In Papiergewittern

von Lucius Teidelbaum
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 173 - Juli / August 2018

#Literatur

Im selbsternannten »Land der Dichter und Denker« äußern sich SchriftstellerInnen als Personen des öffentlichen Lebens immer wieder gern politisch. Spätestens mit den Auslassungen von Uwe Tellkamp über Flüchtlinge wurde in Erinnerung gerufen, dass es in seiner Zunft auch geistige Nachfahren von Ernst Jünger gibt.

Magazi der rechte rand

Uwe Tellkamp 2008 bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises

Rechte Literatur und Literatur der Rechten
Die schreibende Zunft im Westen und in Deutschland gilt als eher linksliberal. Tatsächlich aber gibt es eine ganze Riege von SchriftstellerInnen, die gegen Emanzipation, demokratische Teilhabe aller und gesellschaftlichen Liberalismus anschreiben und den Zerfall alter Sitten anprangern. Bei der Betrachtung der (extremen) Rechten und Literatur ist es wichtig zu differenzieren. Einige ProtagonistInnen der extremen Rechten versuchen sich als SchriftstellerInnen, scheitern aber – meist auf Grund fehlender Qualität – im Mainstream. Dann gibt es SchriftstellerInnen, welche die Anerkennung und Wertschätzung des bürgerlichen Feuilletons besitzen und damit Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nehmen. Auch hier gilt es genauer hinzuschauen. Einige gehören zum Typus des nach rechts radikalisierten Konservativen und geben entsprechende Statements in der Öffentlichkeit ab. Da sie angehört werden, besitzen sie Diskursmacht. Manche SchriftstellerInnen lassen schon länger eine reaktionäre und extrem rechte Einstellung erkennen. Oft finden sich auch in ihren Werken entsprechende Positionen.
Daran erinnern die Debatten über den Roman »Imperium« (2012) von Christian Kracht oder jüngst über Simon Strauß mit seinem Roman »Sieben Nächte« (2018). Martin Walser und Günther Grass wurden dafür kritisiert, in ihren Texten mit antisemitischen Klischees zu operieren, letztgenannter dafür, mit seiner Novelle »Im Krebsgang« das Thema Vertreibungen der ehemaligen Ostdeutschen zu entkontextualisieren, wobei er eher den Aufhänger für diese Debatte lieferte als den Grund.

Der hohe Stellenwert der Literatur in der extremen Rechten
Belletristik spielt in der akademisch geprägten »Neuen Rechten« eine wichtige Rolle. Die Kenntnis von Literatur gilt als kulturelles Kapital und dient als Brücke zum konservativen Teil des Bildungsbürgertums. So erschienen in extrem rechten Verlagen nicht nur Analysen, Polemiken oder Essays, sondern auch literarische Werke. Der »Verlag Antaios« von Götz Kubitschek verfügt mit der »Edition Nordost« seit 2013 sogar über eine eigene Literatur-Reihe. Die Wichtigkeit sympathisierender SchriftstellerInnen für die politische Rechte zeigt der Fall von Botho Strauß, dem laut einem »Antaios«-Buchtitel »Dichter der Gegen-Aufklärung«. Er veröffentlichte 1993 seinen Essay »Anschwellender Bocksgesang« im Magazin »Der Spiegel«. Darin heißt es unter anderem: »Dass ein Volk sein Sittengesetz gegen andere behaupten will und dafür bereit ist, Blutopfer zu bringen, das verstehen wir nicht mehr und halten es in unserer liberal-libertären Selbstbezogenheit für falsch und verwerflich.«
Dieser Essay wurde von seinen Schriftstellerkollegen Heimo Schwilk und Ulrich Schacht als Impuls für den Sammelband »Die selbstbewusste Nation« genommen, der 1994 erschien. Auch das neu-rechte Magazin »Sezession« leitet seinen Namen aus diesem Essay ab und bezieht sich konkret auf folgende Stelle: »Man muß nur wählen können; das einzige, was man braucht, ist der Mut zur Sezession, zur Abkehr vom Mainstream.«
Im Oktober 2015 veröffentlichte Botho Strauß erneut im Magazin »Der Spiegel« eine Glosse mit dem Titel »Der letzte Deutsche«, die vor allem eine Untergangsstimmung befeuert.

Kulturpessimismus als gemeinsamer Nenner
Eine immer wiederkehrende Figur in der rechten Belletristik ist der Kulturpessimismus, häufig verbunden mit einem Pathos des Kampfes. Er äußert sich im Anstimmen des Spenglerschschen Klagelieds des Untergangs – wahlweise des Bürgertums, des Abendlandes, der Nation oder des Westens. Auf tatsächliche und scheinbare Veränderungen wird mit Abwehr und verklärter Rückschau auf die alten Zeiten reagiert. Doch nicht nur alte Zeiten werden so vergoldet, im Kontrast zur Stadt werden oft auch Landleben und Dorfgemeinschaften idealisiert. Eine nachvollziehbare Großstadtmüdigkeit ist häufig der Ausgangspunkt für einen Antiurbanismus, der die Moderne ablehnt. Er wird gekoppelt an eine Verachtung der Masse und eine allgemeine Unzufriedenheit konservativer Milieus und die Angst vor einem Privilegienverlust, der mit einer modernisierten und pluralistischen Gesellschaft einhergeht. Möglicherweise findet sich für den Rechtsruck bei einigen SchriftstellerInnen das Motiv auch in ihrer sozialen Verortung im klassischen Bildungsbürgertum. Als Angehörige dieses Standes sehen sie diesen und damit ihre Privilegien gefährdet. Einerseits ist in einer auf Effizienz und Gewinn ausgerichteten Welt klassische Bildung für eine Karriere nicht so relevant wie früher, andererseits ist das kulturelle Kapital in verschiedenen Bereichen noch enorm wichtig für den weiteren Lebenslauf. Dabei nehmen sich die rechten LiteratInnen häufig nicht als Rechte wahr, sondern eher als VertreterInnen des »gesunden Menschenverstandes« beziehungsweise der alten Sitten.
Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Während SchriftstellerInnen wie der katholische Reaktionär Martin Mosebach, der Blasphemie verbieten lassen will, oder Sibylle Lewitscharoff, die in ihrer Dresdner Rede vom 2. März 2014 gegen künstliche Befruchtung wetterte, trotz mancher inhaltlicher Überschneidung bisher organisatorische Distanz zur »Alternative für Deutschland« (AfD) wahren, gilt das für andere nicht. Thor Kunkel wurde im Magazin »Der Spiegel« 2017 wie folgt beschrieben: »Manchmal klingt Kunkel wie ein NPD-Mann auf Speed.« Der 2011 in die Schweiz gezogene Schriftsteller gründete dort eine Werbeagentur, die er zur Landtagswahl in Berlin 2015 und zur Bundestagswahl 2017 in den Dienst der AfD stellte. Als Berater der Partei war er unter anderem auch verantwortlich für Plakate wie »Bikini statt Burka«.

»Charta 2017« und »Gemeinsame Erklärung 2018«
Nach antifaschistischen Protesten gegen den »Verlag Antaios« auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2017, wurde kurz darauf in Dresden die »Charta 2017« veröffentlicht. Der kurze Text warnt vor einer »Gesinnungsdiktatur« und erklärt: »Die Erstunterzeichner der Charta 2017 wehren sich entschieden gegen jede ideologische Einflussnahme, mit der die Freiheit der Kunst beschnitten wird.« ErstunterzeichnerInnen waren 32 Kultur- und Kunstschaffende wie zum Beispiel der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp. In den folgenden Monaten unterzeichneten tausende weitere Personen die Charta online, die Resonanz blieb aber überschaubar.
Am 5. März 2018 folgte die »Gemeinsame Erklärung 2018«, die über 165.000 Unterschriften erzielte. Diese Erklärung war noch kürzer gehalten: »Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.« Es gab 35 ErstunterzeichnerInnen, von denen die neu-rechte Autorin Ellen Kositza aber schnell wieder gestrichen wurde. Offenbar sollte der Kontakt zu extrem rechten Zirkeln nicht zu offensichtlich sein.
Auch hier führte die Spur nach Dresden. Anfangs fungierte als Ansprechpartner der ErstunterzeichnerInnen Dr. Frank Böckelmann aus Dresden, Herausgeber des rechten Magazins »Tumult«, in dem Essays und Literatur veröffentlicht werden. Für Aufsehen sorgte auch einer der ErstunterzeichnerInnen kurz nach der Veröffentlichung. Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema »Streitbar! Wie frei sind wir mit unseren Meinungen?« am 7. März 2018 im Dresdner Kulturpalast äußerte sich Uwe Tellkamp im Disput mit seinem Schriftstellerkollegen Durs Grünbein herablassend über Flüchtlinge: »Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.« Insgesamt war den InitiatorInnen eine Art Clou gelungen. Die Kürze des Aufrufs und sein scheinbar unabhängiger Charakter machten ihn zu einer Brücke von der extremen Rechten zum rechtskonservativen Bürgertum. Der Aufruf wurde massenhaft online verbreitet, obwohl es keine Online-Petition mit Open-Posting-Prinzip war. Die Unterzeichnungswilligen mussten die InitiatorInnen anmailen und tauchten dann mit Name und Berufsbezeichnung auf der eigens geschalteten Homepage auf. Die Sammlung von über 100.000 E-Mail-Adressen von konservativ bis extrem rechts eingestellten Personen ist eine politische Ressource, die nicht unterschätzt werden sollte.

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Bündnis »Solidarität statt Hetze« – Proteste gegen den Parteitag der AfD in Köln 2017 © Roland Geisheimer / attenzione

Vereinigungen rechter SchriftstellerInnen
Rechte SchriftstellerInnen organisieren sich auch in eigenen Organisationen. Relativ eindeutig ist die politische Verortung beim 1957 gegründeten »Arbeitskreis für deutsche Dichtung e. V.« (AfdD). Entstanden im Bereich der Bündischen, diente er der Sammlung extrem rechter SchriftstellerInnen. »Ehrenvorsitzender auf Lebenszeit« war Moritz Jahn aus Göttingen, der 1941 als Teilnehmer am nationalsozialistischen »Europäischen Dichtertreffen« eine Rede hielt. Im AfdD sammeln sich einschlägig Bekannte. Erster Vorsitzender ist der 1961 geborene Uwe Lammla aus dem thüringischen Neustadt an der Orla. Als Geschäftsführer und Kassenwart fungiert Reiner Niehus aus Lemgo, Beiratsmitglied in der »Agnes-Miegel-Gesellschaft« und Mitglied im »Arbeits- und Forschungskreis Walter Machalett«. Zweiter Vorsitzender ist Sebastian Hennig aus Radebeul, Autor des Buchs »PEGIDA. Spaziergänge über den Horizont: Eine Chronik«, das 2015 im Verlag »Arnshaugk« erschien. Bei ihren Jahrestagungen traten bekannte ­Figuren der extremen Rechten wie Walter Marinovic, Dr. Baal Müller, Dr. Björn Clemens oder Martin Lichtmesz auf. Das Treffen 2017 wurde im »Hufhaus« in Nordthüringen abgehalten. Hier treffen sich ansonsten vor allem neonazistische Rechte. Der bereits erwähnte thüringische Verlag »Arnshaugk« wird wiederum vom AfdD-Vorsitzenden Lammla geleitet und beschreibt sich selbst als »Hort Deutscher Dichtung«. In ihm erscheint »Das Lindenblatt«, eine Literaturzeitschrift, die auf Initiative des »Freien Deutschen Autorenverbandes« (FDA) in Thüringen gegründet wurde und weiterhin »vereinsnah« ist. Kein Zufall, denn Lammla war auch Vorsitzender des FDA-Landesverbandes in Thüringen. Der FDA wurde 1973 von PublizistInnen gegründet, die nicht vom »Verband Deutscher Schriftsteller« in die »Industriegewerkschaft Druck und Papier« übertraten. Zu den Gründungsmitgliedern des FDA gehörten auch mehrere SchriftstellerInnen, die in der NS-Zeit Karriere gemacht hatten. Etwa Hermann Claudius, der 1933 das Treuegelöbnis unterzeichnete, das 88 deutsche Schriftsteller durch ihre Unterschrift »dem Reichskanzler Adolf Hitler« gegenüber ablegten.
Von 1994 bis 1998 fungierte Bernd Kallina, Mitglied der extrem rechten »Burschenschaft Danubia München«, als FDA-Pressesprecher. Sonderbeauftragter für Projektmanagement war Siegmar Faust, der ab 1996 sächsischer Stasi-Beauftragter war und von 1987 bis 1990 Chefredakteur der von der rechtslastigen Organisation »Internationale Gesellschaft für Menschenrechte« (IGFM) herausgegebenen Zeitschrift »DDR heute« sowie Mitherausgeber der Zeitschrift des Brüsewitz-Zentrums »Christen drüben«. Derzeit ist er Geschäftsführer des »Menschenrechtszentrums Cottbus e. V.«. Unlängst trennte sich sogar die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen von Faust, weil er den Holocaustleugner Horst Mahler verteidigte.

LiteratInnen als TüröffnerInnen nach rechts
Um an das rechte Bildungsbürgertum anzudocken, startete unlängst das Online-Filmformat »Aufgeblättert. Zugeschlagen – mit Rechten lesen« der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen zusammen mit Ellen Kositza, Redakteurin der neu-rechten »Sezession«. Dagen gehört zum Kuratorium der AfD-nahen »Desiderius-Erasmus-Stiftung« und betreibt das Buchhaus Loschwitz in Dresden, in dem seit Anfang 2016 Lesungen mit rechten AutorInnen stattfinden. Beim gemeinsamen Format dürfte ihnen helfen, dass Frauen von vielen als weniger gefährlich und häufig als unpolitischer wahrgenommen werden als Männer. Dass die Liebe zur Literatur ein Ausweis für Aufgeklärtheit ist, darf getrost als Mythos angesehen werden. Rechte LiteratInnen, die im Bürgertum bekannt sind, können als Türöffner für AfD und Co. fungieren. Dabei gibt es in der Literatur durchaus Gegenkräfte, nämlich der Menschlichkeit und der Aufgeklärtheit verpflichtete SchriftstellerInnen, die ihre KollegInnen und deren BündnispartnerInnen heftig kritisieren. Doch die liberalen und linken SchriftstellerInnen, die den »Antaios«-Stand auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt kritisierten, scheiterten häufig in ihrer Kritik, die eher moralisierend auftrat und der es an guter Analyse und Sachwissen fehlte.
Sie wussten wenig über die Bücher im Angebot dieses Verlags und konnten ihn nur schlecht inhaltlich einordnen. Dabei wären Kubitschek und Co. eine Verteidigung unter dem Banner der Meinungsfreiheit schwerer gefallen, wenn aus einigen bei »Antaios« erschienenen Werken konkret zitiert worden wäre. Die vulgären Tiraden von Akif Pirinçci oder die pathetisch-dumpfen Appelle Jack Donovans sind alles andere als Ausdruck einer literarischen ‹Hochkultur›. Oder man hätte erwähnen können, dass im Verlag »Wer gegen uns?«, die deutsche Übersetzung eines autobiografisch geprägten Romans von Domenico Di Tullio, des Strafverteidigers von »Casa Pound«, erschienen ist. Der Vorwurf der Nähe zum Faschismus lässt sich damit durchaus belegen.
Zu den bekannten rechten SchriftstellerInnen wie Ulrich Schacht, Heimo Schwilk, Siegmar Faust, Michael Klonovsky oder Botho Strauß sind neue Namen wie Uwe Tellkamp, Godehard Schramm oder Monika Maron dazu gekommen. Der Rechtsruck ist offenbar auch unter LiteratInnen angekommen und die Legende von den guten und linken Kulturschaffenden und Intellektuellen wurde somit erneut widerlegt.