»Sarrazin ist viel mehr als ein rassistischer Onkel«
von Hannah Lupper
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019 online only
#Rassismus
Nach mehreren Versuchen hat eine Schiedskommission am 9. Juli 2019 entschieden, dass Thilo Sarrazin aus der SPD ausgeschlossen werden darf. Der Betroffene hat Berufung dagegen angekündigt. In der Entscheidung bezieht sich die Kommission auf Sarrazins Buch „Feindliche Übernahme“ aus dem Jahr 2018: Mit seinem antimuslimischen Rassismus und dem „diskriminierenden, abwertenden und den Rechtsstaat aushöhlenden Inhalt“ stehe Sarrazin in eindeutigem Widerspruch zu den Grundsätzen und dem Menschenbild der SPD und habe ihr erheblichen Schaden zugefügt. Der Entscheidung war eine mündliche Verhandlung voran gegangen, die die SPD-Bezirksverordnete aus Friedrichshain-Kreuzberg, Hannah Lupper, besucht hatte. Hier schildert sie ihre Eindrücke.
Ich besuchte die Anhörung von Thilo Sarrazin, weil ich verstehen wollte, wie jemand zugleich Vordenker der neuen Rechten sein und glauben kann, Mitglied meiner Partei bleiben zu müssen. Auch wenn die Partei bereits durch mehrere Ausschlussversuche deutlich gemacht hat, dass sie ihn nicht mehr als Mitglied haben will. Hingegangen bin ich in etwa in der Erwartung, wie sie schon andere formuliert haben. Wir dachten, dass Sarrazin lediglich die Verkaufszahlen seiner Bücher erhöhen und darum SPD-Mitglied bleiben will. Ohne die Partei wäre er nichts weiter als ein verbitterter Mann und so wirkmächtig wie der rassistische Onkel, für den man sich immer an Weihnachten schämt. Inzwischen muss ich diese Einschätzung revidieren: Thilo Sarrazin ist kein Trottel und auch kein Opportunist, er ist ein Überzeugungstäter. Er glaubt seine eigenen Thesen, an eine genetische und kulturelle “Unterlegenheit” von Muslimen. Er glaubt an Imperialismus qua Geburtenzahlen. Er tut sich schwer, von der Gleichwertigkeit aller Menschen zu sprechen und verklausuliert das lieber zu “Chancengleichheit“.
Sarrazin ist von sich so überzeugt wie von seinen Thesen. Er antwortet nicht, er doziert. Er erklärt ganze Wissenschaftsdisziplinen für ideologisch gesteuert und ist davon begeistert, wie wissenschaftlich fundiert er meint, selbst vorzugehen. Er gefällt sich in der Rolle eines Intellektuellen, zitiert oft große Namen und das gern aus dem Zusammenhang gerissen. Er ergeht sich in philosophischen Ausführungen. Dabei hat er kein Gespür für den kleinen aber feinen Unterschied zwischen belesen und intellektuell. Er ist unempfänglich für wissenschaftliche Arbeitstechniken, die ja oft daraus bestehen, sich zu hinterfragen und die eigenen Thesen zu überprüfen. Stattdessen wühlt er in allen Disziplinen nach Erkenntnissen, die seine Thesen bestätigen. Widersprüchlichkeiten blendet er aus. Aus seinem Überlegenheitsgefühl zieht er die Ansicht, die Öffentlichkeit schulde es ihm, sich mit seinen Thesen auseinander zu setzen.
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Überhaupt, seiner Vorstellung nach schulden ihm Öffentlichkeit und Partei sehr viel. Insbesondere die Anerkennung seiner Verdienste. Er sieht sich selbst als unliebsame Person für die führenden Kader der Partei, weil er die Massen der Basismitglieder hinter sich wähnt. In diesen sieht er potentielle Unterstützer und diese will er erreichen. Er braucht die Partei nicht, um seine Verkaufszahlen zu erhöhen, er braucht sie, um diese Thesen in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren. Vielleicht glaubt er, als Mitglied überwintern zu können, bis die Welt seine Verdienste erkennt und ihn in einer führenden Position der Partei reaktiviert. Sarrazin sagt, dass er überzeugtes SPD-Mitglied sei. Er sagt auch, dass er ebenso Mitglied irgendeiner anderen Partei hätte werden können. Ich glaube ihm beides. Ihn überzeugen weder unsere Grundwerte, noch die aktuelle Politik. Aber ihn überzeugt das Medium Partei. Der Apparat, seine Strukturen, die Macht, zu gestalten und die Macht, sehr viele Menschen zu erreichen. Die SPD braucht er, weil er weiß, dass aus seinen Thesen niemals politische Praktiken werden, wenn nur der rechte Rand und ein paar Konservative von “Islamisierung” reden.
Eine Partei links der Mitte ist der perfekte Ort für ihn, weil er nicht nur schreiben will: Er will gestalten. Sarrazin ist kein rassistischer Onkel. Er ist viel mehr. Wir sollten ihm das Machtinstrument entziehen, auf das er angewiesen ist: die Mitgliedschaft in der SPD.