Der Bundestag als rechter Veranstaltungsort

von Lucius Teidelbaum
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 191 - August 2021

#Türöffner

Während das Vordringen von hunderten von »Reichsbürgern« im August 2020 auf die Reichstagstreppe viel Beachtung erfuhr, wird kaum bemerkt, wie die »Alternative für Deutschland« immer wieder die Tür des Bundestags für ihre Gäste und Freund*innen aus der extremen Rechten öffnet.

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@ Mark Mühlhaus / attenzione

Ende April 2021 durften Oliver Hilburger und Hans Jaus von der rechten Pseudo-Gewerkschaft »Zentrum Automobil« beim »Nighttalk« des bayrischen Bundestagsabgeordneten Petr Bystron im Bundestagsgebäude auftreten. Jaus war ab November 1991 Bundesschatzmeister der 1994 verbotenen »Wiking-Jugend« (WJ). Damit hatte es ein ehemaliger WJ-Funktionär über einen Umweg bis in den Bundestag geschafft. Das war kein Einzelfall.

Schau mal, wer da spricht

Zwischen Februar 2018 und Juni 2021 veranstaltete die »Alternative für Deutschland« (AfD), nach einer unabhängigen Zählung des Autors, mindestens 52 unterschiedliche Veranstaltungen, zu der partei-externe Expert*innen eingeladen wurden. Veranstalterinnen sind entweder die gesamte Fraktion, eine einzelne AfD-Landesgruppe, die »Desiderius-Erasmus-Stiftung« oder einzelne Bundestagsabgeordnete. Im letztgenannten Fall ist es einfacher, sich von in die Kritik geratenen Personen zu distanzieren. Die Themen entsprachen meist dem üblichen Schema der AfD: Linksextremismus, der Islam, Christenverfolgung, Klimawandelleugnung und eine Kritik von Rechts am sogenannten »Verfassungsschutz«, instrumentalisierte Frauenrechte oder ein instrumentalisierter Anti-Antisemitismus. Traten manchmal mehrere partei-externe Referent*innen auf, waren es zumeist Einzelpersonen. Einige schafften es sogar, mehrmals im Bundestag für die AfD aufzutreten: Christian Jung als Experte zum Thema »Linksextremismus« sowie Josef Schüßlburner und Helmut Roewer als Experten zum Thema »Verfassungsschutz«.

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Aber auch geschichtsrevisionistische Veranstaltungen gehören in das Angebot der Rechtsradikalen. So hielt am 11. Dezember 2019 der US-Professor Bruce Gilley im AfD-Fraktionssaal den Vortrag »Die Bilanz des deutschen Kolonialismus. Warum sich die Deutschen nicht für die Kolonialzeit entschuldigen müssen und erst recht nicht dafür bezahlen müssen!«. Veranstalter waren die Abgeordneten Petr Bystron, AfD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, und Markus Frohn­maier, entwicklungspolitischer Sprecher der AfD.


Unterschiedliche Bezeichnungen der Veranstaltungen sollten dem jeweiligen Charakter und der erwünschten Außenwirkung Rechnung tragen. Zu »Symposien« wurde geladen, um etwa den verhandelten Themen Klima oder Corona einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. Ein hochtrabend bezeichneter »1. Alternativer Frauenkongress« fand im November 2018 in den Räumen des Bundestags statt, organisiert von der AfD-Referentin Leyla Bilge. Die Referent*innen kamen zum größten Teil aus der Partei selbst. Der »2. Alternative Frauenkongress« fand dann im März 2020 in einer weniger prominenten Umgebung im Stadthaus Elsterwerda statt.
Auch Konferenzen werden von der AfD im Bundestag abgehalten, so fand zum Beispiel am 11. Mai 2019 die »1. Konferenz der freien Medien« mit Vertreter*innen rechter analoger und digitaler Medien (Print, Blogs, Vlogs) statt. Diesmal war die AfD nicht die alleinige Veranstalterin. Als Mitveranstalter fungierten: »Compact«, »Philosophia Perennis«, »PI-News«, »Opposition 24«, »Deutschland Kurier«, »Die Unbestechlichen«, »Freilich«, »Okzident Media«, »Klagemauer-TV« und die »Vereinigung freie Medien«. Vor Ort vertreten waren unter anderem auch »Ein Prozent« und das »Arcadi-Magazin«. Die AfD-Bundestagsfraktion unterstützte die Veranstaltung finanziell mit einem vierstelligen Betrag. Am 10. Oktober 2020 fand, wieder im Bundestag, die »2. Konferenz der Freien Medien« in deutlich kleinerem Rahmen statt.


Durch die Einladungen der AfD erhalten neu-rechte Organisationen wie »Ein Prozent«, das »Institut für Staatspolitik« (IfS) oder die »Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e. V.« (SWG) Zugang zu Räumen im Bundestag. So konnte Philip Stein, Leiter von »Ein Prozent«, am 4. Juli 2018 für die AfD-Landesgruppe Sachsen-Anhalt vor 60 Personen im Bundestag zum Thema »Linke Förderstrukturen und der neue ›Kampf gegen Rechts‹« referieren. Mit dabei waren die ehemaligen Neonazi-Kader Michael Schäfer und Julian Monaco. Damit schafften es ehemalige NPD/JN-Mitglieder in den Bundestag, wenn auch nur als Gäste. Die SWG tauchte sogar als Mitveranstalterin unter einer Ankündigung zu dem Vortrag »Wie viel Klimawandel macht der Mensch?« von Dr. Sebastian Lüning, dem Autor von »Die kalte Sonne«, am 28. Januar 2019 im Bundestag auf.

Internationalistische Vernetzung

Von der Möglichkeit, den Bundestag als symbolträchtigen Veranstaltungsort für internationales Publikum zu nutzen, macht die AfD ebenfalls Gebrauch, dienen solche Treffen doch auch immer der länderübergreifenden Vernetzung. So fand etwa vom 1. bis zum 3. April 2019 eine dreitägige »Wertekonferenz im Bundestag« mit bis zu 70 Personen statt, veranstaltet vom AfD-Bundestagsabgeordneten Christian Wirt.
Die Teilnehmer*innen kamen aus Estland, Lettland, Litauen, Serbien, Slowakei, Österreich und Großbritannien. Wenig überraschend sind Veranstaltungen mit Vertreter*innen der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ), wie Walter Rauch, Christian Hafenecker oder dem ehemaligen österreichischen Innenmister und jetzigen FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl. Man teilt Ideologie und Sprache miteinander und stellenweise nimmt die Jahrzehnte ältere FPÖ eine Vorbildrolle für die AfD ein.


Auch zur Klimawandelleugnung referierten am 14. Mai 2019 internationale Gäste im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestags. Dort veranstaltete der umweltpolitische Sprecher der AfD Karsten Hilse ein »Alternatives Klimasymposium«. Dazu eingeladen wurden Lord Christopher Monckton (UK), Thomas Wysmuller (USA), Prof. Dr. Henryk Svensmark (Dänemark) und Prof. Gernot Patzelt (Österreich).

Win-Win durch Heimvorteil

Spätestens seit Februar 2018 lädt die AfD zu Veranstaltungen in die Gebäude des Bundestags, wie dem Paul-Löbe-Haus, bei denen auch Personen auftreten, die nicht zur Partei gehören. Der Bundestag ist durch die AfD zu einem rechten Veranstaltungsort geworden. Ausgewählte Aufzeichnungen werden live gestreamt oder später online gestellt, um den Wirkungskreis zu erweitern. Anders als in Gaststätten, Stadthallen oder anderen öffentlich zugänglichen Räumen gibt es hier keinen Protest gegen die AfD-Veranstaltungen. Sie finden abseits einer kritischen Öffentlichkeit statt, auch wenn einzelne Veranstaltungen Kritik in den Medien erfahren haben. Die Partei profitiert jedoch von einer sympathisierenden und mobilisierenden Berichterstattung durch rechte Medienschaffende. Mit ihren Angeboten kann sie außerdem zur Anbindung unterschiedlicher Strömungen der konservativen, christlichen und extremen Rechten an die AfD beitragen.


Auch für die Referent*innen, die der Partei angehören oder dauerhaft bei ihr beschäftigt sind, bieten sich neben dem Austausch mit Gleichgesinnten Vorteile. Ihr ideologischer Input in die Partei kann sich zum Beispiel in Form von Anfragen wiederfinden. Nicht unterschätzt werden darf auch das Renommee, als Expert*in im Bundestag aufgetreten zu sein. Das gilt gerade für bisher eher unbekannte Blogger*innen und YouTuber*innen. Auch der Zugang zu AfD-eigenen Mediennetzwerken – die YouTube-Kanäle erreichen in der Regel mehrere tausend Klicks – trägt dazu bei. Und letztendlich winkt in der Regel ein Honorar.


Mit dem Einzug in den Bundestag hat sich die AfD eine Möglichkeit erschlossen, mit wenig Aufwand störungsfreie Veranstaltungen zu organisieren. Dass die Partei sich nicht darauf beschränken wird, das Parlament als Bühne für rechte Propaganda zu nutzen, hat sie im November 2020 gezeigt. Während einer Demonstration gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben Abgeordnete der AfD einigen »Querdenkern« den Zutritt zum Parlament gewährt; diese bedrängten daraufhin Abgeordnete der anderen Parteien und versuchten diese einzuschüchtern.