Rezensionen
von Johannes Hartl
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018 - Online Only
„Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern“
von Johannes Hartl
Knapp ein halbes Jahr hat sich der Autor Tobias Ginsburg undercover der Szene der „Reichsbürger“ angeschlossen. Er wollte über deren Ideologie und Verbindungen aufklären, die bis hinein in die bürgerliche Mitte reichen. Sein Buch „Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern“ wird diesem Anspruch nur bedingt gerecht.
Am 19. Oktober 2016 tötete der „Reichsbürger“ Wolfgang Plan einen Polizisten und verletzte drei weitere Beamte, die seine Schusswaffen einziehen wollten. Seitdem steht die Szene im Fokus der Öffentlichkeit und wird als Gefahr wahrgenommen. Bundesweit sind bei den Behörden mittlerweile 15.600 Personen einschlägig aktenkundig. Sie leugnen die Existenz der Bundesrepublik und wollen Deutschland in den Grenzen von 1937 wiederherstellen.
Der Autor Tobias Ginsburg, bislang vor allem als Theaterregisseur bekannt, wollte mehr über die Szene herausfinden. Für sechs Monate schleuste er sich undercover bei „Reichsbürgern“ ein. Im Laufe dieser „Reise ins Reich“ besuchte er bekannte Gruppen und lernte hochrangige „Reichsbürger“ kennen. Unter anderem schloss er sich dem „Königreich Deutschland“ von Peter Fitzek an, lauschte einem Vortrag des mittlerweile verstorbenen „Honigmanns“ Ernst Köwing und traf sich auf eine Gesprächsrunde mit Thomas Patzlaff, einem der bekanntesten Vertreter der Szene aus Berlin. Auch einem internen Treffen der Gruppe „Der Marsch“ in Kassel wohnte er bei. Die Anwesenden diskutierten dort offen über die „Beendigung des Regimes“ – gemeint war die Bundesregierung. Unter den Gästen befand sich auch Christoph Hörstel, der inzwischen geschasste damalige Vorsitzende der verschwörungstheoretischen Kleinstpartei „Deutschen Mitte“ (DM).
Seine Recherchen führte Ginsburg zunächst unter seinem richtigen Namen durch, später eignete er sich aus Sicherheitsgründen das Pseudonym Tobias Patera an – ein vermeintlich „alternativer Journalist“, der das Gedankengut der Bewegung teilt. Viele Situationen, die der Autor beschreibt, sind von beispielloser Absurdität. Mehr als einmal müssen LeserInnen schmunzeln ob der Wahnhaftigkeit, die aus diesem Gedankengut spricht. Aber letzten Endes ist der Erkenntnisgewinn der Recherchen erstaunlich gering.
Obwohl Ginsburg in den inneren Zirkel eingedrungen ist, lässt sich dem Buch nichts Substanzielles entnehmen. Gemäß seiner Absicht besucht der Autor überzeugte „Reichsbürger“ und deren Gefolgschaft, die teilweise ironisch als „Untertanen“ bezeichnet werden. Es überrascht daher nicht, dass seine Gesprächspartner genau das sagen, was „Reichsbürger“ eben sagen: Dass die Bundesrepublik besetzt sei. Dass finstere Mächte am Werk seien, hinter denen fast immer „die Juden“ steckten. Und dass man das „alte Deutschland“ wiederherstellen müsse. Das ist keine Neuigkeit, zumal es sich bei vielen von ihnen um bekannte „Reichsbürger“ handelt, die die Öffentlichkeit suchen.
Positiv fällt hingegen ins Gewicht, wie Ginsburg die Radikalisierungsprozesse darstellt. Immer wieder beschreibt er am Beispiel einzelner Personen, aus welchen Gründen sich diese der Bewegung angeschlossen haben. Es lasse sich beobachten, dass sich die meisten Personen im Anfangsstadium auf eine einzelne Verschwörungstheorie konzentrieren, die sie in einer persönlichen Situation möglicherweise als hilfreich wahrgenommen haben. Je intensiver sie sich dann damit beschäftigen, desto mehr stoßen sie auf weitere Theorien und integrieren sie in ihr Weltbild. Am Ende entsteht so eine höchst heterogene Weltanschauung – zusammengesetzt aus brauner Esoterik, okkulten Mythen und alternativmedizinischen Überzeugungen. Die „Reichsideologie“ ist für viele lediglich eine Art Überbau, der als gemeinsamer Nenner fungiert, als eine Überzeugung, der etwas Einendes inhärent ist. In diesen Schilderungen liegt eine besondere Stärke von Ginsburgs Buch, denn sie offenbaren die fließenden Übergänge zwischen einzelnen Ideologiefragmenten und können zugleich als Appell verstanden werden, diesen oftmals milde belächelten Überzeugungen entschiedener entgegenzutreten.
Zudem analysiert Ginsburg – wenn auch oberflächlich – die Verbreitung der „Reichsbürger“-Ideologie, die bis in die Mitte der Gesellschaft reiche. Dies macht er vor allem an den Erlebnissen fest, die er während und am Rande verschiedener Veranstaltungen mit Jürgen Elsässer gesammelt hat, dem Chefredakteur des rechten „COMPACT-Magazin“. Bei dessen Auftritten stieß er regelmäßig auf gutbürgerliche Menschen, die seine Ansichten teilen. Nur bei der Art und Weise, wie diese Ideologie vertreten wird, stellt der Autor Unterschiede fest. Im eher bürgerlichen Spektrum lasse sich vermehrt die Tendenz beobachten, radikale Inhalte hinter Chiffren zu verbergen. Die Theorie von der Besetzung wird dann in die Souveränitätsfrage umgemünzt, aus der „Machtübernahme“ wird der „Regierungswechsel“. Im Kern handle es sich bei diesen elegant verpackten Ansichten aber um denselben „guten, alten Nazi-Dreck“, schreibt Ginsburg. Besonders deutlich werde das am Begriff der „Umvolkung“, wonach die deutsche Bevölkerung Schritt für Schritt gegen muslimische EinwanderInnen ausgetauscht werde. Diese Überzeugung teilen sich die „Reichsbürger“ gleichermaßen mit der „Neuen Rechten“ sowie mit der Neonazi-Szene.
Mit dieser Analyse kann Ginsburg den schwächeren ersten Teil des Buches halbwegs ausgleichen. Allerdings hinterlässt es trotz dieses interessanten Abschnittes einen ambivalenten Eindruck. Nicht nur, dass der Autor bei seiner halbjährigen Recherche keine nennenswert neuen Erkenntnisse zutage fördert. Auch bei seinem hauptsächlichen Anliegen, nämlich der Aufklärung über die weite ideologische Verbreitung, geht der Schriftsteller kaum über bereits bekanntes hinaus. Es ist zum Beispiel umfassend dokumentiert, auf welche Resonanz Elsässer auch in der bürgerlichen Mitte stößt. Somit handelt es sich bei dem Werk um eine amüsante und kurzweilige Bestandsaufnahme der Bewegung, die insbesondere für Laien interessant sein mag. Wer aber auf der Suche nach hintergründigen Informationen ist oder auf fundierte Recherchen hofft, wird hier nicht fündig.
Tobias Ginsburg: Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern. Berlin 2018, Das Neue Berlin, 272 Seiten, 17,99 Euro.