Rechtsterroristische »Einzeltäter«

von Hendrik Puls
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 184 - Mai / Juni 2020

#Einordnung

»Einzeltäter« sollten nicht als politisch und sozial isoliert verstanden werden.

antifa Magazin der rechte rand
Auch der Attentäter auf das Münchner Oktoberfest gilt als »Einzeltäter«. Denkmal an der Wiesn in München. @ Mark Mühlhaus / attenzione

Wenn Polizei, Medien oder Politiker*innen Verantwortliche für schwere rechtsmotivierte Gewalttaten vorschnell als »Einzeltäter« bezeichnen, ist Vorsicht durchaus angezeigt. Schließlich kann die Rede von »Einzeltätern« eine entlastende Funktion aufweisen: die Tat erscheint dann als losgelöst von extrem rechten Organisationen und gesellschaftlichen Diskursen. So wird sie lediglich als Ausdruck eines individuellen Hasses oder einer krankhaften Störung wahrgenommen. Somit stellt sich dann weniger die Frage nach einer adäquaten politischen Reaktion als in Fällen, in denen ein Anschlag als Resultat taktischen Handelns einer militanten Gruppe begriffen wird. Hinzu kommt, dass es in einigen Fällen begründete Zweifel an der von den Ermittlungsbehörden präferierten »Einzeltäter«-These gibt. So zum Beispiel beim Anschlag auf das Oktoberfest 1980, dessen Hintergründe noch immer nicht vollständig ermittelt sind.

Ausnahmslos Männer
Gleichwohl gibt es aber rechtsterroristische Anschläge, die »Einzeltäter« verübt haben. Darunter können Personen verstanden werden, die bei der Tatausführung allein und nicht im Auftrag von Dritten gehandelt haben. Nach allem, was wir bislang wissen, ist die Zahl dieser Täter in den letzten zehn Jahren merklich angestiegen. Weltweite Aufmerksamkeit erlangten die Anschläge von Anders Breivik im Juli 2011 in Oslo und Utøya, bei denen er 77 Menschen tötete. Breivik hatte die Anschläge allein geplant, vorbereitet und durchgeführt. Um die rassistische Botschaft seiner Tat zu verbreiten, produzierte er ein Video und einen über 1.000 Seiten langen Text. Nach den Anschlägen in Norwegen stieg das Interesse für solche »Einzeltäter« in den Sicherheitsbehörden und in der Forschung an. Ein bestimmtes soziales Profil der Täter konnte die Forschung allerdings bislang nicht entdecken. Es gibt nur einen eindeutigen Befund: Bei rechtsterroristischen »Einzeltätern« handelt es sich bislang ausnahmslos um Männer. Ansonsten zeichnen sich lediglich einige Tendenzen ab, so haben »Einzeltäter« zum Beispiel eher eine Vorgeschichte psychischer Erkrankungen als Personen, die sich einer terroristischen Gruppe angeschlossen haben.
Breivik ist noch immer ein Vorbild für Täter wie Brenton Tarrant, der im März 2019 ein Massaker in zwei neuseeländischen Moscheen verübte. Breivik war aber nicht der erste, insbesondere in den USA wurden zuvor bereits schwere Anschläge und Mordserien von »Einzeltätern« verübt, so etwa von Abtreibungsgegnern. Und der Autor der fiktiven »Turner Diaries«, William Pierce, machte 1989 einen »Einzeltäter« zum Protagonisten seines zweiten Buchs »Hunter«. Als Vorbild der Romanfigur diente ihm der rassistische Killer Joseph Paul Franklin.

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»Lone wolf« und »leaderless resistance«
In den USA entstand ein Propagandabegriff, der zum Teil noch heute zur Kennzeichnung von Tätern wie Breivik genutzt wird. Neonazis wie Tom Metzger verstanden unter dem »lone wolf« (»einsamer Wolf«) einen Militanten, der verdeckt agiert und ohne Anweisung einer übergeordneten Kommandoebene zu einem selbstgewählten Zeitpunkt schwere Gewalttaten verübt – und sich unter Umständen nicht zur Tat bekennt. In gewisser Weise handelt es sich bei diesen Überlegungen um eine Zuspitzung des »leaderless resistance«-Konzepts (»führerloser Widerstand«), demzufolge der bewaffnete Kampf von kleinen, abgeschotteten und keiner zentralen Kommandostruktur unterstehenden Zellen geführt werden soll, um staatlichen Repressalien zu entgehen. Die Ideen des »leaderless resistance« und des »lone wolf« fanden seit Anfang der 1990er Jahre, vor allem über »Blood & Honour« und »Combat 18«, ihren Weg in die deutsche Neonazi-Szene. Dort hatte man bereits seit den späten 1970er Jahren kleine Zellen gebildet, und auch der Begriff des »einsamen Wolfs« tauchte sporadisch auf. Anschläge von »Einzeltätern«, wie die Morde von Helmut Oxner 1982 in Nürnberg, blieben aber selten.

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»Einzeltäter« wider Willen?
Im Juni 2000 erschoss der 31-jährige Neonazi Michael Berger in Waltrop und Dortmund drei Polizist*innen und wenig später sich selbst. Über seine Motive ist nichts bekannt, er hinterließ kein Bekenntnis. Die polizeilichen Ermittlungen waren eher oberflächlich, den Verbindungen von Berger in die lokale Neonazi-Szene schenkte man nur wenig Aufmerksamkeit. Klar ist aber: Er nahm nicht nur an Treffen der »Kameradschaft Dortmund« teil, er stand auch in Kontakt mit mehreren Neonazis, die wenige Jahre später eine Zelle von »Combat 18« in Dortmund gründeten. Mit einem von ihnen führte er Schießübungen mit einem Sturmgewehr durch. Ein enger Freund von Michael Berger berichtete, »Combat 18« sei im Jahr 2000 Gesprächsthema in der Neonaziszene gewesen. Drei Monate nach den Polizist*innenmorden hängten Dortmunder Neonazis an einer Autobahnbrücke ein Banner mit der Aufschrift »Es geht los, Combat 18« auf. Die Polizist*innenmorde wurden seitens der Behörden nicht als politisch motiviert bewertet, obwohl sämtliche Überlegungen der Ermittler*innen zu Bergers Motiv letztlich spekulativ blieben. Der Entpolitisierung kam entgegen, dass Berger am Tattag aus dem Krankenhaus entlassen wurde und unter Depressionen gelitten hatte.
Michael Berger dürften rechtsterroristische Konzepte bekannt gewesen sein, aber ob für ihn das »lone wolf«-Konzept eine Rolle spielte, ist fraglich. Wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass viele Täter nicht zuvorderst aus taktischen Erwägungen allein handelten, sondern aufgrund ihrer Persönlichkeit. So fanden sie beispielsweise keinen Anschluss an Gruppen beziehungsweise keine Mittäter*innen oder aber ihre psychischen Probleme oder ihre Lebenssituation spielten bei der Entstehung des Tatentschlusses eine wichtige Rolle. Auch bei Michael Berger zeigt sich dieser Einfluss der Persönlichkeit. Daraus folgt auch, dass ein Tatplan in einigen Fällen relativ spontan umgesetzt wurde. Ein Täter wie Breivik, der seine Morde über Monate akribisch vorbereitete, sollte daher nicht als archetypisch gelten.

Entpolitisierung der Taten
Im Umgang mit den Polizist*innenmorden von 2000 zeichnet sich eine Tendenz ab, die auch in der jüngsten Vergangenheit zu beobachten ist: Hinterlässt der Täter kein umfassendes, niedergeschriebenes Bekenntnis und leidet er unter einer psychischen Erkrankung, besteht die Gefahr, dass die politische Dimension der Tat von Polizei und Gerichten an den Rand gedrängt wird. Zwei Beispiele: Der 56-jährige Werner S. griff am 27. November 2017 in einem Imbiss den Bürgermeister seines Wohnorts Altena an, indem er ihm ein Messer an die Kehle hielt und ihn in Todesangst versetzte. Bevor er überwältigt werden konnte, rief er mehrfach: »Ich stech dich ab. Du lässt mich verdursten und holst 200 Ausländer in die Stadt!« Das Opfer, Andreas Hollstein, war für seine Flüchtlingspolitik bundesweit bekannt und von seiten der Rechten stark angefeindet worden. In der Silvesternacht 2018/2019 fuhr der 50-jährige Andreas N. in Bottrop und Essen immer wieder mit seinem Auto in feiernde Menschengruppen, die er für »Ausländer« hielt. Nur durch großes Glück wurde niemand getötet. Nach seiner Festnahme ließ er sich umfassend gegenüber der Polizei ein und erklärte, er sei in die »Kanackenmengen« gefahren, um zu »reinigen«. Er habe ihnen einen »Denkzettel« verpassen wollen. Vor Gericht wiesen beide Täter politische Motive von sich. Auch die Richter sahen keine politischen Taten: Die Tat von Werner S. sei eine »persönliche Kurzschlusshandlung« gewesen, er habe sein Opfer attackiert, weil er sich durch Hollsteins Politik benachteiligt und nicht vertreten gefühlt habe. Andreas N. habe vor dem Hintergrund einer akuten paranoiden Schizophrenie gehandelt, durch die ein plötzliches wahnhaftes Erleben erzeugt worden sei. Folglich sei er schuldunfähig und werde in die Psychiatrie eingewiesen. Eine »ausländerfeindliche Grundhaltung« vermochte das Gericht bei ihm nicht zu erkennen.
Etwas anders wird der Anschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau diskutiert, obwohl auch hier Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Täters, Tobias R., vorliegen. Das ermittelnde Bundeskriminalamt erkennt in der Ermordung von zehn Menschen durchaus einen rassistischen Hintergrund. Tobias R. hatte kurz vor der Tat eine Erklärung und mehrere Videos ins Netz gestellt, in denen er rassistische Vernichtungsfantasien äußerte. Er bezog sich aber auch auf Verschwörungstheorien, die auf eine äußerst krude Gedankenwelt schließen lassen: So zum Beispiel, in den USA würden Kinder in unterirdischen Gefängnissen missbraucht. Nach eigenen Worten wollte er mit seiner Gewalttat dazu beitragen, dass diese »Wahrheiten, die der breiten Masse verborgen sind […], ans Licht kommen«.

Nicht isoliert
Die genannten »Einzeltäter« unterscheiden sich nicht nur dadurch, in welcher Weise sie die Botschaften ihrer Taten kommunizieren, sondern auch durch den Grad ihrer Eingebundenheit in rechte Szenen und Diskurse. Viele Täter weisen durchaus Verbindungen in die rechte Szene auf, haben Kontakte zu Gleichgesinnten oder waren zeitweise in Parteien oder Gruppen organisiert. Zumindest rezipierten sie rechte Diskurse und Narrative. Von Tobias R., Werner S. und Andreas N. ist nicht bekannt, dass sie an rechten Aufmärschen teilnahmen oder Gruppen angehörten. Andere wie Frank S., der 2015 versuchte, die Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker in Köln zu ermorden, oder Stephan K., der im Dezember 2017 eine Bombe auf dem S-Bahnhof Hamburg-Veddel zündete, weisen eine Biografie in der Neonazi-Szene auf. Sie waren bereits in den 1990er Jahren an Gewalttaten beteiligt.
Bei Tätern wie Ali David S., der im Juli 2016 in München acht Menschen ermordete, oder dem Halle-Attentäter Stephan B. ist die Eingebundenheit in extrem rechte Szenen vor allem vermittelt über virtuelle Netzwerke und Gruppen, wie sie sich beispielsweise auf Plattformen wie »8chan« konstituieren.
Es ist somit nicht zielführend, »Einzeltäter« als politisch und sozial isolierte Individuen zu konzipieren, zumal ihre Taten stets auch im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Diskursen zu sehen sind. Es ist sicher kein Zufall, dass die Zahl der rassistischen Anschläge von »Einzeltätern« seit der polarisierenden Flüchtlingsdebatte 2015 und dem Bedeutungszuwachs der extremen Rechten angestiegen ist.