Urteil im Mord an Blanka Zmigrod – Der »Lasermann«-Prozess in Frankfurt

von Cihan Balikci & Paul Werfel
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 171 - März / April 2018

#Naziterror

Im Dezember 2017 begann in Frankfurt am Main der Prozess gegen John Ausonius, den sogenannten »Lasermann«. Er schoss Anfang der 1990er Jahre aus rassistischen Motiven in Schweden auf zehn Menschen und tötete den iranischen Migranten Jimmy Ranjbar. In Frankfurt wurde er nun schuldig gesprochen, 1992 auch die Jüdin Blanka Zmigrod erschossen zu haben. Sein Vorgehen war eine mögliche Blaupause für den NSU. Fast genau 26 Jahre hat es bis zu einem Urteil im Mordfall Blanka Zmigrod gedauert. Am 23. Februar 1992 wurde die 68-Jährige im Frankfurter Kettenhofweg erschossen, das Urteil am 21. Februar 2018 gesprochen. Die meiste Zeit zwischen diesen beiden Ereignissen saß der nun erneut verurteilte John Ausonius in Schweden im Gefängnis. Er war dort 1994 für eine Serie von Banküberfällen und rassistischen Mordanschlägen zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

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© Initiative Blanka Zmigrod

Banküberfälle und Morde in Schweden
Für Ausonius war dies nicht der erste Gefängnisaufenthalt. Schon Ende der 1980er Jahre verbüßte er eine mehrmonatige Haftstrafe wegen Betrugs- und Körperverletzungsdelikten. Nach seiner Entlassung folgten weitere Kredit- und Scheck-Betrüge, bis er schließlich 1990 seinen ersten Bankraub beging.
Im Frankfurter Prozess verlas Ausonius zu Beginn der Verhandlung eine Erklärung zu seinen Taten in Schweden. Demnach habe er 1991 angefangen, Mordanschläge auf MigrantInnen zu verüben, um die Polizei von den Ermittlungen zu seiner Bankraubserie abzulenken. Die Auswahl seiner Opfer begründete er damit, dass er – der politischen Stimmung in Schweden entsprechend – Geflüchtete und Zuwanderer für seine persönlichen Probleme verantwortlich machte. Er hoffte auf eine abschreckende Wirkung seiner Taten und sah sie als »Dienst an der Gesellschaft«.
In Schweden gab es Anfang der 1990er Jahre eine Welle rassistischer Stimmungsmache insbesondere gegen Geflüchtete. 1991 zog die neu gegründete »Ny Demokrati« mit einem rassistischen Programm in den schwedischen Reichstag ein. Diese Entwicklungen bestärkten Ausonius in seiner Auffassung, MigrantInnen hätten Schuld an gesellschaftlichen Problemen. Er habe durch seine Mordanschläge einen Teil dazu beitragen können, dass weniger MigrantInnen nach Schweden kommen.
Da Ausonius zu Beginn seiner rassistischen Anschlagsserie ein Gewehr mit Laser-Zielvorrichtung benutzte, gab ihm die Presse den Namen »Lasermannen«. Nachdem er vier Menschen schwer verletzt und den iranischen Studierenden Jimmy Ranjbar am 8. November 1991 getötet hatte, begab er sich auf mehrere Reisen und verbrachte unter anderem drei Wochen in Südafrika, wo zu dieser Zeit noch das Apartheidsregime herrschte.
Als er im Januar 1992 nach Schweden zurückkehrte, schoss er binnen weniger Tage auf sechs weitere Personen, die nur knapp überlebten. Der dadurch – und durch weitere Banküberfälle – ausgelöste Fahndungsdruck veranlasste Ausonius dazu, Anfang Februar 1992 nach Deutschland zu flüchten. In Schweden sorgten die anhaltende rassistische Stimmungsmache und insbesondere auch die von Ausonius verübten Anschläge dafür, dass im Februar 1992 in einem landesweiten Streik gegen Rassismus unter dem Motto »Ohne Einwanderer steht Schweden still« die Arbeit für eine Stunde niedergelegt wurde.

Über Deutschland zurück nach Südafrika
In Deutschland versuchte Ausonius unter anderem, das erbeutete Geld einzutauschen und sich einen Pass für die Flucht nach Südafrika zu besorgen. Dazu sprach er nach eigenen Angaben vor dem Dresdner Arbeitsamt Tilo U. an und zahlte ihm insgesamt 3.000 DM dafür, dass dieser ihm seinen Pass überlassen und ihn erst Monate später als verloren melden sollte. Mit diesem Pass flüchtete Ausonius wenig später nach Südafrika. Von dort aus sendete er mehrere Postkarten an Tilo U., in denen er ihn unter anderem bat, ihm auch einen Führerschein zuzusenden. Als Ausonius nach einigen Monaten nach Schweden zurückkehrte, konnte er kurz danach festgenommen werden.

Mord an Blanka Zmigrod
Während seiner Flucht in Deutschland kam Ausonius am 21. Februar 1992 in das Frankfurter Mövenpick-Restaurant und beschuldigte die dort arbeitende Garderobière Blanka Zmigrod, seinen Taschencomputer aus seiner Manteltasche geklaut zu haben. Auf dem Gerät befanden sich vermutlich Notizen zu den Konten, auf denen er das geraubte Geld verwahrte sowie weitere Notizen zu seinen Banküberfällen und Mordanschlägen.
Nachdem Zmigrods Vorgesetzte sich weigerte, die Handtasche ihrer Angestellten – in der Ausonius seinen Taschencomputer vermutete – zu durchsuchen, beschuldigte er die Frauen, gemeinsam am vermeintlichen Diebstahl beteiligt zu sein. Sie seien beide aus Osteuropa und bräuchten deswegen Geld. »Deutsche würden so etwas niemals tun!«, ließ er sie wissen. Bevor er ging, wandte er sich nochmal an Blanka Zmigrod und sagte: »Wir sehen uns noch!«.
Als Zmigrod gegen 00:15 Uhr am 23. Februar 1992 von ihrer Arbeitsstelle zu ihrer Wohnung im Kettenhofweg lief, näherte sich von hinten ein Fahrradfahrer und schoss ihr in den Kopf. Anschließend flüchtete er mit ihrer Handtasche.
Blanka Zmigrod wurde 1924 im polnischen Chorzów (damals Königshütte) geboren. Ab 1940 wurde sie von den Deutschen in mehrere Zwangsarbeitslager verschleppt und überlebte im Anschluss die Konzentrationslager Auschwitz, Bergen-Belsen, Flossenbürg und Mauthausen. Danach emigrierte sie zunächst nach Israel und kam 1960 nach Frankfurt.
Ausonius fuhr im Laufe des Tattages nachweislich über Köln nach Amsterdam, wo er sich am Flughafen einen neuen Taschencomputer kaufte und im Anschluss unter falschem Namen nach Südafrika flog.


Blaupause für rechten Terror?
Mit der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios 2011 rückte auch der 20 Jahre alte Mordfall wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Im Zuge der Beschäftigung mit den NSU-Morden fielen dabei Parallelen zu Ausonius’ Vorgehensweise auf: Sowohl der NSU als auch Ausonius hatten mehrheitlich männliche Migranten zum Ziel, nutzten Banküberfälle zur Finanzierung, lebten im Untergrund unter falscher Identität und flüchteten mit Fahrrädern von den Tatorten.
Im »Field Manual«, einem Handbuch der rechtsterroristischen »Blood&Honour«-Bewegung, wurden Ausonius’ Taten als Beispiel für den »führerlosen Widerstand« genannt. Das Buch kursierte seit 1999/2000 in der rechten Szene, im September 2000 begann die Mordserie des NSU. Das Bundesamt für Verfassungsschutz traf 2012 die Einschätzung, dass die NSU-Mitglieder aufgrund der Erwähnung im »Field Manual« und Kontakten zwischen ostdeutscher und skandinavischer »Blood&Honour«-Bewegung von den Taten gewusst und seine Vorgehensweise kopiert haben könnten.
Bereits 1992 lobte die schwedische Neonazi-Terrorgruppe »Weißer Arischer Widerstand«, die auch Kontakte nach Deutschland unterhielt, Ausonius’ Taten in ihrer Zeitschrift »Storm«. Auf T-Shirts druckte sie das Bild eines dunkelhäutigen Mannes im Fadenkreuz, daneben den Aufdruck »Der Lasermann – ein Lichtpunkt im Dasein« in Anspielung auf die von Ausonius verwendete Laserzielvorrichtung. Auch der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik, der 2011 in einem Zeltlager einer sozialdemokratischen Jugendgruppe in Norwegen 77 Menschen tötete, bezog sich auf Ausonius und nannte ihn jemanden, mit dem er die gleichen Ziele teile.

Verurteilung im Indizienprozess
Angeregt durch die neue Brisanz des Falls im Zuge der NSU-Ermittlungen erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Mai 2017 Anklage gegen Ausonius und ließ ihn nach Deutschland überstellen. Der Prozess begann im Dezember 2017, die Anklage lautete »heimtückischer Mord aus Habgier«, da er beschuldigt wurde, Blanka Zmigrod erschossen zu haben, um seinen Casio-Taschencomputer zurück zu bekommen. Da seit dem ersten Tatverdacht gegen Ausonius keine weiteren Beweise hinzugekommen sind und keine direkten TatzeugInnen existieren, wurde der Prozess als reiner Indizienprozess geführt. Die Staatsanwaltschaft versuchte dabei zu beweisen, dass es sich bei Ausonius nicht nur um den Mann handelt, der das Opfer beschuldigte, seinen Taschencomputer geklaut zu haben, sondern auch um dem Mörder.
Dafür sprach zum einen, dass bei Ausonius Rechnungen gefunden wurden, die belegen, dass er wenige Wochen vor dem Mord eine Pistole vom gleichen Kaliber wie die Tatwaffe gekauft hatte, zusammen mit der passenden Hohlspitzmunition, wie sie auch beim Mord an Blanka Zmigrod verwendet wurde. Die Erklärung von Ausonius, er habe die Waffe kurz vor dem Mord in einer Frankfurter Kneipe einem Unbekannten verkauft, überzeuge nicht, insbesondere da er das gleiche Argument zuvor bei seinen anderen Morden angebracht habe, so die Staatsanwaltschaft. Außerdem zeige der zeitliche Ablauf und die räumliche Nähe, dass es sich bei Ausonius um den »Casio-Mann« handle. Auch sei ihm die Tat nicht »wesensfremd«.
Der Verteidiger, Rechtsanwalt Joachim Bremer, versuchte die Indizienkette zu durchbrechen und diese als nicht aussagekräftig darzustellen. Sie beruhe nur auf Spekulation und sei nicht tragfähig, so der auf Fälle mit großen Medieninteresse spezialisierte Anwalt. Stattdessen versuchte er, andere zeitweise existierende Tathypothesen der Polizei aufzugreifen und den Mord in eine Reihe mit einer Serie an Handtaschenüberfällen zu setzen. Ausonius habe 2000 alle seine Taten gestanden und keinen Grund, diese eine Tat auszusparen, so Bremer.

https://www.nsu-watch.info/

Tatsächlich hatte Ausonius 2000 die Taten, die er in Schweden begangen hatte, gestanden. Eine Verurteilung wegen Mordes an Blanka Zmigrod hat für ihn jedoch schwerwiegende Folgen: In Schweden, wo er seit 26 Jahren in Haft sitzt, hatte er regelmäßig Freigang unter Aufsicht von Zivilbeamten und wäre voraussichtlich in wenigen Jahren entlassen worden. Eine erneute Verurteilung wegen Mordes macht diese Chance zunichte.
Das Gericht folgte zur Überraschung verschiedener ProzessbeobachterInnen der Argumentation der Staatsanwaltschaft und verurteilte John Ausonius am 21. Februar 2018 zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Grund für Letzteres war das Gutachten eines psychologischen Sachverständigen, der Ausonius psychopathologische Persönlichkeitsmerkmale und ein hohes Rückfallrisiko attestierte. Der Sachverständige wurde im Plädoyer der Verteidigung und daran anschließend von Ausonius persönlich für seine Arbeitsmethoden kritisiert. Die Verteidigung kündigte an, in Revision gehen zu wollen.

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Grabstein für die ermordete Blanka Zmigrod © Martina Renner

Offene Fragen
Die rassistische Motivation des Täters blieb im Prozess weitgehend unbeachtet. Trotz Ausonius’ Verurteilung in erster Instanz wurden nicht alle offenen Fragen geklärt. So bleibt offen, ob die Darstellung der Wahrheit entspricht, Ausonius habe Tilo U., der mit mehreren bekannten Neonazis in einem Fußballverein aktiv ist, 1992 in Dresden vor dem Arbeitsamt angesprochen und ihm daraufhin seinen Reisepass abgekauft. Ebenfalls nicht thematisiert wurde, warum er Anfang der 1990er Jahre eine Vorliebe für den Apartheidsstaat Südafrika entwickelte und mit wem er dort Kontakt hatte. Unklar ist darüber hinaus, ob Ausonius wusste, dass Blanka Zmigrod Jüdin ist. Am Rande des Prozesses gab die damals ermittelnde Staatsanwältin an, die eintätowierte Häftlingsnummer auf dem Unterarm aus dem KZ Auschwitz habe sie noch vor der Obduktion des Opfers identifiziert. Als Ausonius bei einer Vernehmung in Schweden mitgeteilt wurde, dass Blanka Zmigrod Jüdin war, reagierte er offenbar überrascht, aber zufrieden.