*innen scheinbar ernsthaft schockieren und erschüttern. Das wiederum macht es eigentlich nur noch alles schlimmer, weil man sich fragen muss, auf welchem Planeten der Journalist Tom Buhrow die vergangenen 20 Jahre verbracht hat. Orchestrierte Angriffe von Neonazis und Rechtsradikalen auf Journalist*innen sind seit Jahrzehnten an der Tagesordnung und leider trauriger Alltag für alle, die ins Visier der Nazis geraten. Einige Beispiele: Im Jahr 2006 berichtet Andrea Röpke für die Bundeszentrale für politische Bildung beispielhaft davon, wie sie bei ihrer Arbeit von Neonazis bedroht und verprügelt wird. Im Jahr 2012 häufen sich die rassistischen Kommentare, Zuschriften und Leserbriefe an Journalist*innen mit Migrationshintergrund derart, dass Mely Kiyak, Yassin Musharbash, Deniz Yücel, Özlem Topçu, Hasnain Kazim und Özlem Gezer beschließen, mit einer »Hate Poetry« auf Tour zu gehen und die Leser*innenbriefe einem Publikum vorzulesen. Im Jahr 2018 entkommen zwei Journalisten schwer verletzt einem Neonazi-Angriff mit Schraubenschlüsseln und Messern, als sie die Vorbereitungen einer Nazidemo dokumentieren. Der Angriff hätte tödlich enden können. Und dann sind da noch die Morddrohungen gegen Journalist*innen wie Georg Restle, Dunja Hayali und Anja Reschke, welche die Bedrohungslage durch den rechten Mob seit Jahren wie ein Hintergrundrauschen ertragen. Oder das weiße Pulver, das man Journalist*innen des WDR zuschickte, die sich schwerpunktmäßig mit Rechtsextremismus befassen. All diese Kolleg*innen sind auf den Schutz und die Unterstützung ihres Arbeitgebers angewiesen, allen voran der Chefredakteur*innen und Intendant*innen. Wenn allerdings der Eindruck entsteht, die Senderverantwortlichen knickten beim leisesten Hauch von rechts ein wie Strohhalme, wenn der zukünftige ARD-Chef in zwei Tagen Mediensturm kein vernünftiges Wort der Rückendeckung herausbekommt und wenn der WDR immer und immer wieder betonen muss, dieser oder jene Mitarbeiter*in arbeite »nur« frei für den Sender, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seinen Grundfesten mehr als morsch. Und das wäre schlecht für die Demokratie und letztlich für uns alle. Ich hoffe, dass noch nicht alles gesagt und das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Die Wahrheit hingegen stirbt immer zuerst.