Rezension: Der verdrängte antisemitische Doppelmord

von Sascha Schmidt
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 199 - November | Dezember 2022

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Im Dezember 1980 wurden der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Nürnberg Shlomo Lewin und dessen Ehefrau Frida Poeschke in ihrem Wohnhaus in Erlangen ermordet. Als Täter gilt bis heute der Vizechef der »Wehrsportgruppe Hoffmann« (WSG), Uwe Behrend. Er beging im September 1981 in einem Ausbildungslager der »Palästinensischen Befreiungsorganisation« (PLO) im Libanon mutmaßlich Selbstmord. Karl-Heinz Hoffmann hatte nach dem Verbot der WSG im Januar 1980 dort eine neue Gruppe aufgebaut, die paramilitärisch ausgebildet werden sollte. Am Tatort wurde die Sonnenbrille von Franziska Birkmann, der damaligen Freundin von Hoffmann, gefunden. Beide wurden angeklagt, ihnen konnte jedoch keine Beteiligung an dem Mord nachgewiesen werden. So gilt Behrend bis heute als Einzeltäter. Viele Fragen blieben ungeklärt. Der Historiker und stellvertretende Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Uffa Jensen, rekonstruiert in seinem Buch »Ein antisemitischer Doppelmord« die Tat, die Ermittlungen und den Prozess. Für ihn ist klar: Lewin »wurde zum Opfer, weil man in ihm nicht nur einen Repräsentanten der deutschen Juden, sondern auch Israels sah«. Vor diesem Hintergrund skizziert Jensen die Geschichte des Antisemitismus in der Nachkriegszeit und seine Bedeutung für die extreme Rechte. In diesem Kontext verortet er auch die ideologischen Verbindungen zwischen der WSG und der PLO. Auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren damals von einem antisemitischen Motiv überzeugt. Doch »in den Ermittlungen, in den Presseberichten und sogar im Gerichtsverfahren« so Jensen, »spielte der Antisemitismus kaum eine Rolle«. Die Ermittler*innen ignorierten Lewins Engagement gegen die WSG und negierten schnell ein politisches Motiv. Stattdessen konzentrierten sie sich auf das Umfeld der Opfer und auf Lewins Vergangenheit als Kämpfer auf der Seite Israels. Die vielen Parallelen, die Jensen zum Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex zieht, drängen sich geradezu auf. Und so kommt er zu der Überzeugung, dass die Entpolitisierung und die in Politik und Gesellschaft faktisch vollzogene Verdrängung des Doppelmordes »auch langfristige Konsequenzen für das Behörden- und Ermittlergedächtnis« hatte. Ein äußerst lesenswertes und – für die Aufarbeitung der Geschichte des Rechtsterrorismus – wichtiges Buch.

Uffa Jensen: Ein antisemitischer Doppelmord – Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik. Berlin 2022, Suhrkamp Verlag, 316 Seiten, 24 Euro.

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