»Befreite Zonen« und »Burgen im Feindesland«
von Kai Budler
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019
#Rückzugsräume
Ein Rückblick auf den Kauf und die Nutzung von Immobilien durch die extreme Rechte in den vergangenen 30 Jahren zeigt: die Siedlungspolitik der Neonazis hat sich ausdifferenziert und ist mit den Jahren immer vielschichtiger geworden.
Der 2009 verstorbene Neonazi Jürgen Rieger aus Hamburg hatte schon Ende der 1970er Jahre den Wert von eigenen Immobilien für die extrem rechte Szene erkannt. Über Vereine wie den »Freundeskreis Filmkunst« oder die »Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e. V.« kaufte der Rechtsanwalt 1978 in Hetendorf bei Celle ein 13.000 Quadratmeter großes Gelände für damals 120.000 DM. Der Preis war ein Zehntel der Summe, für welche die Sozialorganisation »Lobetalarbeit« das Grundstück in den 1960er Jahren an das Bundesvermögensamt verkauft hatte. Unter den Fittichen seiner zwei Träger- und Fördervereine wurde »Hetendorf 13« nach dem Kauf rasch zum bundesweit wichtigsten Treffpunkt und zur Schulungsstätte der extrem rechten Szene.
»Hetendorf 13« – Knotenpunkt im rechten Netz
In Hetendorf trafen und vernetzten sich ungestört unter anderem Riegers »Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft«, die »Wiking Jugend« (WJ), »Nationalistische Front« (NF), »Freiheitliche Arbeiter Partei« (FAP), die von Christian Worch geführte »Nationale Liste« (NL), der »Bund der heimattreuen Jugend«, Wehrsportgruppen und viele andere mehr. Seit 1991 fand auf dem Gelände jährlich die »Hetendorfer Tagungswoche« mit mehr als 200 Neonazis statt. Auch die Enteignung des Geländes nach dem Verbot der Trägervereine 1998 konnte Riegers Obsession für Immobilien nicht stoppen. Neben einem Campingplatz, den er bis 1993 in Kollmar bei Elmshorn betrieb und der immer wieder zu einem Treffpunkt für Neonazis wurde, unterhielten seine Vereine längst mehrere Häuser in Norddeutschland.
1999 kam für rund vier Millionen Mark ein Gebäudekomplex mit fünf Kinosälen, Ladenpassagen und Mietwohnungen in der Innenstadt von Hameln hinzu. Zugute kamen Rieger dabei erhebliche Geldsummen und Grundstücke, die ihm von zahlreichen Altnazis vermacht worden waren. Als Geschäftsführer der »Wilhelm-Tietjen-Stiftung Fertilisation Limited« kaufte Rieger 2003 das Schützenhaus im thüringischen Pößneck für 360.000 Euro. Im folgenden Jahr ging der Heisenhof im niedersächsischen Dörverden in den Besitz der Stiftung über. Auch im Ausland verfügte der Anwalt über Eigentum: Schon 1995 hatte er im schwedischen Sveneby für 2,2 Millionen DM ein 650 Hektar großes Landgut gekauft, um ein »germanisches Landkollektiv« für Mitglieder der »nordisch-blonden Rasse« »unbeeinflußt durch Umerziehung und Überfremdung« zu gründen, wie es in einer Zeitungsanzeige hieß. Obwohl Rieger von der Europäischen Union für ökologisches Wirtschaften und artgerechte Tierhaltung Zuschüsse in Höhe von 300.000 DM erhielt, scheiterte das Projekt, 2003 brannte ein Teil des Gutshofes aus.
Neonazis als Hausbesetzer
Während der spätere NPD-Funktionär Rieger auch durch öffentlich angekündigte Scheinkäufe in das Licht der Öffentlichkeit rückte, hatten schon andere Neonazi-Gruppierungen den Wert eigener Räumlichkeiten für sich entdeckt. Dazu gehörte auch ein Haus in Berlin-Lichtenberg, das Neonazis der »Nationalen Alternative« (NA) im Frühjahr 1990 besetzt hatten. Als Ausweichprojekt bot ihnen die Kommunale Wohnungsverwaltung ein Haus in der Weitlingstraße an, zu dem später zwei weitere Häuser hinzukamen. Sie wurden der Ausgangspunkt für brutale Überfälle auf alternative Wohnprojekte, Migrant*innen und Linke. Die NA baute in der Weitlingstraße Kontakte zu nahezu allen damals relevanten extrem rechten Gruppen auf, betrieb Wehrsportübungen und plante Terroranschläge. Das intern als »Stabsquartier« bezeichnete Haus beinhaltete Schulungszentrum, Kaserne und Freizeitstätte und war für die Neonazis ein öffentliches Sinnbild von »nationaler Lebensart und Willen«.
In Westdeutschland hatte die als Kaderpartei gegründete »Nationalistische Front« (NF) um Meinolf Schönborn bereits Mitte der 1980er Jahre in einem sozialdemokratisch geprägten Viertel in Bielefeld ein Haus gekauft, um es als bundesweites »Aktionszentrum« auszubauen. In dem Gebäude in der Bleichstraße fanden NF-Bundestreffen, Schulungen und spektrenübergreifende Treffen von Neonazis statt. Außerdem residierte dort der von Schönborn gegründete »Klartext-Verlag«, der bundesweit einer der ersten rechten Musikverlage war und die NF mitfinanzierte. Das zur Festung ausgebaute Haus diente als Ausgangspunkt für Überfälle auf Migrant*innen und vermeintlich Andersdenkende.
Nach drei Jahren zog die NF in den knapp 30 km entfernten Detmolder Ortsteil Pivitsheide und richtete dort in einer ehemaligen Gaststätte ein »Schulungsheim« ein, wo auch Schönborns Privatwohnung war; das dazugehörige große Waldgelände war optimal für Wehrsportübungen und Sonnenwendfeiern der Neonazis. Später wurde das Haus in Pivitsheide, in dem auch das NF-Gründungsmitglied Steffen Hupka verkehrt hatte, verkauft. Er plädierte 1999 in der NPD-Zeitung »Deutsche Stimme« für eigene Immobilien als »Mittel zum Zweck«, um »befreite Zonen« als »materielle Basis unseres Kampfes« zu schaffen. Ein ganzes Netzwerk vieler solcher Immobilien sei die zentrale Aufgabe des «gesamten nationalen Widerstandes«.
Neonazis auf dem Land
Hupka beließ es nicht bei Überlegungen und erwarb zwei Jahre später für 100.000 DM das Schloss Trebnitz im sachsen-anhaltischen Salzlandkreis. Die Rede war von einem »nationalen Schulungszentrum Mitteldeutschland« mit 2.000 Quadratmetern Wohnfläche und einem mehr als dreimal so großen Grundstück. Doch der Plan ging schief und Hupka versuchte seit 2005 das Schloss wieder abzustoßen. Im Rahmen einer Zwangsversteigerung erwarben schließlich die NPD-Funktionäre Axel Schunk und Thomas Wulff 2010 das Anwesen, doch fünf Jahre später stand es erneut zum Verkauf. Hupkas damaliger Kauf war in dieser Zeit nur einer von mehreren Versuchen von Neonazis, mit der Schaffung von Infrastruktur in ländlichen Regionen vor allem auf dem Gebiet der ehemaligen DDR um die Akzeptanz der örtlichen Bevölkerung zu werben. Im sächsischen Gränitz ersteigerte der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Günter Deckert im Juli 2001 einen Gasthof. In Scharbow in Mecklenburg-Vorpommern organisierte ein ehemaliger Aktivist der neonazistischen »Sauerländer Aktionsfront« in einem DDR-Bau Sonnenwendfeiern und Wettkämpfe und nur 20 km entfernt betrieb ein Bremer Neonazi einen Ökobauernhof. Auch der niedersächsische Neonazi und Kameradschaftsführer Thorsten Heise wechselte seinen Wohnort und zog in ein großzügiges Herrenhaus in Fretterode im thüringischen Landkreis Eichsfeld, das er für umgerechnet knapp 179.000 Euro erworben hatte.
Zwölf Jahre nach seinem Umzug resümierte Heise: »Jedes Haus, jede Wohnung, in dem sich die nationale Opposition treffen kann, ist eine Burg im Feindesland. (…) Wenn jeder BRD-Bürger eines Tages den netten NPD-Mann in seiner Nachbarschaft hat, können die Medien behaupten, was sie wollen, wir werden trotzdem Erfolg haben.« Mit seiner Vorgehensweise ist Heise ein gutes Beispiel für die Versuche, sich nicht abzuschotten und wie in Hetendorf zu provozieren, sondern sich mit einer Verbürgerlichungsstrategie vor allem in ländlichen Regionen als »normale« Mitbürger*innen zu geben. »Wir wirken in die Bevölkerung hinein«, prahlte Wulff, doch auch ihm war kein Erfolg bei der praktischen Umsetzung beschieden, wie neben dem Schloss Trebnitz auch ein von ihm 2000 erworbenes Anwesen im Landkreis Boizenburg zeigte. Auch Wulff unterschätzte den hohen Aufwand für die Renovierung bei knappen Finanzen und musste aufgeben.
Die Städte vom Land her erobern
Trotz der Aufgabe einzelner Objekte existieren heute zahlreiche Immobilien im Besitz der extremen Rechten oder mit leichtem Zugriff darauf. Auch die teilweise Vermischung der extrem rechten Szene mit Motorradclubs erleichtert es Neonazis, Clubhäuser für ihre Zwecke nutzen zu können. Andere Objekte wurden über Strohmänner und -frauen erworben und ausgebaut. So kaufte beispielsweise 2012 der extrem rechte Verein »Gedächtnisstätte e. V.« vom Landesbetrieb Thüringer Liegenschaftsmanagement eine großzügige Tagungsstätte im thüringischen Guthmannshausen. Von den verantwortlichen Stellen hieß es, es habe keine Anhaltspunkte für einen »rechtsextremen Hintergrund« gegeben. In Thüringen liegt auch Eisenach, wo die NPD im September 2014 den Erwerb einer eigenen Immobilie bekannt gab, die als »nationales Zentrum« ausgebaut werden solle. Gekauft hatte das zweigeschossige Gebäude mit einer Fläche von 240 qm der NPD-Funktionär Jan Z., der vorher noch nicht in Thüringen aufgefallen war. Seitdem finden dort unter anderem Treffen, Konzerte und Feste statt.
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Eine andere Art der Graswurzelarbeit betreiben die völkischen Siedler*innen und Anhänger*innen der rassistischen »Anastasia« Bewegung. Jenseits der großen Städte erschaffen sie mit praktischen »Raumergreifungsstrategien« und Immobilienkäufen Siedlungsprojekte, um eine völkische Gemeinschaft zu etablieren, die von einem autarken, nationalen Wirtschaftsnetzwerk flankiert wird. Allein die seit spätestens 2014 in Deutschland auftretende »Anastasia«-Bewegung verfügt über bundesweit mindestens 17 »Anastasia«-Familienlandsitze in ländlichen Regionen. Zugute kommt ihnen dabei die demographische Entwicklung in den strukturschwachen Regionen wie in dem 240 Einwohner*innen zählenden Grabow in Brandenburg. Der dortige Ortsvorsteher ist glücklich über den Zuzug von »Anastasia«-Anhänger*innen, sagte er dem Fernsehmagazin »Kontraste«. Hier brauchen diese nicht mehr um Sympathie zu werben, der Ortsvorsteher freut sich auch so über ihre Unterstützung bei Dorffesten.
Insgesamt ist die Immobilien-Politik von Neonazis und Rassist*innen höchst heterogen. Die rechten Häuser sind mittlerweile meist nur noch in ländlichen Regionen zu finden, in westdeutschen Städten sind sie die Ausnahme geworden. Anders sieht es in Ostdeutschland aus: Besonders in Mecklenburg-Vorpommern bieten Städte wie Anklam und Wismar der extrem rechten Szene ein ungestörtes Treiben in den eigenen vier Wänden. Dort sind sie in einigen Fällen bereits Teil eines Netzwerks der rechten Infrastruktur. Neue Möglichkeiten bieten die Räumlichkeiten der »Alternative für Deutschland« (AfD), über welche die Partei mit ihren Erfolgen bei Landes-, Bundes- und Europawahlen bundesweit verfügt und die sie nutzt: Am 11. Mai 2019 lud die AfD-Fraktion im Bundestag zur »1. Konferenz der Freien Medien« in die Räumlichkeiten des Parlaments.