Räume besitzen

von Felix M. Steiner
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019

#Strategie

Antifa Magazin der rechte rand
Wahlplakat »Nazikiez« in Dortmund Dorstfeld – der Partei »Die Rechte« © Nordstadtblogger.de

In den vergangenen Jahrzehnten war die Nutzung von Immobilien eines der wichtigsten Themen für die rechte Szene selbst, wurde öffentlich diskutiert und spielte eine bedeutende Rolle bei der Recherche zur extremen Rechten. Nachdem das Thema in den beginnenden 2000er-Jahren noch eine erhöhte Aufmerksamkeit erfahren hatte, findet ein Immobilienerwerb durch Neonazis mittlerweile oft nur noch regional Beachtung. Es scheint eine Gewöhnung eingetreten zu sein, dass extrem rechte Strukturen auf hunderte Immobilien in der Bundesrepublik zurückgreifen können. Die Szene hat sich beim Kauf in den vergangenen Jahren weiter professionalisiert, kennt die juristischen Möglichkeiten der Städte und Gemeinden, Käufe zu verhindern und ist darauf vorbereitet. Die Bedeutung von Immobilien für die Szene ist enorm. Schon vor weit mehr als einem Jahrzehnt sagte eine damalige zentrale Führungsfigur der Neonaziszene, Steffen Hupka, in einem Interview: »Das wichtigste für jede Revolution ist ein Netzwerk von Kaderstrukturen, verbunden mit einer entsprechenden Logistik, zum Beispiel Immobilien (…) und Geldern.« Hier zeigt sich gut, dass eigene Räume nicht erst in den vergangenen Jahren eine wichtige Säule extrem rechter Strategien waren. Bei der Betrachtung »rechter Immobilien« gab es immer wieder Diskussionen, was damit genau gemeint ist. Die Sicherheitsbehörden haben ihre Definition in den letzten Jahren teilweise denen zivilgesellschaftlicher Organisationen angepasst. Die Folge war eine deutlich erhöhte Zahl erfasster Objekte. Wenn man sich also mit extrem rechten Immobilien befasst, ist eine zentrale Frage die nach den Kriterien der Einstufung. Die Nutzung ist vielfältig: Es gibt Parteiimmobilien, wie die NPD-Objekte »Haus Montag« in Pirna, das »Flieder Volkshaus« in Eisenach oder das Büro der Partei »Der III. Weg« in Plauen. Auch für die »Reichsbürger«-Szene sind Immobilien eine wichtige Grundlage für etwaige Reichsgründungen. Bekanntestes Beispiel ist sicher Peter Fitzeks Krankenhausgelände in Wittenberg. Aber auch völkische Siedler*innen verfügen im ländlichen Raum über Gebäude, die zwar auch als Wohnraum dienen, aber in regelmäßigen Abständen für interne Veranstaltungen genutzt werden. In dieser nur kursorischen Aufzählung dürfen auch die zahlreichen Häuser extrem rechter Burschenschaften nicht fehlen. Und nicht zuletzt gibt es zudem noch die Kneipe, in der sich regelmäßig Kameradschaften treffen, um Liederabende durchzuführen oder ihre Aktionen zu planen. Einige dieser Immobilien sind im Besitz extrem rechter Personen oder Organisationen, andere stehen der Szene schlichtweg offen. Die Besitzverhältnisse sind also kein ausreichendes Kriterium, eine Immobilie einzuordnen. Vielmehr kommt es auf die Art der Nutzung an. Wenn also Gebäude oder auch Wiesen – wie bei Konzerten – regelmäßig für Veranstaltungen durch die extrem rechten Szene bespielt werden und damit ein Mehrwert für die extreme Rechte entsteht, sind diese Gebäude als »rechte Immobilien« zu zählen. So fallen – in Besitz oder zur Miete – rein als Wohnraum dienende Objekte weg. Bei der Zählung spielt keine Rolle, ob sich die Nutzung an die Öffentlichkeit richtet oder nach innen bedeutsam ist. Ein Tonstudio in einem privaten Wohnhaus beispielsweise dürfte vergleichsweise wenige Besucher, aber eine enorme Bedeutung für die internationale RechtsRock-Szene haben. So lassen sich die verschiedenen Arten von Objekten gut erfassen, egal ob Verlage oder Tonstudios dort ihren Sitz haben, ob Zeltlager, Konzerte, Stammtische stattfinden oder interne Planungstreffen hier durchgeführt werden. Auch die Wohnung des extrem rechten YouTubers Nikolai Nerling (der »Volkslehrer«) ist damit eine extrem rechte Immobilie: Er erstellt hier regelmäßig Propaganda-Videos für das Netz und erreicht damit zehntausende Menschen über die sozialen Netzwerke. Damit ergibt sich ein »Szenenutzen«. Davon unterschieden werden muss natürlich öffentlicher Raum, auch wenn hier regelmäßig extrem rechte Veranstaltungen wie Gedenkfeiern oder Demonstrationen stattfinden. Ein lokales Kriegerdenkmal mag ein Erinnerungsort und einmal jährlich Treffpunkt der Szene sein, ist aber natürlich nicht als rechte Immobilie zu zählen. Ebenso gilt dies für Hallen, die unter falschem Vorwand einmalig für Konzerte oder Kampfsportveranstaltungen gemietet wurden.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

Strategie-Diskussionen in der Szene
Die extreme Rechte diskutiert den Erwerb von Immobilien als Teil strategischer Optionen schon lange und unterscheidet dabei oft deutlich zwischen einer nach innen gerichteten Bedeutung und als Teil einer nach außen gerichteten Strategie, beziehungsweise Teil politischer »Graswurzelarbeit«, wie es 2012 in einem Artikel im »Aktivist«, einer Publikation der »Jungen Nationaldemokraten« (heute »Junge Nationalisten«, JN), heißt. Für die Szene liegt der Vorteil auf der Hand – 2017 formulierte das der Neonazi Sascha Krolzig in einem Artikel in der »N.S. Heute« über das »Haus Montag« so: »Es gibt auch keinen Vermieter, der von Linksextremisten oder staatlichen Agenten unter Druck gesetzt werden könnte, das Haus steht nämlich im Eigentum der Kameraden.«
Der vielleicht wichtigste Bezugspunkt für strategische Diskussionen der Szene zum Thema Immobilien ist nach wie vor das Konzept »Schafft befreite Zonen« von Anfang der 1990er-Jahre. Das Konzept erschien damals in einer Publikation aus dem Umfeld der NPD-Studentenorganisation »Nationaldemokratischer Hochschulbund« (NHB) und war maßgeblich durch Auslandsbesuche und linke Projekte inspiriert. Hier heißt es bereits: »Errichtung eines unabhängigen Buchladens, wo man auch Bücher und Schriften, Aufkleber und Flugblätter kaufen kann, die man sonst nirgends bekommt.« Und weiter: »Revolutionäre dürfen nicht über das gesamte Stadtgebiet zerstreut wohnen, sondern sie sollten sich möglichst auf ein Wohnobjekt und einen Straßenzug konzentrieren, um vor Ort sichtbar Macht auszudrücken.« Ziel ist also die Schaffung von Freiräumen, in der eigene Aktionen ohne Verhinderungsmöglichkeit stattfinden können und die Szene dadurch stärken. Wichtige Grundlage für eben jene Strategie ist – wenn hier auch nicht explizit aufgegriffen – der Zugriff auf Immobilien. Als Materiallager, Konzertorte, Unternehmenssitze, Sporträume oder Übernachtungsmöglichkeit sind sie zentrale Netzwerk-Orte der extremen Rechten. Und so resümieren die »Jungen Nationaldemokraten« 2012 in ihrem Magazin: »Gerade hinsichtlich der Entfaltungsmöglichkeiten im politischen wie im gemeinschaftlichen Sektor sind dem Ganzen keinerlei Grenzen gesetzt. Vieles wird einem bei der Planung und bei der Durchführung von jeglichen Veranstaltungen schlicht und ergreifend erleichtert, wenn man auf eine eigene Immobilie zurückgreifen kann.«

Antifa Magazin der rechte rand
Ankündigung Vorbestellung Schwerpunktheft #Antifeminismus vom AntifaMagazin


Immobilien als Teil politischer Arbeit

Gerade für extrem rechte Strukturen, die eine politische Arbeit nach außen fokussieren, sind eigene Räume elementar. Sie sind Ausgangspunkt für Aktivitäten, Anlaufpunkt der Szene und erleichtern es, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. »Ein eigenes Objekt zu betreiben heißt nicht, sich abzuschotten, sondern unterliegt einem ständigen Weiterentwicklungs- und Interaktionsprozess«, heißt es im JN-Schwerpunktheft. Dabei galt auch das Agieren linker Strukturen als Vorbild für die Entwürfe der extremen Rechten. So schlägt die JN vor, eine »Volksküche« in den Räumlichkeiten zu betreiben oder ein »Arbeitslosenfrühstück« anzubieten, um »sich in seinem unmittelbaren Umfeld zu festigen«. Diese fast zehn Jahre alten Ausführungen sind schon längst keine Utopie mehr. In zahlreichen Objekten werden soziale Aktionen »für Deutsche« durchgeführt, um sich so vor allem lokal als »nette Nachbarn« zu integrieren. Sowohl die NPD als auch der »III. Weg« führen Veranstaltungen für «deutsche Familien« durch und verteilen zum Beispiel kostenlos Kleidung. Es werden Kinderfeste und Weihnachtsfeiern angeboten, die in ihrer Bewerbung nur sehr subtile Hinweise auf die neonazistischen Hintergründe enthalten. Dies ist nichts anderes als die seit Ende der 1990er-Jahre ausgegebene Strategie, dass die Neonazi-Parteien so jenseits medialer Berichterstattung ihr bürgerfreundliches Gesicht zeigen können. Durch die Verschleierung ihrer wahren Absichten wird die Aufklärung über den Zweck dieser Aktivitäten erschwert. Seit einigen Monaten wurde das Freizeitangebot durch Kampfsporttrainings für Erwachsene und Kinder ergänzt. Der »III. Weg« in Plauen wirbt beispielsweise ganz offen mit Bildern von Kinder-Kampfsport-Gruppen. Wie stark diese Termine tatsächlich frequentiert werden, ist schwer zu beurteilen. Dass die Propaganda-Berichte über die zahlreichen Erfolgsgeschichten »nationaler Zentren« wohl zumindest in Teilen von der Realität abweichen, wird aber immer wieder an verschiedenen Stellen deutlich. So ist dann die »deutsche Mutter«, die im parteieigenen Medium begeistert über die Immobilie berichtet, schon seit Jahren bekannt und mit der Szene vernetzt oder erwähnte Vermietungen für Feiern an die »normale Bevölkerung« stellen sich im Nachhinein doch eher als Geburtstagsfeier eines seit Jahren aktiven Neonazis heraus. Eine kritische Überprüfung ist hier für eine seriöse Analyse dringend geboten.
Für Menschen, die zu den Feindbildern der Szene zählen, entwickeln sich mit der Nutzung einer Immobilie durch Neonazis in vielen Fällen ohnehin Angsträume. Oft sind diese Objekte Ausgangspunkt von Übergriffen. Besonders die Kameradschaftsszene hat es darauf angelegt, gezielt solche Angsträume zu erschaffen, um die eigene Wohnumgebung als »Nazi-Kiez« zu markieren und eine Vorherrschaft zu erlangen.

Fazit: Die Verankerung schreitet voran
Doch auch wenn Propaganda und Realität oft auseinanderklaffen, sind Immobilien ein wichtiger Teil extrem rechter Verankerung. Sie ermöglichen es, Netzwerke zu stabilisieren und eine konstante Arbeit auf zahlreichen Ebenen zu etablieren. Gerade in den Orten, in denen seit Jahren Immobilien genutzt werden und als Basis politischer Aktivitäten dienen, erzielen extrem rechte Politiker oft auch besonders hohe Ergebnisse bei Kommunalwahlen. Hier sei nur auf den Südthüringer Neonazi Tommy Frenck verwiesen. Die Immobilien helfen damit nicht zuletzt auch bei einer Normalisierungsstrategie der Szene: So werden die Feinde der Demokratie zu »ganz normalen Nachbarn«.