Rechtsterrorismus in der »alten« Bundesrepublik

von Barbara Manthe
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 184 - Mai / Juni 2020

#Geschichte

In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren erlebte der bundesdeutsche Rechtsterrorismus einen blutigen Höhepunkt.

Antifa Magazin der rechte rand
»Wehrsportgruppe Hoffmann«

München, 26. September 1980: Ein Sprengstoffanschlag auf das Münchner Oktoberfest kostete zwölf Besucher*innen und den Täter, den 21-jährigen Gundolf Köhler, das Leben. Wenige Tage lang beherrschte der Rechtsterrorismus das politische und öffentliche Leben in Westdeutschland. Die Bundestagswahlen standen Anfang Oktober an und die Gewalt von rechts hielt als Thema in den polarisierten Wahlkampf zwischen den Regierungsparteien SPD und FDP und der oppositionellen CDU/CSU Einzug. Doch kurz nach den Wahlen flaute das Interesse wieder ab. Der organisierte bundesdeutsche Rechtsterrorismus, der in den 1970er und 1980er Jahren rund zwei Dutzend Menschen das Leben kostete, rückte wieder an die Ränder der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Bis heute existiert nur wenig Wissen über den Rechtsterrorismus in der BRD vor 1990. Während das Oktoberfestattentat als Einzelereignis einer breiteren Öffentlichkeit geläufig ist, sind andere rechtsterroristische Gruppierungen und Taten nahezu unbekannt.

Radikalisierung in Westdeutschland
Seit den späten 1960er Jahren hatte sich ein Teil der westdeutschen extremen Rechten radikalisiert. Setzten viele Rechtsterrorist*innen jener Zeit anfangs Hoffnung und Energie in die 1964 gegründete NPD, scheiterte diese 1969 knapp am Einzug in den Bundestag. Zusätzlich schwächte ab Herbst 1969 ein Richtungsstreit zwischen gemäßigteren und militanten Kräften die Partei. Letzterer Flügel sammelte sich unter anderem in der im Herbst 1970 gegründeten »Aktion Widerstand«, die zum militanten Kampf gegen die »Neue Ostpolitik« unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) aufrief. Mit dieser Politik strebte die Regierung die Annäherung an die DDR und weitere Staaten im sowjetischen Machtbereich an. Nicht zuletzt die Erfahrung gewalttätiger extrem rechter Demonstrationen im Bundestagswahlkampf und in den Monaten danach bestärkte militante Aktivist*innen darin, rechtsterroristische Gruppen zu gründen. Weitgehend unabhängig voneinander entstanden so die »Europäische Befreiungsfront« (EBF) in Nordrhein-Westfalen und die »Nationalsozialistische Kampfgruppe Großdeutschland« (NSKG) mit Schwerpunkt in Bayern. Sie waren strikt antikommunistisch ausgerichtet und bereiteten sich auf den »Tag X« vor – wenn die Sowjetunion in Westdeutschland einmarschierte oder Kommunist*innen im Land die Macht ergriffen. Die Gruppen äußerten aber auch ihre Ablehnung gegen die tiefgreifenden Wandlungsprozesse der Liberalisierung und Modernisierung, die die westdeutsche Gesellschaft seit den 1960er Jahren durchlebte. Beide Gruppen wurden von der Polizei aufgelöst, bevor sie ihre weitgehend vagen Anschlagsplanungen umsetzen konnten. In West-Berlin jedoch, wo eine militante extrem rechte Szene aktiv war, kam es zur ersten schweren Gewalttat: Im November 1970 schoss Ekkehard Weil in Berlin-Tiergarten über die deutsch-deutsche Grenze und verletzte einen sowjetischen Wachsoldaten schwer.

Wehrsportgruppen und Vernetzungsversuche
Ab Mitte der 1970er Jahre entstanden mehr und mehr sogenannte »Wehrsportgruppen« (WSG), beispielsweise die »Wehrsportgruppe Hoffmann«, die Karl-Heinz Hoffmann 1973 gründete. Sie erfreuten sich großer Beliebtheit bei jüngeren, vorwiegend männlichen Neonazis. Mit ihrer Affinität zu Waffen und militärischem Gehabe sprach die WSG Hoffmann zahlreiche spätere Rechtsterrorist*innen an. Diese und andere Gruppen, wie die »Volkssozialistische Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit« (VSBD/PdA) unter Friedhelm Busse oder die »Aktion Nationaler Sozialisten« (ANS) unter Michael Kühnen boten dem rechtsterroristischen Milieu in der Bundesrepublik ein halblegales Betätigungsfeld und einen Ort der Vernetzung.
Ab 1977 bildeten sich in Norddeutschland mehrere rechtsterroristische Gruppierungen, die Überfälle und Anschläge verübten – so etwa die »Kühnen-Schulte-Wegener-Gruppe« im Herbst 1977, die eine Bank ausraubte, Überfälle beging und politische Attentate plante. Mitglieder der niedersächsischen Gruppe um den Nazi Paul Otte verübten im Oktober 1977 einen Sprengstoffanschlag auf das Hannoveraner Amtsgericht und planten 1978 einen weiteren Anschlag auf eine Synagoge in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Auch in Schleswig-Holstein wurden in diesen Jahren Rechtsterrorist*innen aktiv; ein Mitglied der »Eisermann-Gruppe« verübte im September 1977 ein Bombenattentat auf die Flensburger Amtsanwaltschaft.
So sehr neonazistische »Führer« auch um Einfluss konkurrierten und die Szene in sich keineswegs geschlossen war, gab es doch Versuche der Vernetzung und Kooperation. So trafen sich im Oktober 1977 auf Initiative von Paul Otte Rechtsterroristen aus Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein, um Anschläge zu besprechen. Bei diesem Treffen verteilte Otte selbstgebaute Rohrbomben. Als Treffpunkt diente die Wohnung von Hans-Dieter Lepzien, einem aktiven Mitglied der Otte-Gruppe. Lepzien war, wie sich später beim Gerichtsverfahren gegen die Gruppe herausstellte, eine Vertrauensperson (VP) des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Er sollte die Gruppe beobachten, sein Hinweis auf den geplanten Anschlag auf die Hannoveraner Synagoge ließ die Gruppe letztlich auffliegen – von anderen Bomben oder Anschlägen habe er aber nichts berichtet, so die Behörde im Nachhinein, als Lepziens Rolle für Schlagzeilen gesorgt hatte. Allzu viele Details über VP in rechtsterroristischen Gruppierungen sind freilich nicht bekannt. Es existieren zwar vereinzelte Hinweise über einige weitere Personen, so etwa Helmut Krahberg, Mitglied der oben erwähnten EBF und VP des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Belastbare Informationen über die Anzahl oder Rolle der Vertrauenspersonen in rechtsterroristischen Gruppen oder deren Nahfeld gibt es allerdings nicht. Bislang liegt der Großteil der Verfassungsschutzakten unter Verschluss.

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Während die Gruppen der frühen 1970er Jahre vor allem antikommunistisch ausgerichtet waren, bekämpften Rechtsterrorist*innen in den Folgejahren zunehmend die kritische Erinnerung an den Nationalsozialismus, was meist mit einem ausgeprägten Antisemitismus einherging. So plante Peter Naumann mit einem Komplizen einen Anschlag, um die Erstausstrahlung der US-amerikanischen TV-Serie »Holocaust« im deutschen Fernsehen zu verhindern. Im Januar 1979 explodierten dann während einer einführenden Dokumentation zwei Sprengsätze an Sendemasten und störten bei hunderttausenden Fernsehgeräten die Übertragung. Erst 1987 konnte der Fall aufgeklärt werden.

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Ausgabe 184 Terror von rechts

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Eskalation der Gewalt
In den frühen 1980er Jahren eskalierte die Gewalt. Allein im Jahr 1980 forderten rechtsterroristische Taten das Leben von 18 Menschen. Der bislang schwerste terroristische Sprengstoffanschlag in der Geschichte der BRD war das Attentat auf das Münchner Oktoberfest mit dreizehn Toten. Der Täter, Gundolf Köhler, hatte einige Jahre zuvor an Übungen der WSG Hoffmann teilgenommen; wie tief er in die Szene eingebunden und was seine Motivation gewesen war, ist bis heute jedoch unklar.
Nur wenige Wochen später, am 19. Dezember 1980, geschah eine weitere Mordtat: Uwe Behrendt, Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann und enger Vertrauter Karl-Heinz Hoffmanns, erschoss in Erlangen den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und dessen Partnerin Frida Poeschke. Mit der Hilfe Hoffmanns konnte Behrendt nach der Tat ins Ausland fliehen und starb im Herbst 1981 im Libanon, vermutlich durch Suizid. Jahre später wurden Hoffmann und seine Lebensgefährtin wegen der Tat angeklagt, doch das Gericht sprach sie schlussendlich vom Vorwurf des Mordes frei.

Dass Behrendt nach seiner Tat untertauchte, weist auf einen wichtigen Trend der frühen 1980er Jahre hin: Immer mehr Rechtsterrorist*innen entschieden sich dafür, ihr reguläres Leben aufzugeben. So tauchten Mitglieder einer Gruppe um die Neonazis Klaus Uhl und Kurt Wolfgram 1980/81 bei Gesinnungsfreund*innen in Frankreich unter. Um Karl-Heinz Hoffmann sammelte sich rund ein Dutzend Neonazis, die 1980/81 im Bürgerkriegsland Libanon als »Wehrsportgruppe Ausland« ein Camp der »Palästinensischen Befreiungsorganisation« (PLO) besuchten. Einige der Männer wurden in Deutschland von den Strafbehörden gesucht, so etwa Uwe Behrendt oder der Aktivist Odfried Hepp.

Nachdem sich 1981 die WSG Ausland aufgelöst hatte, gingen einige der Rückkehrer in Westdeutschland in den terroristischen Untergrund, so auch Hepp: Zusammen mit dem Neonazi Walther Kexel und vier weiteren Männern verübte er 1982 im Rhein-Main-Gebiet eine Reihe von Bombenanschlägen gegen die U.S. Army und überfiel Banken.

Rassismus als Motiv
Die 1980er Jahre markieren eine weitere zentrale Verschiebung im bundesdeutschen Rechtsterrorismus: Rassismus wurde zu einem dominierenden Tatmotiv. Die »Deutschen Aktionsgruppen« um den Neonazikader Manfred Roeder verübten mehrere Anschläge gegen Geflüchtetenunterkünfte. Auch in den folgenden Jahren griffen Rechtsterrorist*innen aus rassistischen Motiven Menschen an, so etwa Helmut Oxner, der 1982 in Nürnberg zwei schwarze US-Amerikaner und einen Ägypter erschoss.
Während sich ab Mitte der 1980er Jahre die extrem rechte Szene wandelte – neue militante neonazistische Gruppierungen wie die »Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei« wurden zu wichtigen Akteuren und subkulturelle Strömungen wie die Skinheadkultur vermischten sich mit der Neonaziszene – nahmen rassistische Übergriffe zu. Parallel dazu konnte die extreme Rechte in der BRD an eine vergiftete gesellschaftliche Migrationsdebatte anknüpfen und neue Parteien wie »Die Republikaner« verbuchten Wahlerfolge. Auch die rechtsterroristische Szene wandelte sich, da zahlreiche Akteur*innen der 1970er und 1980er Jahre untergetaucht waren, im Gefängnis saßen oder tot waren.

Im Dezember 1988 starben bei einem rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Schwandorf (Bayern) drei Mitglieder einer türkeistämmigen Familie und ein Deutscher. Dieser Anschlag markierte den Beginn einer beispiellosen Welle rassistischer und neonazistischer Gewalt in den frühen 1990er Jahren. Ein Blick auf die Geschichte des Rechtsterrorismus zeigt: Er hatte eine lange Vorgeschichte in der »alten« Bundesrepublik.