Mehr Toleranz der Intoleranz

von Andreas Speit

Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019 online only

#Mainstream

Will der Autor Bernhard Schlink die „Neue Rechte“ salonfähig machen?

Laden wir sie doch zum Dialog ein. Bitten wir sie, am Diskurs teilzunehmen. Geben wir ihnen endlich einen Platz auf den Podien und in den Talkshows dieser Republik. Lassen wir sie nun auch in Universitäten und Stiftungen mitreden. Bieten wir ihnen bitte zügig die großen Verlage und weitreichende Printmedien an! Im Kulturkampf von rechts sind wir, die Gutmenschen, die Poltisch-Korrekten, die 68er-Versifften, die Ge-Genderten, die Antifaschist*innen und die Ewig- gestrig- Erinnernden des Nationalsozialismus einfach zu verbittert und verhärtet. Denn bei den Debatten der vergangenen Jahre haben wir all die
Thilo Sarrazins,
Uwe Tellkamps,
Roland Tichys,
Birgit Kelles,
Vera Lengsfelds oder
Susanne Dagens sich nicht frei einbringen lassen.

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Screenshot vom FAZ-Artikel von Bernhard Schlink

Stimmt – oder stimmt nicht? In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ beklagte nun Bernhard Schlink (01.08.2019), der „politische Mainstream“ sei „eng – zu eng“ – und liegt mit seiner Kritik voll im Trend. Der Bestsellerautor, der mit der Erzählung „Der Vorleser“ international berühmt wurde, streitet in seinem Aufsatz mit dem Titel „Der Preis der Enge“ nicht ab, dass „Sarrazin publiziert, Tichy bloggt, Tellkamp spricht, und die AfD (…) in den Parlamenten, in Talkshows und auf der Straße zu hören“ sei. Er behauptet auch nicht, dass „ihr Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit“ durch einen „Gesinnungskorridor“, „Political Correctness“ oder von einer von „Gutmenschen geschwungene(n) Moralkeule“ grundsätzlich eingeschränkt wäre. „Wenn Rechte“ beklagten, sie dürften ihre „Meinung nicht frei äußern“, dann wollten sie nur „den Bonus, den Opfer in unserer Gesellschaft genießen, auch für sich reklamieren“, hebt Schlink hervor. Er verweist aber auch auf „Umfragen“, laut denen „fast zwei Drittel der Bürger“ überzeugt seien, bei den Themen „Flüchtlinge, Muslime und Islam, die nationalsozialistische Vergangenheit, Juden, Rechtsextremismus, AfD und Patriotismus“ aufpassen zu müssen, ihre Meinungen zu äußern. Der Freundes- und Bekanntenkreis sei für 35 Prozent der Bürger*innen der einzige und für 59 Prozent der sichere Raum für freie Meinungsäußerung. Nur 18 Prozent fühlen sich bei ihren Meinungsäußerungen im öffentlichen Raum ebenso frei wie im privaten, zitiert Schlink diese Zahlen ohne genaue Nennung der Quellen. Diese Kritik greift nur, wenn die Auffassung geteilt wird, die vermeintlich Bedrängten könnten ohne jeden Widerspruch sagen , was sie wollen. Sie wollen freilich nicht nur reden. Sie wollen, dass Menschen mit anderen Meinungen endlich still sein sollen. Sie scheint zu stören, dass angebliche Randgruppen der Gesellschaft nicht mehr am Rande stehen wollen – und sie scheint zu stören, dass bei sensiblen Themen auch sensibel gestritten werden sollte. Männer möchten einfach mal wieder „Herrenwitze“ über Frauen und Homosexuelle machen und Frauen sich „wahre Männer“ wünschen, um behütet Haus und Kinder zu pflegen. Empathie und Toleranz wird nur für sich selbst beansprucht und lautstark eingeklagt.

Eine Kritik à la Schlink trägt auch nur dann, wenn die Schimäre eines rot-grünen ´68er-Deutschlands geteilt wird. Doch der Prenzlauer Berg ist nicht Berlin, und er ist nicht Deutschland. So wie auch St. Pauli nicht Hamburg und ebenso nicht Deutschland ist. Dass eine Frau Bundeskanzlerin ist, macht noch keinen feministischen Konsens aus; dass die Wehrpflicht abgeschafft wurde, keine pazifistische Politik; und der begonnene Atomausstieg ist noch keine ökologische Wende. Den „zu engen“ Mainstream führt Schlink auch auf die Reflexion der „nationalsozialistischen Vergangenheiten“ zurück, die „nicht nur eine politische und rechtliche, sondern auch eine moralische Katastrophe war“. Aus diesem Grund seien der „Mainstream und seine Grenze auch von früh an moralisch konnotiert“. Dieses „bessere Deutschland“ würde sich in den „europäischen, kulturellen, bevölkerungs- und migrationspolitischen Vorstellungen“ spiegeln. Ja, wirklich? Das Mittelmeer ist nicht bloß ein Badeort, es ist auch ein Massengrab. 2018 ertranken nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks im Schnitt jeden Tag sechs Menschen beim Versuch, dieses Meer zu überqueren. Wie ist diese Moralkritik überhaupt zu verstehen? Ist ein „Nie wieder!“ schon zu viel? Ist Humanität zu weitgehend, Egalität zu totalitär und Aufklärung zu diktatorisch? Folgt dieser Vorwurf dem Einwurf von Arnold Gehlen der Hypermoral? Diese Moral würde sich im „Humanitarismus“, einer zur ethisch gemachten Menschenliebe, wiederfinden. Jene Vorstellung, so der rechtskonservative Philosoph Gehlen, der im Nationalsozialismus universitäre Karriere machte, würde aber den Menschen und die Welt verkennen. Je enger der vermeintliche Mainstream aber werde, schreibt Schlink, „desto mehr Meinungen fallen aus ihm heraus. Sie finden sich jenseits des Ufers, jenseits der Grenzen. Vielmehr finden sie sich dort nicht einfach, sie werden dorthin getrieben“. Die Moralisten haben also die Rechten erst zu Rechten gemacht. Schlinks Forderung ist daher schlüssig: die „Kommunikation über Grenzen“ hinweg. „Es gibt keinen guten Grund, in Universitäten und in der Studienstiftung des deutschen Volkes Sarrazin, Wendt und Kubitschek nicht reden zu lassen, im Suhrkamp-Verlag Tellkamp zu desavouieren und im Bundestag der AfD zu verweigern, was einer Fraktion traditionell zusteht“, schreibt er. Die Voraussetzungen für die Kommunikation wären aber, „dass Formen und Verfahren gewahrt werden, dass nicht beleidigt und verleumdet, der Staat nicht verunglimpft, nicht gegen Gruppen gehetzt und auch sonst keine Straftaten gegen den demokratischen Rechtsstaat“ begangen würden. Bei dieser komplexen Verbindung so heterogener Personen, Strukturen und Organisationen kann nun aber auch nur pauschal nachgefragt werden: Aus diesem Milieu erfolgen also kein Hass und keine Hetze, keine Verunglimpfung und Verhetzung?

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Der „Kern des Toleranzgedankens ist die Anerkennung des gleichen Rechts auf ein Zusammenleben für entgegengesetzte Doktrinen“, schreibt Norberto Bobbio. Darf dies der extremen Rechten unterstellt werden? Der Rechtsphilosoph Bobbio markiert eine klare Grenze, die zwischen „egalitär“ und „antiegalitär“ liegt. Er resümiert: „Die Toleranz muss sich auf alle Menschen erstrecken, ausgenommen diejenigen, die das Prinzip der Toleranz leugnen. Kurz gesagt, alle, außer den Intoleranten, müssen toleriert werden.“ Schon die „Konservative Revolution“ legte ihre Intoleranz gegen Liberalismus und Humanismus offen dar. Ihr Plagiat, die „Neue Rechte“, hegt und pflegt diese Angriffe weiterhin treu.

Die angenommene „Enge“ des unterstellten Mainstreams möchte Schlink erweitern, weiter ausdehnen als bisher. Der in seinem Artikel genannte Götz Kubitschek legt ein mögliches Ziel nahe: Die offiziellen Repräsentanten der „Neuen Rechten“ sollen eingeladen werden. Schlinks Vorschlag hat bisher kaum Kritik ausgelöst. Vielleicht deshalb, weil er schon längst selbst Mainstream ist ?