Die »Keimzelle des Reiches« im Knüll ruht

von Sascha Schmidt und Yvonne Weyrauch

Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019

#Hessen

Mehr als 40 Jahre diente das »Haus Richberg« im nordhessischen Knüllgebirge der Neonazi-Szene als Anlaufpunkt.

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Der »Reichshof« © Otto Belina

Das »Haus Richberg« im nordhessischen 1300-Seelen-Dorf Schwarzenborn/Knüll (Landkreis Schwalm-Eder) – gelegen zwischen Marburg und Kassel – hat als wichtiges Zentrum der extremen Rechten eine lange Geschichte vorzuweisen. Manfred und Gertraud Roeder erwarben das etwas abseits der Gemeinde gelegene Anwesen 1975 für 170.000 DM. Finanziert wurde der Kauf durch Spenden. Zunächst diente das 32 Hektar große Anwesen, auch »Reichshof« genannt, mit seinen Tagungsräumen und 15 Gästezimmern als Veranstaltungsort für die von Roeder gegründete »Deutsche Bürgerinitiative« (DBI) und befreundete Organisationen. Die DBI setzte sich vor allem für die Rehabilitierung von NS-Tätern und die Leugnung der Verbrechen in Auschwitz ein. Infolge der militanten Politik, die Roeder unter anderem mit der nach ihm benannten »Kampfgruppe« praktizierte, drohte ihm alsbald eine Haftstrafe, der er sich 1978 durch die Flucht ins Ausland entzog. Dort baute er die »Deutsche(n) Aktionsgruppen« auf, die 1980 fünf Anschläge verübten. Der folgenreichste war ein Brandanschlag in Hamburg, bei dem Nguy?n Ng?c Châu und ?? Anh Lân getötet wurden. Die DA wurden vom Oberlandesgericht Stuttgart 1982 als terroristische Vereinigung eingestuft. Roeder wurde als deren »Rädelsführer« zu 13 Jahren Haft verurteilt, jedoch bereits 1990 aus der Haft entlassen.

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Manfred Roeder auf dem Nazitreffpunkt Hetendorf von Jürgen Rieger in der Lüneburger Heide
© Antifa-Magazin der rechte rand

Der »Reichshof«
Nach seiner Entlassung organisierte Roeder erneut Treffen auf dem Anwesen – zunächst vorwiegend für das 1993 von ihm gegründete »Deutsch-Russische Gemeinschaftswerk – Förderverein Nord-Ostpreußen« (DRGW). Ziel des Vereins war die Ansiedlung Russlanddeutscher in den ehemaligen preußischen Gebieten. Dadurch sollte langfristig die »Rückkehr der Gebiete« ins »Deutsche Reich« erwirkt werden. Er selbst ließ sich 1978 zum »Reichsverweser« bestimmen und sah in seinem Anwesen »die sichtbare Keimzelle für das neue (und ewig alte) Reich!«. Sein offener NS-Bezug, seine NS-Vita – er war Napola-Schüler und kämpfte 1945 gegen die Rote Armee in Berlin – als auch sein, trotz Haftstrafen, offenes Propagieren von Militanz, brachten ihm auch bei jungen Neonazis große Anerkennung ein. So zeigten sich die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie der wegen Beihilfe zum Mord verurteilte Ralf Wohlleben am Rande eines Prozesses gegen Roeder 1996 in Erfurt mit diesem solidarisch.
Die seit Mitte der 1990er regelmäßig auf sicherem, weil privatem, Terrain durchgeführten Veranstaltungen machten das Anwesen schließlich zu einem generationsübergreifenden, bundesweiten Anlaufpunkt. Neben den ab Mitte der 1990er nahezu monatlich veranstalteten »Heimatabenden« zogen vor allem die regelmäßig stattfindenden Sonnenwendfeiern größere Gruppen an. Die staatlichen Behörden, die laut eines Mitarbeiters des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen eigene »Quellen« auf den Veranstaltungen hatten, registrierten zwischen 1998 und 2014 21 Sonnenwendfeiern mit bis zu 60 Personen. Auch RechtsRock-Abende fanden vereinzelt statt: Im April 2001 spielte beispielsweise die Kasseler Band »Hauptkampflinie«.
Mit zunehmenden Alter überwarf sich Roeder mit großen Teilen der Szene und agierte verstärkt isoliert. Im Jahr 2013 verkaufte einer der beiden Söhne Roeders das Anwesen schließlich. Roeder starb ein Jahr später im nahegelegenen Neukirchen.

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Flyer für ein sog. Lesertreffen.

Roeder geht – Renouf und Schönborn übernehmen
Käuferin des Hauses war Ludmila Ivan-Zadeh, Tochter der aus Australien stammenden, international bekannten Holocaustleugnerin Lady Michèle Renouf. Das Sagen hatte nachfolgend die damals 67-jährige Mutter, die – sowohl ideologisch als auch durch regelmäßige Veranstaltungen und Sonnenwendfeiern – die Tradition Roeders fortsetzte. Doch bereits im Dezember 2015 übernahm der Herausgeber des Magazins »Recht und Wahrheit« (RuW), Meinolf Schönborn, die Führung auf dem Anwesen. Mit Bezug auf das Magazin, das sich laut Selbstdarstellung dem »Reichsgedanken« verpflichtet fühlt und die »Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches« wiederherstellen möchte ­(s. drr Nr. 172), organisierte Schönborn Veranstaltungen, Liederabende und Sonnenwendfeiern mit zum Teil namhaften Vertreter*innen der Szene. Darunter der Liedermacher Frank Rennicke, die verurteilten Holocaust-Leugner Gerd Ittner und Rigolf Hennig und der Schriftleiter des Magazins »Volk in Bewegung«, Roland Wuttke. Im Juni 2017 sprach der Landrat des Schwalm-Eder-Kreises, unter Androhung einer Geldstrafe in Höhe von 2.000 Euro, ein Nutzungsverbot für gewerbliche und öffentliche Veranstaltungen auf dem Anwesen aus. Eine solche Genehmigung lag bisher nicht vor. Seitdem fanden keine Veranstaltungen mehr statt. Seit Anfang 2019 lädt Schönborn nun ins sieben Kilometer entfernte Wallenstein zu RuW-Lesetreffen sowie Grillfesten und Sonnenwendfeiern ein. Unter dieser Adresse ist auch sein Verlag zu erreichen.