Vier Jahre Zäsur

von Gerd Wiegel
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 191 - August 2021

#Bundestag

In ihrer ersten Legislatur im Bundestag hat die AfD-Fraktion sich professionalisiert und es teilweise geschafft, die Bundesregierung unter Erklärungszwang zu setzen. Ihr Potenzial konnte sie allerdings bislang nicht ausweiten.

Stabilisierung ist ein wichtiges Stichwort bei der Bilanzierung von vier Jahren »Alternative für Deutschland« (AfD) im Bundestag. Trotz der insgesamt nach wie vor prekären Lage der Gesamtpartei vor dem Hintergrund heftiger innerparteilicher Auseinandersetzungen hat die Bundestagsfraktion dazu beigetragen, die AfD in der Gunst der Wähler*innen annähernd auf dem Niveau zu halten, auf dem sie vor vier Jahren eingezogen ist. Keine Kleinigkeit angesichts der veränderten Themenkonjunktur, in der zentrale AfD-Themen wie Flucht/Migration und Euro-Rettung weit nach hinten gerückt sind.

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Keine Entzauberung, kein Weichspülen, keine Abkopplung von der Basis. Wer diese Hoffnungen vor vier Jahren hatte, sieht sich enttäuscht. Stattdessen haben vier Jahre Bundestag der AfD einen Professionalisierungsschub gebracht, der sich in Zukunft auszahlen kann. Kompetenzzuschreibungen, wie sie für die AfD zuletzt bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt verzeichnet wurden, sind wichtig, um aus Protestwähler*innen Stammwähler*innen zu machen. Parlamentsarbeit kann solche Zuschreibungen erzeugen oder untermauern. Am Ende der Wahlperiode liegt die AfD mit ihren parlamentarischen Aktivitäten quantitativ gleichauf mit den anderen Oppositionsfraktionen, was für eine schnelle Professionalisierung spricht.

Radikalisierung und Isolierung

»Wir wollen sie jagen«, mit dieser martialischen Ankündigung des Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland trat die AfD 2017 im Bundestag an. Nach anfänglicher Verunsicherung der anderen Fraktionen erwies sich diese Ankündigung – wie auch manche andere – als heiße Luft. Denn keineswegs lief und läuft alles glatt bei der selbsternannten Alternative. Immerhin sechs Austritte hatte die Fraktion zu verzeichnen, fünf davon aktiv und aus politischen Gründen und einen wegen Parteiausschlusses. Als erster Fraktion in der Geschichte des Bundestages wurde der AfD ein Ausschussvorsitz wieder entzogen. Stephan Brandner, einer der schlimmsten Hetzer der völkischen Rechten in der Fraktion, wurde als Vorsitzender des Rechtsausschusses nach zwei Jahren von allen anderen Fraktionen abgesetzt. Auch ist es der Fraktion über vier Jahre nicht gelungen, einen Posten im Präsidium des Bundestages zu bekommen, da alle ihre Kandidat*innen krachend scheiterten. Nach außen verkauft die AfD das als Arroganz der »Altparteien« und als Ausweis eigener Unangepasstheit.


Tatsächlich haben sich Partei und Bundestagsfraktion in diesen vier Jahren in eine Radikalisierungsspirale begeben, mit der zumindest auf der Oberfläche viele Brücken zu anderen Fraktionen, namentlich der Union, abgebrochen beziehungsweise gar nicht erst gebaut wurden. Von einer Zähmung durch Parlamentarisierung kann zumindest für diese erste Wahlperiode nicht die Rede sein. Der Fraktionsführung ist es nicht gelungen – sollte sie es denn jemals angestrebt haben –, die Union im Bundestag in ähnliche Schwierigkeiten zu bringen wie das in Thüringen oder Sachsen-Anhalt der Fall war. Fraktionsintern soll die Kritik an der Führung stark und die Unzufriedenheit groß sein. Dass mit Alice Weidel eine der Fraktionsspitzen dennoch als Spitzenkandidatin fungiert, spricht nicht für eine breite personelle Auswahl.

Themen und Kampagnen

Hass, Hetze, Rassismus und die Kriminalisierung des politischen Gegners waren über vier Jahre Dauererscheinungen der AfD im Bundestag. Der veränderte Tonfall im Plenum, die Ausweitung des Sagbaren, die Verächtlichmachung ganzer Gruppen von Menschen, das war das Besondere und Typische der AfD in ihrer ersten Wahlperiode. Die Effekte solcher Tabubrüche und kausale Zusammenhänge sind schwer zu bestimmen, aber es ist mehr als ein Zufall, dass die 19. Wahlperiode mit drei großen rechtsterroristischen Anschlägen eine der gewalttätigsten in der Geschichte der Bundesrepublik bezogen auf die extreme Rechte ist.

Verbal ging es der AfD im Bundestag darum, Ethnozentrismus und Ethnopluralismus in griffige Formulierungen zu packen und via Social Media Woche für Woche an ihr Publikum zu senden. Wortprägungen wie »Asylbehaupter«, »Asyltouristen« oder »Messereinwanderung« dienten dazu genauso wie Vergleiche von Geflüchteten mit Raubtieren oder die abwertende Rede von »Kopftuchmädchen«. Mit Formulierungen wie »kulturfremde Kostgänger« oder »frauenverachtende Stammeskulturen« ging es der AfD immer wieder um die Behauptung einer unüberbrückbaren kulturellen Differenz der Muslime, weshalb das Zusammenleben mit ihnen generell nicht möglich sei. Von prominenter Stelle im Bundestag wurden so im Wochenrhythmus Hassbotschaften in eine dafür empfängliche Blase gesendet – sicherlich nicht ohne Effekt.
Ergänzt wurde dieser Rassismus von Anfang an durch den Versuch, demokratische Institutionen zu delegitimieren. Das begann mit Brandners via Facebook verschicktem Foto seines Wahlscheins zur Wahl der Bundeskanzlerin auf einer Bundestagstoilette über die mehrfache Ankündigung durch AfD-Redner, die Kanzlerin von der Regierungs- auf die Anklagebank zu bringen bis zur vom Abgeordneten Thomas Seitz geäußerten Verachtung für die von »den Altparteien geschaffene erbärmliche Parteiendemokratie«. Auch hier ging es der Fraktion um das Signal nach außen, man sei mit dem Bundestagseinzug nicht Teil des verhassten Systems geworden.

Bemerkenswert war die zeitweilige Kampagnenfähigkeit der AfD-Fraktion, die es zum Beispiel im Rahmen der Debatte um den UN-Migrationspakt 2018/19 schaffte, die Regierung unter Erklärungszwang zu setzen. Die Nutzung und Befeuerung von Verschwörungsmythen setzten bei der AfD weit vor Corona ein und orientierten sich stark am Vorbild Donald Trump in den USA. Die rechte Erzählung vom »Großen Austausch« wurde von der Fraktion im Bundestag aufgenommen und mit allen parlamentarischen Mitteln gespielt. Rassismus und Elitenbashing konnten so geschickt miteinander verknüpft werden. Irrationalismen und die Absage an die gemeinsame Grundlage einer Tradition der Aufklärung spielten für die AfD eine große Rolle. So auch beim zweiten großen Thema der Legislatur, der Klimakrise.

Alleinstellung, aber keine Ausweitung des Potenzials

Sehr schnell entdeckte die Fraktion die Position der »Klimaleugnung« als Unterscheidungsmerkmal zu allen anderen Fraktionen für sich, nachdem das Thema Flucht und Migration stärker in den Hintergrund gerückt war. Hatte Gottfried Curio die Rolle des rassistischen Demagogen bei diesem Thema weidlich ausgelebt, trat an dessen Stelle mit Karsten Hilse ein radikaler »Klimaleugner« und völkischer Ideologe, mit dem die Fraktion das Thema öffentlichkeitswirksam besetzte.
Anders als mit dem Thema Flucht/Migration gelang es Partei und Fraktion bei den Themen Klima und später Corona jedoch nicht, die Aufstiegs- und Erfolgsphase fortzusetzen. Über die eigene Anhänger*innenschaft hinaus scheint sie mit ihren Positionen nicht gepunktet zu haben. Umgekehrt ist es keiner der anderen Fraktionen gelungen, die AfD auf einem wichtigen Themenfeld so weit in die Defensive zu drängen, dass sie Probleme bei ihren Anhänger*innen bekommt. Sozialpolitisch hat sich die Fraktion klar als Teil des Eigentumsblocks von CDU/CSU bis zur FDP positioniert. Bei der Ablehnung von Mietendeckel und Mietpreisbremse wurde das genauso deutlich wie bei der Ablehnung der Stärkung der Tarifbindung oder von Vermögens- und Erbschaftssteuer. Aber mit gezielten Schaufensteranträgen zu Ost-Rente oder Leiharbeit gelingt es ihr immer wieder, ein anderes Bild zu erzeugen.

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Die Familien- und Geschlechterpolitik hat sich als ein zentrales und strategisches Thema der Fraktion herausgebildet. Einerseits machen sich hier Flügelunterschiede in der Fraktion nicht so stark bemerkbar. Andererseits lassen sich völkische Politikansätze gut mit einer auf Geburtenförderung und klassischen Rollenmustern basierenden Natalitätspolitik verbinden und schließlich wird mit dem Kampf gegen »Gender-Gaga« noch einmal der vermeintlich kulturelle Gegensatz von Normalbevölkerung und Lifestyle-Elite befördert.

In vier Jahren Bundestag hat die AfD-Fraktion gut gelernt, mit gegensätzlichen Positionen in den eigenen Reihen umzugehen: NATO-Treue und Aufrüstung der Bundeswehr und gleichzeitig Freundschaft mit Russland; Ankläger*in eines islamisch geprägten Antisemitismus und gleichzeitig Verbreitung antisemitisch konnotierter Verschwörungserzählungen; »Klimaleugnung« und gleichzeitig Wahrer*in von Dorf und Natur. Solange die AfD nicht für konkrete politische Entscheidungen verantwortlich gemacht werden kann, scheinen ihr Widersprüche nicht zu schaden. Wie lange allerdings Provokation und Radikalisierung die Erwartungshaltung der Wähler*innen befriedigen, werden die nächsten vier Jahre zeigen.