Rezensionen Ausgabe 182

Von Jens Breuer, Sascha Schmidt, Kai Budler
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020

Den Blick weiten
von Jens Breuer

antifa Magazin der rechte rand
Im Schatten von Auschwitz

Der Befreiung von Auschwitz, die sich jetzt zum 75. Mal jährt, wird weltweit gedacht. Auschwitz steht aber nur für eine spezifische Form des Massenmords. Der »Selektion« der Arbeitsfähigen folgte dort die genannte industrielle Vernichtung der vor allem westeuropäischen Jüdinnen und Juden – begangen von einem noch relativ überschaubaren Täterkreis. Andernorts gab es diese »Selektionen« nicht. Wer in eines der Lager der »Aktion Reinhard« verschleppt wurde, starb durch Motorengase. Gleiches Schicksal traf die Menschen, die von den »Einsatzgruppen« in der besetzten Sowjetunion zusammengetrieben worden waren – sie wurden an Gruben erschossen, in Handarbeit – von vielen unterschiedlichen Tätern und unzähligen Unterstützer*innen. Und es traf nicht nur (aber vor allem) Jüdinnen und Juden, sondern auch Romni und Roma, Menschen mit tatsächlichem oder vermeintlichem Handicap, politische Gegner*innen, Kriegsgefangene und eben auch die einheimische Zivilbevölkerung. In der gesellschaftlichen Breite ist dies oft nicht bekannt oder wird bewusst ausgeblendet. Auschwitz ist zum Synonym für den Holocaust geworden, doch eben nur zu einem Synonym.
Für antifaschistisch engagierte Menschen gehört es dazu, sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu beschäftigen – nicht nur wegen des Schwurs von Buchenwald, sondern auch, weil das Wissen darum stets und unmissverständlich verdeutlicht, dass sie immanenter Teil von Faschismus und Nationalsozialismus sind.
Der Sammelband »Im Schatten von Auschwitz« bietet allen, die sich für den Holocaust und die nationalsozialistischen Massenverbrechen interessieren, fundierte und interessante Einblicke. Im ersten Abschnitt werden von namhaften Fachhistoriker*innen die Verbrechen an neun Orten im heutigen Polen, in Belarus und der Ukraine skizziert (von Kulmhof, über Maly Trostinez bis Kamenez-Podolsk). Es folgen dann Beschreibungen, wie an diesen Orten heute an das Geschehene erinnert wird. Im dritten Teil folgen Einzeldarstellungen von Opfergruppen und Täterkollektiven. Schließlich eröffnen neun weitere Beiträge Perspektiven, wie Bildungsarbeit zu solchen Orten möglich sein könnte. Angereichert ist der Band mit vielen hundert Fotos und Karten zu den früheren Tat- und den heutigen Gedenkorten.
Zum Thema der Publikation wurde vom Fotografen Mark Mühlhaus eine Wanderausstellung entwickelt, die mit großformatigen Aufnahmen künstlerisch an die heutigen Gedenkorte heranführt. Ein kleines Begleitheft erläutert, was dort geschehen ist. Die gebührenfrei auszuleihende Ausstellung bietet einen sehr guten Zugang zu dem Thema, das sich über die Publikation oder über Rahmenveranstaltungen vertiefen ließe.

Martin Langebach, Hanne Liever (Hg.): Im Schatten von Auschwitz. Spurensuche in Polen, Belarus und der Ukraine: Begegnen, Erinnern, Lernen. Bonn, 2017. Bezug nur über die Bundeszentrale für politische Bildung. 7,50 Euro zzgl. Porto.

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Im Schatten von Auschwitz – Ausstellung

Mark Mühlhaus / attenzione photographers: Im Schatten von Auschwitz. Fotoausstellung. 2017. Die Wanderausstellung kann gebührenfrei ausgeliehen werden. Weitere Informationen: www.bpb.de/265546/

Die extreme Rechte und die Sicherheitsbehörden
von Sascha Schmidt

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Morddrohungen von einem »NSU 2.0« gegen eine Anwältin aus dem NSU-Prozess – verschickt aus einem Frankfurter Polizeirevier; Beteiligungen von Polizist*innen an rassistisch motivierten Übergriffen und Treffen des »Ku-Klux-Klans«, Bundeswehrsoldaten als Teil rechter »Prepper«-Netzwerke, Verstrickungen von Beamt*innen mit Teilen der rechte Szene.
Diese und viele weitere Beispiele aus jüngster Zeit machen deutlich: In den Sicherheitsbehörden finden sich nicht nur extrem rechte Personen – sie agieren auch immer unverhohlener und zum Teil gewaltorientiert. Darüber hinaus bemühen sich Teile der extremen Rechten – insbesondere die »Alternative für Deutschland« – um Einfluss in den Behörden. Und dies relativ erfolgreich.
Heike Kleffner und Matthias Meisner lassen in dem Sammelband »Extreme Sicherheit – Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz« mehr als 30 Journalist*innen großer Tageszeitungen und öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten, ebenso wie Anwält*innen und Wissenschaftler*innen über solche Fälle zu Wort kommen. Im Fokus des Buches stehen zudem Ermittlungen gegen Personen der extremen Rechten, bei denen von einem Aufklärungswillen seitens der Behörden kaum gesprochen werden kann, Gerichtsverhandlungen, in denen höchst fragwürdige Urteile gesprochen wurden sowie Vertuschungen seitens des Verfassungsschutzes.
Zwar dürften viele der in den 28 Kapiteln dargestellten Fälle aufgrund bundesweiter Berichterstattungen weitgehend bekannt sein. Die Kapitel bringen jedoch eine Übersichtlichkeit und Analyse in diese Fälle, die im Rahmen der häufig nur tröpfchenweise stattfindenden Aufklärungen schnell verloren gehen.
Vor dem Hintergrund, dass keinesfalls von Einzelfällen die Rede sein kann, stellen sich die Herausgeber*innen des Buches die Frage, wie es um »die demokratische Verfasstheit von Polizei, Justiz, Bundeswehr und Verfassungsschutz« in Deutschland steht. Um diese Frage beantworten zu können, das machen die Interview-Passagen mit Kenner*innen polizeilicher Institutionen deutlich, braucht es systematische, wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den entsprechenden Institutionen, die jedoch in Deutschland seit Jahren leider fehlen. Das Buch kann solche Studien nicht ersetzen, liefert hierfür jedoch eine wichtige und gute Anregung.

Matthias Meiner / Heike Kleffner (Hg.): Extreme Sicherheit – Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Freiburg 2019, Herder Verlag, 320 Seiten, 24 Euro


In Zeiten des Hufeisens
von Kai Budler

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Gleich 22 Beiträge versammelt der Sammelband »Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von rechts und links, das jüngst in der »Edition Bildungsstätte Anne Frank« erschienen ist. Aus verschiedenen Perspektiven beleuchten die Autor*innen die Theorie des »Hufeisenmodells«, nach dem die Mitte der Gesellschaft von ihren Rändern bedroht wird, die an der Zerstörung der Demokratie arbeiten. Gleich im ersten Teil des Buches legen die Autor*innen plausibel, nachvollziehbar und gut lesbar dar, warum diese Theorie keine sein kann und spüren den Auswirkungen der Gleichsetzung von links und rechts unter anderem in der politischen Bildung nach. Im zweiten Teil geht es unter der Überschrift »Im Dickicht der Institutionen« vor allem um die Verharmlosung der extremen Rechten als Konsequenz der Gleichsetzung sowie um die Folgen ihrer Wirkungsmacht für zivilgesellschaftliche Organisationen. Besonders empfehlenswert ist hier der Aufsatz über »Muslime im Extremismustheater« mit dem Titel »Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun«. Nach dem Kapitel »Das Recht des Stärkeren« wird »Der Mythos Mitte« und deren vermeintliche Neutralität analysiert. Doch wie die anderen krankt auch dieser Teil an den unterschiedlichen Niveaus der Texte. Während zum Beispiel Katharina Rhein und Tom David Uhlig am Beispiel Antisemitismus zeigen, dass die Neutralität der Mitte ein Märchen ist, fällt es in einem weiteren Beitrag schwer, die Verbindung vom Feminismus zum Thema des Sammelbandes zu begreifen. Im fünften Kapitel »Nachtritte« schließlich werden die aus den vorherigen Teilen gewonnenen Erkenntnisse in Verbindung zu aktuellen Geschehnissen wie beispielsweise dem G20 in Hamburg gesetzt. Interessant auch das Interview mit den Macher*innen der Seite »Das goldene Hufeisen«, das mit einem Blick aus internationaler Perspektive auf das Thema »Mitte« erfrischt. Trotz der angebrachten Kritik ist den Herausgeber*innen ein sehr empfehlenswerter Sammelband gelungen, der mit teils hervorragenden Beiträgen einem fundierten Lehrbuch mit meist politikwissenschaftlichem Anspruch zum Thema »Hufeisenmodell« gleicht. Das Buch bietet für die politische Debatte Material auf hohem Niveau und liefert auch viele neue Details.

Eva Behrensen, Katharina Rhein und Tom David Uhlig (Hg.): »Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts«. Berlin 2019, Verbrecherverlag, 304 Seiten, 19 Eurohttps://www.verbrecherverlag.de/book/detail/1008