Chaos, Spaltung und Zerrissenheit

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 187 - November / Dezember 2020

#AfD

Es brennt und kriselt in der Partei vor dem »Superwahljahr« 2021.

antifa Magazin der rechte rand
2017 war Gauland noch an der Seite von Pressesprecher Christian Lüth (li.). Letzterer nennt sich selbst Faschist und musste 2020 gehen. © Roland Geisheimer / attenzione

Mit der von Jörg Meuthen forcierten formalen Selbstauflösung des »Flügels« und der Annullierung der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz wähnten sich der Bundesvorsitzende der »Alternative für Deutschland« (AfD)und seine Kreise auf der siegreichen Seite in den innerparteilichen Grabenkämpfen. Dazu gehören auch das Parteiausschlussverfahren gegen den Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann und der von Meuthen angestrebte Parteiausschluss des Freiburger Stadtrats Dubravko Mandic. Doch ausgerechnet sein eigener Landesverband in Baden-Württemberg unter Vorsitz von Alice Weidel verschleppte den Rauswurf des Freiburger Anwalts. Der windelweiche Kompromiss: Mandic darf Parteimitglied bleiben, er soll lediglich in den kommenden zwei Jahren kein Amt ausüben dürfen. Mandic steht symbolisch für das »Flügel«-Netzwerk, dessen Einfluss in Weidels Landesverband deutlich gewachsen ist und ihr den Rücken stärken soll, wenn es Ende des Jahres in Haigerloch um die Listenaufstellung im »Ländle« zur Bundestagswahl 2021 gehen wird. Zum »Flügel«-Netzwerk in Baden-Württemberg gehört wie Mandic auch Stefan Räpple, der bei einem Aufmarsch gegen Corona-Maßnahmen zum gewalttätigen Umsturz der Regierung aufgerufen hatte. Selbst seiner Fraktion, die Anzeigen im extrem rechten Magazin »Zuerst!« schaltet, war das zu offen radikal: Sie schloss Räpple aus der Landtagsfraktion aus.

Niedersachsen
Doch immerhin verfügt die AfD im Südwesten noch über eine Landtagsfraktion – anders als in Niedersachsen, wo es zum offenen Bruch kam. Zuvor unterlag die ehemalige Landesvorsitzende Dana Guth auf dem Landesparteitag dem südniedersächsischen Bundestagsabgeordneten aus dem »Flügel«-Netzwerk, Jens Kestner. Kritik an Guths Führungsstil gab es schon länger. Zusätzlich dürfte ihre Abwahl befeuert haben, dass sie dafür gesorgt hatte, dass die Homepage »Alternative Basis«, in der sich AfDler*innen aus dem »Flügel«-Netzwerk sammelten, mit den entsprechenden Facebook- und Twitter-Kanälen offline gehen musste. Kurze Zeit nach dem Landesparteitag verließen Dana Guth, Stefan Wirtz und Jens Ahrends die neunköpfige Fraktion, die daraufhin wegen der erforderlichen Mindestgröße ihren Status und die bisherige Förderung von monatlich rund 100.000 Euro verlor. 15 Mitarbeiter*innen müssen entlassen werden, dem Landtag müssen die nicht für die Fraktionsarbeit verwendeten Zuschüsse zurückgezahlt und alle aus Zuschüssen beschafften Gegenstände zurückgegeben werden. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion und AfD-Ehrenvorsitzende, Alexander Gauland, verlangte daraufhin Guths Rauswurf aus der Partei. Die AfD Niedersachsen kündigte an, Guth, Ahrends und Wirtz aus der Partei auszuschließen.

Schleswig-Holstein
Die AfD im Landtag von Schleswig-Holstein folgte Ende September dem Beispiel der niedersächsischen Fraktion. Nachdem der Landtagsabgeordnete Frank Brodehl die Fraktion verließ, verlor auch sie mit nur noch drei Abgeordneten Fraktionsstatus, parlamentarische Rechte und finanzielle Mittel. Der ehemalige Fraktionschef Jörg Nobis erklärte, »dass sich die Spaltung innerhalb des Landesverbandes seit nunmehr drei Jahren zusehends verhärtet hat« und verwies damit auf die Auseinandersetzung um die ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete und Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein. Seit ihrem vom Bundesschiedsgericht bestätigten Rauswurf im August 2019 ist ihre Nachfolge bis heute offen. Ende November sollen in Neumünster nun die Spitze des Landesverbandes und die Kandidat*innen für die Bundestagswahl gewählt werden. Für den Landesvorsitz haben Gereon Bollmann und Jörg Nobis ihre Kandidatur angekündigt. Bollmann gehörte als Vorsitzender Richter dem AfD-Landesschiedsgericht an, das Sayn-Wittgensteins Rauswurf zunächst abgewiesen hatte. Kurz nach Brodehls Fraktionsaustritt erklärte das Innenministerium in Kiel die »Nachfolgeaktivitäten« des völkischen »Flügels« zum Beobachtungsobjekt für den Landesverfassungsschutz. Besonderes Interesse gilt der Frage, welchen Einfluss Personen aus dem »Flügel«-Netzwerk auf den schleswig-holsteinischen Landesverband der AfD ausüben.

antifa Magazin der rechte rand
Der rechte Rand. Das antifaschistische Magazin (Hrsg.) Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts Einblicke in 20 Jahre »Institut für Staatspolitik« 184 Seiten | zahlreiche Fotos | 2020 | EUR 12.80 ISBN 978-3-96488-074-1

Bayern
Ein Blick in den Süden offenbart Chaos und offene Zerstrittenheit in der bayerischen AfD-Landtagsfraktion; die Mehrheit ließ die Herbstklausur der 20-köpfigen Fraktion platzen. Nicht einmal auf eine gemeinsame Tagungsordnung konnten sich die verkrachten Splittergruppen einigen. Dem vorangegangen war Ende Mai ein gescheiterter Abwahlantrag gegen die Fraktionsspitze, der seitdem mit zwölf Opponent*innen der Rückhalt in den eigenen Reihen fehlt. In dem Konflikt geht es um Kritik an selbstherrlichem Führungsstil, mangelnder Professionalität und falschen Strategien. Nachdem bereits im Juni Rücktrittsforderungen laut geworden waren, wollte die Zwölfergruppe auf der Klausur den Vorstand entmachten, scheiterte aber an der nötigen Zweidrittel-Mehrheit. Mitte September kritisierte die Mehrheitsgruppe, dem Fraktionsvorstand um Katrin Ebner-Steiner und Ingo Hahn gehe es primär um die eigenen finanziellen Vorteile. Dass die interne Auseinandersetzung auch handfeste Formen annehmen kann, zeigt ein Vorfall Mitte Oktober. Der Landtagsabgeordnete Ulrich Singer warf Fraktionschefin Ebner-Steiner vor, ihn bei einem Streit in der Fraktion verletzt zu haben. Als Ebner-Stein anschließend im Landtag ans Rednerpult trat, verließen die zwölf Opponent*innen während der Rede ihrer Fraktionsvorsitzenden geschlossen den Saal.

Hessen
In Hessen bereitet sich die AfD auf die Kommunalwahl im März 2021 vor. Nach eigenen Angaben verfügt sie dort über 223 kommunale Mandatsträger*innen. In der Landtagsfraktion hingegen kracht es auch. Nach parteiinternen Streitigkeiten hat die ehemals 18-köpfige Fraktion den Alterspräsidenten des Landtags und ehemaligen AfD-Landeschef Rolf Kahnt wegen »unkollegialen Verhaltens« aus ihren Reihen ausgeschlossen. Vorab hatte die Fraktion geheime Dossiers über ihn angelegt, in denen sein Verhalten bei Veranstaltungen und in Sitzungen beschrieben und negativ bewertet wurde. Ein anderer Streit in der Fraktion wurde gerade vor dem Landgericht Frankfurt/Main beendet. Demnach darf der AfD-Landtagsabgeordnete Walter Wissenbach seinen Kollegen Andreas Lichert ein »stolzes Mitglied« der »Identitären Bewegung« nennen, wie er es in einer parteiinternen Mailgruppe getan hatte. Dagegen hatte Lichert zunächst eine einstweilige Verfügung erstritten, war jedoch in der nächsten Instanz gescheitert.

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Rheinland-Pfalz
Im Jahr vor der Landtagswahl wurde Anfang September 2020 die ehemalige rheinland-pfälzische AfD-Landtagsabgeordnete Gabriele Bublies-Leifert aus der Partei ausgeschlossen. Sie war bereits im August 2019 aus der AfD-Landtagsfraktion ausgetreten, nachdem sie vergeblich die Abwahl von Fraktionschef Uwe Junge vom Vorsitz gefordert und ihm vorgeworfen hatte, zu wenig für die Aufklärung »extrem rechter Vorwürfe« in den eigenen Reihen zu tun. Als offiziellen Grund für den Ausschluss nannte die Partei »die Nichtzahlung von satzungsgemäß verpflichtenden Mandatsträgerabgaben«. Der rheinland-pfälzische AfD-Fraktionsvorsitzende Uwe Junge klagte inzwischen, immer mehr Landesverbände und Fraktionen zerbrächen »an ihren eigenen Unzulänglichkeiten, Eifersüchteleien und dem Egoismus Einzelner«. Dies liege vor allem am Auftreten der Bundestagsfraktion – deshalb forderte er zuletzt Gauland und Weidel zum Rücktritt auf.

Berlin
Bereits Anfang Juli 2020 klagte knapp die Hälfte der AfD-Frak­tionsmitglieder im Berliner Abgeordnetenhaus in einem öffentlichen ­Schreiben über ein »Klima des Misstrauens und der Destruktivität«. Im Mittelpunkt der Kritik standen vor allem der Führungsstil des amtierenden Fraktionschefs Georg Pazderski und der als »absolut unwürdig« bezeichnete Umgang mit Mitarbeiter*innen. AfD-Abgeordnete streiten sich vor Gericht, ehemalige Mitarbeiter*innen klagen gegen ihre Kündigung – mehrere Verfahren laufen noch. Derweil will der von einem Notvorstand geführte Landesverband nach drei gescheiterten Anläufen nun einen neuen Vorstand und das Schiedsgericht wählen lassen.

Saarland
Auch die AfD im Saarland beendete Anfang Oktober ihre Zeit ohne Landesvorstand, der im März vom Bundesvorstand abgesetzt worden war. Zur Begründung hieß es damals, der Landesvorstand habe »schwerwiegende Verstöße gegen die Grundsätze oder Ordnung der Partei« begangen. Unter anderem ging es um Manipulation bei der Aufnahme von Mitgliedern. In der Stichwahl in Saarbrücken stimmte rund die Hälfte der Delegierten für den AfD-Bundestagsabgeordneten Christian Wirth als neuen Vorsitzenden. Unterstützung erhielt er von Parteichef Jörg Meuthen, der zum Parteitag angereist war. Wirths Gegenkandidat, der frühere Landesgeschäftsführer Christoph Schaufert, wurde ebenso als stellvertretender Vorsitzender gewählt wie Lutz Hecker.

Nordrhein-Westfalen
Bei den Kommunalwahlen Mitte September im bevölkerungsreichsten Bundesland hat die AfD mit durchschnittlich fünf Prozent ihr als Ziel ausgegebenes zweistelliges Wahlergebnis weit verfehlt. Am besten schnitt die Partei in den Städten im nördlichen Ruhrgebiet ab. Die vorangegangenen Konflikte im Landesverband haben dazu geführt, dass einzelne Kreisverbände wegen interner Streitigkeiten keine Listen aufstellen konnten.

Bremen
Wegen interner Querelen um Posten im Bremer Landesvorstand sind zwei AfD-Stadtverordnete in Bremerhaven aus ihrer Fraktion und der Partei ausgetreten, wodurch die AfD auch hier ihren Fraktionsstatus und das Fraktionsgeld von rund 3.000 Euro verloren hat. Für den Fraktions- und Kreisvorsitzenden Thomas Jürgewitz entfallen zudem die Zuschläge für den Fraktionsvorsitzenden. 2019 hatte die AfD bei der Bürgerschaftswahl in Bremen mit ihrem Spitzenkandidaten Frank Magnitz 6,1 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten und war mit fünf Abgeordneten in das Landesparlament eingezogen. Rund drei Monate später traten drei Fraktionsmitglieder aus und bildeten eine neue Gruppe in der Bürgerschaft; mit zwei verbliebenen Personen verlor die AfD somit ihren Fraktionsstatus in der Bürgerschaft. Eine Abwahl des AfD-Landeschefs Peter Beck scheiterte an der fehlenden Zweidrittel-Mehrheit. Trotzdem stimmte die Mehrheit der Mitglieder für Becks Abwahl.

Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt hat sich die AfD klar auf die Seite des »Flügel«-Netzwerks geschlagen. Auf dem Landesparteitag bestätigten die Delegierten mit rund 90 Prozent der abgegebenen Stimmen den Vorsitzenden Martin Reichardt im Amt, der zum »Flügel«-Netzwerk zählt. Ihm stellten die Delegierten mit 85 Prozent der Stimmen den Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider als Vize zur Seite. Auch er gehört den »Flüglern« an und war bis zu ihrer Auflösung 2018 Vorsitzender der völkischen »Patriotischen Plattform« (PP). Der neu gewählte Landesvorstand beschloss, das Parteiausschlussverfahren gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen PP-Aktivisten Frank Pasemann rückgängig zu machen. In seinem Wahlkreis wurde Pasemann Mitte Oktober einstimmig als Direktkandidat gewählt, obwohl ihn das Landesschiedsgericht zwei Monate zuvor vorläufig aus der Partei ausgeschlossen hatte.

Brandenburg
Nach der »Milzriss-Affäre« um den inzwischen aus der Partei geworfenen ehemaligen Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag, Andreas Kalbitz, bewarben sich gleich drei Kandidat*innen um die Fraktionsspitze. Ihre Wurzeln zeigen, dass auch nach dem Abgang von Kalbitz der »Flügel« dominiert. Zuerst kündigte der AfD-Landtagsabgeordnete Christoph Berndt an, für den Vorsitz kandidieren zu wollen. Berndt ist Vorsitzender des 2015 gegründeten rassistischen Vereins »Zukunft Heimat« mit einer guten Vernetzung zu neonazistischen und neu-rechten Gruppen und Initiativen sowie zu neonazistischen Kampfsportler*innen und Fußballhooligans. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Dennis Hohloch, hat für den Fraktionsvorsitz seinen Hut in den Ring geworfen. Er ist ein langjähriger Vertrauter von Kalbitz, musste jedoch nach dessen Faustschlag mit einem Milzriss ins Krankenhaus eingeliefert werden. Weiterhin pflegt Hohloch gute Kontakte zur »Identitären Bewegung«. Ebenfalls angetreten war die stellvertretende Fraktionschefin Birgit Bessin, die 2015 zu den Erstunterzeichner*innen der »Erfurter Resolution« gehörte. Im ersten Wahlgang entfielen auf Bessin sechs, auf Hohloch sieben und auf Berndt acht Stimmen. Die Stichwahl gewann Berndt mit elf Stimmen, auf Hohloch entfielen abermals sieben Stimmen.

Derweil will sich die AfD in Ostdeutschland gegen die Einstufung durch die Verfassungsschutzbehörden wehren. Auf dem vierteljährlichen Treffen der »Ost-Fraktionen« kündigten führende AfD-Politiker*innen in Schwerin in einer gemeinsamen Erklärung an: »Wir wehren uns parlamentarisch und mit allen zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln gegen die unterschiedlichen Grade der Einstufung unserer Parteifreunde.«