Die Sicherheitsorgane

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 184 - Mai | Juni 2020

#Ambivalenzen

Die Anfeindungen hören nicht auf. Seit Monaten wird David Janzen von der militanten rechten Szene bedroht. An die Tür des Wohnhauses der Familie des Sprechers des Braunschweiger Bündnisses gegen rechts wurde schon eine zähflüssige Substanz angebracht, in den Briefkasten eine säureähnliche Flüssigkeit geschüttet und an der Tür rechte Aufkleber geklebt. Per Post erhielt die Familie nun ein Paket, in dem unter Zeitungspapier ein vergammelter Schweinekopf lag. »Ich musste fünf Minuten mit einem Kripobeamten am Telefon diskutieren, weil er meinte, das sei keine Straftat und auch keine Bedrohung«, sagt Janzen. Und er betont, erst als er mit einem Anruf bei dem Landesinnenminister in Niedersachsen, dem Polizeipräsidenten und der Presse drohte, wurde eine Ermittlung eingeleitet.

»Größte Bedrohung«
Dieses Verhalten der Polizei passt so gar nicht zu der Aussage des Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU), der »Rechtsextremismus« sei die »größte Bedrohung« in Deutschland. Sie passt auch nicht zu der Ansage des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD), bei rechter Gewalt bestehe eine »höhere Sensibilität«. Der Umgang mit der Bedrohung wirft eher die Frage auf, wie würde jetzt ermittelt, wenn es nicht Janzen getroffen hätte, der auch als Journalist über die Extreme Rechte berichtet und für dieses Magazin schreibt sondern jemanden von den so vielen Bedrohten und Angegriffenen ohne politische Erfahrung, ohne politisches Netzwerk? Der Staat wäre nicht an ihrer Seite, wie so oft in diesem Deutschland. In den Sicherheitsorganen der Republik scheinen alte Wahrnehmungen der Gründungsjahre weiter zu bestehen. 2020 ist nicht 1970 oder 1990. Das Personal ist zwar neu, die Organisationsstrukturen sind allerdings anders. Eine Mentalitätsveränderung scheint auch hier und da gegeben – der Feind steht nicht mehr alleine Links. Die analytischen Instrumentarien sind jedoch geblieben: die Extremismustheorie. Die Links-Rechts-Gleichsetzung verhinderte mit die Aufdeckung des NSU. Mehr noch, sie ermöglichte den Aufbau des Kern-Trios. Nicht nur weil der V-Mann Tino Brandt mit dem Geld des Thüringischen Verfassungsschutzes das Kameradschaftsnetzwerk »Thüringer Heimatschutz« aufbauen konnte. Im ersten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Erfurt sagte 2013 der ehemalige zuständige Oberstaatsanwalt Arndt Koeppen, er habe eine Anfrage des Trios, über das Strafmaß zu verhandeln, »kategorisch« abgelehnt. Die offensichtliche Logik hinter dem »kategorisch«: mit Terrorist*innen oder politischen Täter*innen verhandelt der Staat nicht. Der dramatische Denkfehler ist hier nicht nur die Gleichsetzung, sondern auch die Faktenausblendung. Zu dem Zeitpunkt als die drei aufgeben wollten, hatten sie noch niemanden getötet.

Druck von Außen
Die gegenwärtige Entwicklung des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Hans-Georg Maaßen lässt ahnen, welche Geisteshaltung weiter vorherrschen könnte. Oder soll bei dem Karriereweg bis an die Spitze die harte rechte Einstellung nicht aufgefallen sein? Oder wollte man sie nicht sehen? Zur Erinnerung: von August 2010 bis November 2018 war er Präsident des Bundesamtes, zuvor ab August 2008 leitete er als Ministerialdirigent im Bundesinnenministerium den Stab Terrorismusbekämpfung in der Abteilung Öffentliche Sicherheit. Für das CDU-Mitglied aus der »WerteUnion« ist eines klar: der Feind steht links. Wie viele von diesem Typus, für den die Linken-Feindlichkeit oder Antikommunismus leitend ist, werden in den Sicherheitsorganen sein? Die größte Bedrohung sehen sie weiterhin von links. Da werden letztlich brennende Autos mit brennenden Menschen gleichgestellt. In dieser Tradition des Antikommunismus muss eine Vereinigung für Verfolgte des Nationalsozialismus als Staatsfeind etikettiert und deren Gemeinnützigkeit aberkannt werden – und weitere NGOs für Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit oder progressive Politik ebenso. In dieser Ambivalenz scheinen mit dem Führungswechsel beim BfV zu Thomas Haldenwang die Maßnahmen gegen die Extreme Rechte engagierter angegangen zu werden. Verbote von militanten Gruppen wie »Combat18« erfolgten, Beobachtungen von intellektuellen Netzwerken, wie dem »Institut für Staatspolitik«, ebenso – staatliche Interventionen, die offensichtlich durch journalistische Recherchen und zivilgesellschaftliches Engagement, mit angestoßen worden. Der Fall des rausgeworfenen brandenburgischen Landtagsfraktionsvorsitzenden der »Alternative für Deutschland« (AfD) Andreas Kalbitz ist dafür ein Beispiel wie auch die Debatte um eine Beobachtung der AfD.

Die Praxis
Diese Ambivalenz wirkt sich bei allen Geheimdiensten beim rechten Terror aus. In dem Versuch der Nebenklage im NSU-Prozess, Netzwerken der Unterstützung nachzugehen, offenbarten sich verschiedenste Verstrickungen von rechter Szene und staatlichen Organen. Sie waren nicht die ersten, die bekannt wurden. Die V-Mann und -Frau-Praxis der Behörden und Ämter ließ das erste Verbotsverfahren 2003 gegen die NPD scheitern und belastete 2017 das zweite Verfahren nachhaltig. Der Ermittlungserfolg gegen die »Gruppe S.« 2020 könnte noch durch den Informanten Thorsten W., einen Mitarbeiter der Polizeiverwaltung in Nordrhein-Westfallen, getrübt werden. Diese Verbindungen führten im NSU-Verfahren öfter zu einer Schweigeallianz, die Rechten konnten sich mal nicht erinnern, die Beamt*innen durften mal nichts sagen. Diese Ambivalenz zum rechten Terror spiegelt das BfV wohl auch unabsichtlich in seinen Jahresberichten wider. 2017 findet sich ein Unterkapitel »Rechtsterrorismus«, 2018 fehlt dieses Kapitel. 2019 liegt noch nicht vor. Im vergangenen Jahr starben drei Menschen durch rechtsterroristische Anschläge und durchschnittlich fanden fünf Angriffe täglich statt. Am 12. Mai legte der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt diese Zahlen vor, sie beruhen allein auf den Zahlen der fünf ostdeutschen Bundesländer, von Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Die Zahlen dürften folglich unter Berücksichtigung aller Bundesländer noch steigen – und einmal mehr eine Differenz zu der staatlichen Statistik aufzeigen. In »allen Bundesländern« bestehe das Problem, dass Polizei und Justiz »die Tatmotivation nicht wirklich herausarbeiten, nicht ernst nehmen, nicht in diese Richtung ermitteln«, sagt Sebastian Scharmer. Der Rechtsanwalt vertritt immer wieder Opfer rechter Gewalt, die sich bei der Aufklärung vom Staat verlassen fühlen. »Es sind sicher keine Einzelfälle«, betont er.
Am 1. Mai 2017 hatten in Halle Anhänger*innen der neonazistischen »Aryans« aus Hessen mehrere Menschen in der sachsen-anhaltischen Stadt angegriffen und verletzt. Erst durch das Engagement von Anwält*innen der Opfer wurde der Angriff 2019 nicht vor dem Amts-, sondern dem Landgericht verhandelt. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten den Prozess lediglich am Amtsgericht führen wo Bagatellvorwürfe wie Schwarzfahren oder der Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln, verhandelt werden wie Scharmer erklärte, »aber sicherlich nicht gefährliche Körperverletzung an mehreren Stellen mit mehreren Personen und Waffen beziehungsweise gefährlichen Gegenständen bei rechtsextremer Gesinnung«. Im Verfahren wurden Verbindungen einer Täterin zu einem Polizisten aufgedeckt. Die Staatsanwaltschaft hingegen unterließ es, ein Handy eines Hauptverdächtigen auszuwerten. Den Akten nach, so die Süddeutschen Zeitung, war für die Staatsanwaltschaft der Fall ein »typisches Alltagsgeschäft« – eine doppeldeutige Aussage.