AfD & Corona: »Wir haben keine Pandemie«
von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 191 - August 2021
#180Grad
Ein Schlag, ein Tritt. Der Angriff kam für Bürgermeister Hans-Dieter Schneider ohne Vorwarnung. Bei einer Sitzung des Kreistages des Rhein-Pfalz-Kreises griff der AfD-Kreistagsabgeordnete Andreas Mansky den SPD-Kommunalpolitiker an. Am 28. Juni 2021 störte sich Mansky bei der Kreistagssitzung im Palatinum in Mutterstadt an den Pandemie-Schutzmaßnahmen. Vor der Sitzung in der rheinland-pfälzischen Gemeinde weigerte sich der AfD-Kommunalpolitiker, einen Corona-Test zu machen, pöbelte Verwaltungsmitarbeiter*innen an, warf eine Trennwand und Desinfektionsmittel um. Durch den Lärm aufgeschreckt ging Schneider ins Foyer, folgte Mansky zum Parkplatz, um ihm zu sagen, »dass er für den Schaden aufkommen müsse«. Ein Schlag ins Gesicht folgte, die Nase riss auf. Einen Tritt konnte der Bürgermeister abwehren. »Ich bin entsetzt über diese Brutalität«, sagte Schneider, der sich ärztlich behandeln lassen musste.
Eine Ausnahme, ein Ausraster eines AfD-Politikers in Zeiten der Pandemie? Die Partei ist um Schadensbegrenzung bemüht, der AfD-Landesvorsitzende Michael Frisch hat sich beim Bürgermeister zügig entschuldigt, ein Parteiausschlussverfahren gegen Mansky wurde eingeleitet. Dieser soll sich später auch entschuldigt und angekündigt haben, sein Mandat zurückzugeben. Der Konflikt, dem auch eine Strafanzeige folgen dürfte, scheint schnell gelöst. Die Problematik hingegen noch lange nicht.
Kehrtwende
Seit Beginn der staatlichen Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie hat die AfD nicht nur ihre Position gänzlich geändert, die Partei hat sich auch weiter radikalisiert. Der Ausraster ist insofern kein Ausrutscher. Die körperliche Attacke ist der aufgeheizten Stimmung in der gesamten »Querdenken«- und Corona-Leugnenden-Bewegung geschuldet. Bewegung, wie auch die Partei, sehen eine »Hygiene-Diktatur« in der Bundesrepublik heraufziehen.
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Im November 2020 debattierte der Bundestag das »Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite«. Vor dem Parlament protestierten »Querdenkende«- und Corona-Leugnende gegen das von ihnen sogenannte »Ermächtigungsgesetz«. In der Debatte griff die AfD-Bundestagsfraktion um Alice Weidel und Alexander Gauland die geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes massiv an, Gauland sprach von einer »Gesundheitsdiktatur«. Und der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Bernd Baumann, schob nach: Diese »Gesetzesvorlage ist eine Ermächtigung der Regierung, wie es das seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr gab«. Die Argumentation der Partei, mit dem vermeintlichen Mut zur Wahrheit, gleicht den Positionen der angeblichen Freiheits- und Grundrechte schützenden Bewegung auf der Straße und im Netz. Mit der Gleichsetzung der Gesetze relativieren sie sogleich den Nationalsozialismus. Mit dem sogenannten »Ermächtigungsgesetz«, dem »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich«, vom 24. März 1933 hatten die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler das Recht erhalten, ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat sowie ohne Gegenzeichnung durch den Reichspräsidenten Gesetze zu erlassen. Der Reichstag schaffte sich durch die Annahme der Gesetzesvorlage als demokratische Institution selbst ab. Dank der Abgeordneten des Zentrums und der Liberalen – die SPD stimmte dagegen, die KPD-Mitglieder waren bereits verhaftet oder flüchtig.
Die Reden von Gauland und Baumann waren nur eine weitere Markierung der Kursänderung ihrer Partei. Einen Monat vorher hatte Weidel auf Facebook vorgelegt: »Schluss mit der Panik! Nur 0,09 % Sterberate bei den unter 70-Jährigen! Weniger Grippetote als 2017 & 2018! Weniger Krankschreibungen als 2018 & 2019!«, schrieb die Bundestagsfraktionsvorsitzende am 27. Oktober 2020 und behauptete: »Corona ist nur ein weiterer Vorwand, um Milliardensummen aus Deutschland abzuziehen!« In ihrem Post bezieht Weidel sich auf Studien des US-Forschers John Ioannidis, die aus der Forschung methodisch scharf kritisiert werden und die er selbst vorsichtig interpretiert, wie Patrick Gensing und Wulf Rohwedder vom ARD-Faktenfinder im April dieses Jahres anmerkten. Weidel lag damit auf einer Wellenlänge mit dem thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. Im MDR-Sommerinterview Ende August 2020 verkündete Höcke: »Corona ist vorbei. Corona wird auch nicht wieder kommen.« Vor allem am Post von Alice Weidel, in dem eine Relativierung der Pandemie impliziert ist, wird die Kehrtwende im Vergleich zum Anfang der Pandemie sichtbar.
Im Frühjahr 2020 hatte Weidel der Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) noch vorgehalten, die Gefahr durch Covid-19 herunterzuspielen. Sie warnte, in China würden täglich 100 Menschen sterben. Am 19. März postete sie dann: »Die #Coronakrise trifft #Deutschland mit voller Wucht« und verwies auf einen »Fünf-Punkte-Plan«, den sie zusammen mit dem Bundesparteivorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla entworfen habe. Der Plan sah unter anderem einen »Schutzschirm für alle von der Corona-Krise betroffenen Familien« vor, eine Existenzsicherung für Selbstständige, Freiberufler*innen und kleine Mittelständler*innen sowie ein »schnelles Internet«. Diese sozialpolitische Ausrichtung – in der nicht die Bedrohung verharmlost wird – findet parteiintern allerdings wenig Unterstützung. Auch die Forderungen der AfD-Landtagsfraktion in Niedersachsen, Großveranstaltungen abzusagen und Schulen zu schließen, wurden immer leiser. Doch an der Parteibasis rumorte es längst, scharfe Kritik an den Pandemie-Maßnahmen wurde stattdessen lauter.
Narrative von Verschwörungen
Die AfD verliert gerade im diesem Zeitraum, in dem sie harte Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung fordert, an Zuspruch, wo sie sonst erfolgreich Stimmung macht: in den sozialen Medien. Im April 2020, das belegen Daten des Politik- und Kommunikationsberaters Johannes Hillje, sank die Reichweite und »Durchschlagkraft« der AfD auf Facebook und Twitter stark – verglichen mit der Zeit vor der »Corona-Krise«. Zwischen Mitte März und Anfang April 2020 halbierte sich annähernd die Interaktionsrate mit Beiträgen der AfD. Von den schwächsten fünf Facebook-Posts behandelten vier Corona. Die fehlende einheitliche Linie der Partei dürfte mit ein Grund dafür sein, die ausbleibende radikale Kritik am Staat ebenso. Die AfD konnte nur Zuspruch gewinnen, wenn sie Corona mit ihrem Kernthema verband. Ihr erfolgreichster Post zu Corona war denn auch: »Ausgangsperre auch für Flüchtlinge!« so Hillje gegenüber dem »Tagesspiegel« am 7. April 2020.
Der Einbruch bei den sozialen Medien kann aber auch dem autoritären Charakter ihres Klientel geschuldet sein. Die Damen und Herren wollen nicht bloß klare Ansagen, sondern auch einfache Antworten, Erklärungen und eindeutig benannte »Schuldige«. Dieser Haltung ist eine verschwörungsgläubige Mentalität immanent. Die Partei bediente auf Bundesebene diese Mentalität anfänglich nicht, aber einzelne Landesverbände und Kreise scherten früh aus. In Niedersachsen rief der AfD-Kreisverband Hannover-Land unter dem Motto »Unsere Freiheit ist nicht verhandelbar!« zu einer Demonstration auf. Am 8. Mai 2020 wollte er gegen »die Aushebelung der Grundrechte«, die »Angst-Propaganda«, die »Zwangsimpfung« und den »Maskenzwang« auf die Straße gehen. Das Datum, der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, wird kein Zufall gewesen sein. Die Kundgebung wurde zwar abgesagt, die Zeichen waren aber gesetzt. Und der 180-Grad-Kurswechsel mit angetrieben.
Argumentationen von »Querdenken«
Bei den Protesten von »Querdenken« reihten sich AfD-Mandats- und Funktionsträger*innen nicht nur bei den Großdemonstrationen in Berlin zunehmend ein. Allerdings laufen sie der Bewegung hinterher. Zu spät sei die Chance der Fundamentalkritik am Staat durch diese Bewegung erkannt worden, soll Hans-Thomas Tillschneider parteiintern bemängelt haben. Am 6. Juni dieses Jahres zog Tillschneider zum zweiten Mal für die AfD in den Landtag von Sachsen-Anhalt ein. Im Wahlkampf betonte er, der eng mit dem neu-rechten Netzwerk um Götz Kubitschek verbunden ist: »Wir sind die politische Heimat für all jene, die die Coronapolitik ablehnen, für die Querdenker.« In Magdeburg richtete die AfD am 29. April erstmals eine eigene Kundgebung gegen die Corona-Politik der Bundesregierung aus. Auf dem Domplatz sprach sich Tillschneider gegen Impfpflicht und für Bargeldverkehr aus und wetterte: »Der Mundschutz ist ein Maulkorb. Wir lassen uns keinen Maulkorb verpassen.« Noch deutlicher wurde Robert Farle, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion von 2016 bis 2021. Farle, der im September für den Bundestag kandidiert, raunte »Merkel hat einen Plan« und verkündete: »Bill Gates und die WHO wollen uns zwangsimpfen und damit Milliarden verdienen.« Doch er versicherte: »Wir lassen uns nicht zwangsimpfen!« Schon im Landtag hatte Farle gesagt, die Pandemie sei nur erfunden, um die Briefwahl bei der anstehenden Bundestagswahl zu manipulieren. Die Narrative der Verschwörungen der »Querdenken«- und Corona-Leugnenden-Bewegung bekräftigt somit der AfD-Bundestagskandidat, was die Wähler*innengunst in diesem Milieu erhöhen kann.
Auf Bundesebene hatte die Partei schon weit vor der Landtagswahl nachgezogen. Im November 2020 veröffentlichte die Bundes-AfD einen Flyer zur Pandemie zum Download. »Corona. Wie groß ist die Gefahr wirklich?« ist der fragende Titel – ein rhetorischer. Die Antworten im Text spielen die Bedrohung, den Tod von etwa 82.000 Menschen in der Bundesrepublik durch oder mit Covid-19, herunter. »Die Medizin darf nicht schlimmer als die Krankheit sein«, so das Fazit. Selbstverantwortung sei die Rettung. Eine politische Irreführung mit vermeintlich faktischer Argumentation. Ganz im Geist der »Querdenker«. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz, der eine schwere Corona-Erkrankung überlebte, erklärte als Kronzeuge gerne: »Generell gilt: Wir haben keine Pandemie.«