Polarisierung, Desinformation und Hass

von Karsten Smid
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 181 - November / Dezember 2019

#Klimadiskurs

Der Parteichef der »Alternative für Deutschland« (AfD), Alexander Gauland, kündigte Ende September 2019 an, die Partei werde sich künftig verstärkt auf den Protest gegen die Klimaschutzpolitik konzentrieren. Die AfD habe hier ein »Alleinstellungsmerkmal«, denn alle anderen Parteien würden »den Irrsinn mitmachen«, den die schwedische Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg anheize.

Antifa Magazin der rechte rand
Proteste gegen die Leugnung der menschengemachten globalen Erwärmung beim Climate March im April 2017 in Washington, D.C.
@ wikipedia / Edward Kimmel, CC BY-SA 2.0


Mit rechtspopulistischen Hetzzeitschriften, gesteuerten Trollarmeen im Internet und Eigenproduktionen auf YouTube wie »Dieseltod im Ökowahn« sowie mit Unterstützung von betagten Klimaleugner*innen erschafft die AfD derzeit eine eigene Sphäre, deren Wirkung massiv unterschätzt wird. Nicht nur in den sozialen Netzwerken zeigt die Offensive von rechts Wirkung. Im Vokabular der »Neuen Rechten« ist Klimaschutz »links«, wird Wissenschaft »Ideologie« genannt, heißt das Einhalten von gesellschaftlichen Regeln und Gesetzen »Ende der individuellen Freiheit«, und vorausschauendes und nachhaltiges Handeln wird verunglimpft als »Ökodiktatur«. Die organisierte Klimaleugner*innen-Szene ist eine heterogene Gruppe von bezahlten Kohle-Lobbyist*innen, rechtspopulistischen Funktionär*innen der AfD und von Verschwörungstheoretiker*innen, bis hinein in rechtkonservative Kreise von CDU und FDP sowie hetzenden Freizeitblogger*innen. Den Rechtspopulist*innen geht es dabei nicht um eine inhaltliche Debatte. Es geht ihnen um eine fundamentale Ablehnung der etablierten Institutionen und die Zerstörung von wichtigen gesellschaftlichen Strukturen wie Journalismus und Wissenschaft.

Die »Tabakstrategie«: Zweifel streuen
Die Klimaleugner*innen wenden dabei die »Tabakstrategie« an. In den 1990er Jahren wurden in den USA wissenschaftliche Tatsachen diskreditiert, die einen Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Krebs aufzeigten. Die Methode lautete: Zweifel säen und eine Kontroverse am Leben erhalten, die gar nicht existiert. Normale Unsicherheiten bei wissenschaftlichen Ergebnissen wurden instrumentalisiert, um Einfluss auf die politische Debatte auszuüben. Ein Ziel bestand darin, die wissenschaftlichen Grundlagen für Umwelt- und Gesundheitsschutz zu unterminieren, indem generell Wissenschaftler*innen in diesen Bereichen unglaubwürdig gemacht wurden. Die Tabakkampagnen waren ein Lehrstück über die Macht der Industrielobby und ihrer Handlanger*innen aus Politik und Wissenschaft und ein Beweis dafür, wie erschreckend einfach es möglich ist, mit unlauteren Absichten selbst seriöse Medien zu beeinflussen und mit nachweislich falschen Informationen zu »füttern«.


Dabei ging es nie darum, die andere Seite zu überzeugen. Der Sinn bestand allein darin, Zeit zu gewinnen. Politik und Öffentlichkeit sollte der Eindruck vermittelt werden, dass es noch zu früh sei, sich mit einer Entscheidung festzulegen. Dieser Zeitgewinn war exakt der ökonomische Gewinn der interessierten Unternehmen, die diese Think Tanks finanziell unterstützen.

Internationale Vorbilder
In den USA haben die millionenschweren Desinformationskampagnen der Ultrakonservativen eine lange Tradition. Polarisation ist eine effektive Strategie, um Kontroversen zu erzeugen, Zweifel zu streuen und Fortschritt zu verzögern. Lobbying gilt als ein wichtiger Faktor für den Erfolg oder Misserfolg der Klimaschutz-Gesetzgebung. Eine Studie von Professor Robert Brulle schätzt die Ausgaben für Lobbyarbeit im Zusammenhang mit der Gesetzgebung zum Klimawandel im US-Kongress von 2000 bis 2016 auf über zwei Milliarden US-Dollar.

Die Brüder Charles und David Koch, die Inhaber von Koch Industries, gehören zu den reichsten Amerikanern und mächtigsten Strippenziehern der Neokonservativen. Stiftungen von Koch Industries, ExxonMobil und anderen Finanziers spenden an die ultrakonservative »Tea Party« für deren Attacken auf Klimawissenschaftler*innen. Denkfabriken der Rechten wie das »Heartland Institute«, das »Committee for a Constructive Tomorrow« (CFACT) und »Americans for Prosperity« haben zum Ziel, politische Initiativen bei Klimaschutz und Luftreinhaltung zu verzögern oder zu blockieren. Dabei werden die millionenschweren Geldflüsse über den Weg der Stiftungen verschleiert und gelangen über dubiose Kanäle zu den Fake-Kampagnen der Leugner*innen-Szene. Die am längsten bestehende US-Anti-Klimaschutz-Koalition, die »Cooler Heads Coalition« (CHC), beschreibt sich selbst als »informelle ad-hoc-Gruppe, die sich darauf konzentriert, die Mythen der globalen Erwärmung zu zerstreuen (…)«. Mit anderen Worten: eine Koalition von Organisationen, die Klimaschutz ablehnt und seit 1997 daran arbeitet, die Umsetzung einer wirksamen Klimapolitik zu verhindern.

Bei dem unkontrollierbaren Geflecht aus Lobbygruppen, die nicht den Regeln der Parteienfinanzierung unterworfen sind, handelt es sich um die größte Spendensammelmaschine der Rechten. Ein verschachteltes System aus Organisationen, das allein im Wahlkampf 2012 hunderte Millionen Dollar für rechte und neoliberale Propaganda und Stimmungsmache gegen Klimaschutz investierte.


Es waren auch die von Exxon und Koch finanzierten Leugner*innen, die Trump dazu drängten, das Pariser Klimaabkommen aufzukündigen. Myron Ebell gilt mit seinen verbalen Attacken gegen Klimaforscher*innen als einer der schillerndsten Klimaleugner der USA. Ebell ist Direktor des Zentrums für Energie und Umwelt des »Competitive Enterprise Institute« (CEI) und einer der vehementesten Fürsprecher des freien Marktes und Gegner von Umwelt- und Klimaauflagen. Er ist Vorsitzender der CHC und leitete zudem Donald Trumps Aktionsteam zur Reform der US-Umweltbehörde EPA und galt als einer der Strippenzieher, der Präsident Donald Trump überzeugte, sich vom Pariser Klimavertrag zu verabschieden.

Ebell ist nicht nur in den USA ein gern gesehener Gastredner, auch die deutschen Klimaleugner*innen vom »Europäischen Institut für Klima & Energie« (EIKE) wollen ihn auf ihrer kommenden Tagung im November 2019 in München per Videokonferenz zuschalten. Hauptsponsor der jährlichen Veranstaltung der deutschen Klimaleugner*innen ist erneut das amerikanische »Heartland-Institute«.

Die Zerstörung gesellschaftlicher Grundpfeiler
Mit der Strategie, den menschengemachten Klimawandel einfach zu leugnen, stellen Lobbyist*innen wie Rechtspopulist*innen einen funktionierenden Mechanismus moderner Gesellschaften in Frage: die Rolle naturwissenschaftlicher Expertise in der politischen Entscheidungsfindung. Pseudo-Expert*innen, die eine quer zum Stand der Forschung liegende Meinung vertreten, bekommen eine Bühne, Daten werden selektiv herausgepickt, unerfüllbare Anforderungen an wissenschaftliche Forschung gestellt und im Zweifel Verschwörungstheorien vertreten. Ebenso gehört der Rückgriff auf Falschdarstellungen, logische Fehlschlüsse und die ständige Wiederholung längst widerlegter Behauptungen zum Handwerkszeug bei der Konstruktion von »Alternativen Fakten« und »gefühlten Wahrheiten«.

Die Rechtspopulist*innen zielen darauf ab, die gesellschaftliche Verständigung zu einem entscheidenden Thema zu zerstören. Sie leugnen nicht nur allgemein akzeptierte Fakten, sie bezeichnen auch die Anderen als Lügner. Damit greifen sie neben den Wissenschaftler*innen auch die Journalist*innen (»Lügenpresse«) an.

Hass in den sozialen Medien
Es handelt sich in vielen Fällen um gezielte Versuche, Klimaaktivist*innen unter Druck zu setzen und einzuschüchtern. Dabei existiert ein starkes Ungleichgewicht in den sozialen Netzwerken. Journalist*innen müssen Presserechte einhalten und sind zu sorgfältiger Recherche verpflichtet. In den sozialen Medien zählt das nicht. Die AfD ist hier aus zwei Gründen die am stärksten vertretene Partei: Zum einen hat sie einen Grund, die normalen Medien zu umgehen, da dort aus ihrer Sicht die staatsfinanzierte »Lügenpresse« publiziert. Zum anderen hat sie hyperaktive Nutzer*innen, die jeden Post der AfD liken. Dabei generieren beleidigende populistische Posts besonders viele Likes und Klicks. Populistische Propaganda, die zum Algorithmus von Facebook, Twitter und Instagram passt.

Die extreme Rechte hat die Ebene der Fakten längst verlassen, sie will Wut und Hass schüren. Soziale Netzwerke ermöglichen die gezielte Verbreitung von propagandistischen Informationshäppchen. Mit systematisch geplanten Desinformationskampagnen werden vorsätzlich irreführende Inhalte oder Halbwahrheiten in falschen Zusammenhängen beziehungsweise verschwörerischen Verknüpfungen in Umlauf gebracht. So tauchen in den sozialen Medien manipulierte Bilder auf, die George Soros zusammen mit Greta Thunberg zeigen, um die Erzählung einer jüdischen Weltverschwörung zu propagieren.

In dem verschwörungsideologischen Querfront-Magazin »Compact« der Rechtspopulist*innen, einem Sprachrohr der AfD, schreibt Chefredakteur Jürgen Elsässer zum Titelthema vom April 2019 »Greta nervt – Klimahysterie als Ersatz-Religion« über »die Heilige der neuen Klimareligion«. Im Magazin erscheint auch ein Artikel über den »Aufstand der Zahnspangen-Jugend« (gemeint ist Fridays for Future), verknüpft mit einer schrägen Geschichte über antike Opferkulte und das Vergießen von schuldlosem Kinderblut, um zornige Götter zu besänftigen. Und in der Compact- Spezialausgabe »Klimawandel – Fakten gegen Hysterie« werden alter Brei und längst widerlegte Thesen zum menschengemachten Klimawandel wieder aufgewärmt. Dort kommt auch EIKE-Präsident und Exekutiv-Direktor des Netzwerkes CFACT Europa, Holger Thuss, mit einem Interview aus dem Jahr 2009 zu Wort.

Wissenschaftliche Scheinseriosität in Anhörungen
Die AfD-Fraktion und ihr umweltpolitischer Sprecher, Karsten Hilse aus Sachsen, veranstalteten am 15. Mai 2019 ein »Alternatives Klimasymposium« im Deutschen Bundestag mit altgedienten internationalen Klimaleugner*innen. Der Vortrag von Lord Christopher Monckton stellte mal wieder die Grundlagen der Klimaphysik in Frage. Professor Henryk Svensmark wärmte die alte These der Sonnenfleckenzyklen auf. Thomas Wysmüller aus den USA bezweifelte den Anstieg des Meeresspiegels als Folge der Klimaerwärmung. Und der Glaziologe Professor Gernot Patzelt wiederholte zum x-ten Mal seine längst widerlegte These, dass die Gletscherschmelze natürlichen Ursprungs sei. In der anschließenden »Fachdiskussion« wurde über mögliche Zusammenhänge zwischen dem gehäuften Auftreten von Kornkreisen und der Hitzewelle 2003 gefachsimpelt. In diesem Punkt konnte Lord Monckton überzeugend darstellen, dass zumindest die Kornkreise menschengemacht sind.

An der Organisation der Anhörung beteiligt war auch EIKE-Vizepräsident Michael Limburg. So missbraucht die AfD den Deutschen Bundestag als Bühne für die Verbreitung ihrer Klimalügen: Sie lädt Fake-Expert*innen zu sogenannten Fachsymposien über Klimawandel, generiert Inhalte mit wissenschaftlicher Scheinseriosität und verbreitet sie massenhaft über die von ihnen dominierten Social Media-Kanäle.

Hilse äußerte sich 2018 im Bundestag, die AfD sage »hier und heute der Irrlehre des von Menschen gemachten Klimawandels den Kampf an«, für die es keine Beweise gebe, und forderte anschließend »den Ausstieg aus allen diesbezüglichen nationalen und internationalen Verträgen und Gremien«. In seinem Abgeordnetenbüro beschäftigte er unter anderem Michael Limburg, der auch am Klimateil des AfD-Wahlprogramms mitschrieb.

Der umtriebige Bundestagsabgeordnete Hilse mischte sich auch unter die Klimademo von Fridays for Future und verteilte ein AfD-Klimaquiz mit Suggestivfragen. Die irreführenden Fragen des Schüler-Klimaquiz hat Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgen (PIK) klimawissenschaftlich kritisch analysiert. Doch Hilse behauptet wahrheitswidrig auf seiner Facebook-Seite: »Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung bestätigt Fakten des AfD-Klima-QUIZ!«

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Die Internetplattform »Klimafakten.de« kommt in einer Untersuchung des Grundsatzprogramms der AfD zu dem vernichtenden Fazit, dass es zum Thema Klimaschutz fast keine Aussage enthält, die mit dem Stand der Forschung zum Klimawandel vereinbar ist. Stattdessen finden sich in erheblicher Zahl eklatant falsche und irreführende Aussagen, über die in der Wissenschaft seit längerer Zeit ein nahezu vollständiger Konsens herrscht.

EU-Klimapolitik torpedieren
Bereits heute sitzen extrem rechte und rechtspopulistische Parteien in sieben nationalen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Nach einer aktuellen Untersuchung der Berliner Denkfabrik »adelphi« kommt im Europäischen Parlament allein die Hälfte aller Gegenstimmen bei Resolutionen zu Klima und Energie aus dem rechtspopulistischen Parteienspektrum. Insbesondere die deutsche AfD, französische »Rassemblement National«, italienische »Lega Nord«, britische UKIP und die niederländische PVV stimmen systematisch gegen eine konsequente Klimapolitik. Sieben von 21 rechtspopulistischen Parteien leugnen den Klimawandel, seine menschengemachten Ursachen oder negativen Folgen. Mit dem wachsenden Einfluss von Rechtspopulist*innen in der Europäischen Union steigen auch ihre Möglichkeiten, die europäische Klimapolitik zu torpedieren. So wurde auch die internationale »CLEXIT« (Climate Exit)-Initiative von der Brexit-Entscheidung des britischen Volkes inspiriert, sich dem sogenannten »zunehmend diktatorischen Zugriff der EU-Bürokratie« zu entziehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Durch die Strategien der Rechtspopulist*innen, Klimaleugner*innen und rückwärtsgewandten Energielobbyist*innen wächst die Gefahr, dass überlebenswichtige Klimaschutzgesetze zu spät, zu halbherzig oder gar nicht beschlossen werden. Die Wissenschaft und die freie Presse haben als unabhängige Institutionen in einer Demokratie eine enorme Bedeutung. Wir müssen sie gemeinsam gegen die »alternativen Wahrheiten« von rechts verteidigen. Wir müssen uns gegen rechtspopulistische Hasstiraden, verdrehte Tatsachen, und Fake-Wissenschaft aktiv zur Wehr setzen und die dahinter liegenden Strategien entlarven. Wir müssen uns dagegenstemmen, wenn die AfD und die Neue Rechte versuchen, sich als Opfer einer angeblichen »Meinungsdiktatur« zu inszenieren. Meinungsfreiheit braucht den demokratischen Grundkonsens, Fakten auch als Fakten anzuerkennen. Oder anders: Jede*r hat ein Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand ein Recht auf eigene Fakten.