Sie sind schon da
von Thilo Janssen
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019
#Reportage
Beobachtungen zur radikalen Rechten im Europäischen Parlament
Drei junge Männer in Trachtenjacken drängen in den Fahrstuhl. Assistenten der »Freiheitlichen Partei Österreichs«(FPÖ) im EU-Parlament sind unschwer an ihrem landsmännischen Outfit zu erkennen. 30 Sekunden herrscht betretenes Schweigen. Dann öffnet sich die Fahrstuhltür. Es ist ein Montag, Anfang Juli 2018. Die nationalistische Elite aus Österreich trägt die Nase höher als sonst; die Alpenrepublik hat gerade die Ratspräsidentschaft der EU übernommen. Sechs FPÖ-MinisterInnen bestimmen in ihren Ressorts für sechs Monate die Agenda im EU-Ministerrat. Vom Outlaw zum europäischen Agenda-Setter – die radikale Rechte in der EU hat Einfluss wie nie zuvor. Doch im EU-Parlament ist sie vorerst noch eine Randerscheinung.
»Spinelli dürfte der Antichrist für die radikale Rechte in Europa sein.«
Adresse des europäischen Antifaschismus
Die Brüsseler Büros der Abgeordneten der kleinsten Fraktion im EU-Parlament »Europa der Nationen und Freiheit« (ENF) sind über zwei Gebäude verteilt. Zu Beginn der Legislaturperiode hatten »Front National« (heute: »Rassemblement National«, »Nationaler Zusammenschluss«), FPÖ, »Partij voor de Vrijheid« (PVV), »Vlaams Belang« und »Lega Nord« (heute: »Lega«) nicht genügend Partner für eine Fraktion zusammen. Als ein Jahr später dann doch noch die ENF-Fraktion gegründet wurde, waren die großen Fraktionsflure schon vergeben.
Die FPÖ wurde im Willy-Brandt-Gebäude einquartiert. Die politischen Erben der Neonazis in Österreich müssen den Namen des Antifaschisten und sozialdemokratischen Kanzlers Willy Brandt in der Adresse führen. Schöne Ironie. Nicht besser getroffen hat es Marine Le Pens »Rassemblement National«. Die Abgeordneten der radikalen Rechten aus Frankreich sitzen im Altiero-Spinelli-Gebäude. Spinelli war im Zweiten Weltkrieg als kommunistischer Antifaschist auf der Gefangeneninsel Ventotene inhaftiert. Dort schrieb der spätere EU-Abgeordnete und EU-Kommissar das berühmte Manifest für einen föderalen und sozialistischen europäischen Staat. Spinelli dürfte der Antichrist für die radikale Rechte in Europa sein. Viele Büros der französischen Rechten haben ihre Fenster nicht nach draußen, sondern nach innen zur Einkaufspassage des EP. Vielleicht als kleine Racheaktion haben sie die Fenster mit Postern ihrer Parteichefin dekoriert, Gesicht nach außen. Das lässt noch weniger Tageslicht auf die Schreibtische fallen. Es hat aber den Effekt, dass Frau Le Pens Konterfei hinunter auf die vorbeieilenden Parlaments-MitarbeiterInnen grinst.
Provozieren und einschüchtern
Rückblende: Kaum sind die neuen Abgeordneten von Geert Wilders PVV aus den Niederlanden auf der Europäischen Bühne angekommen, versuchen sie den politischen Gegner einzuschüchtern. Im Dezember 2014 veranstaltet ENAR, das »Europäische Netzwerk gegen Rassismus«, im Straßburger EP einen Workshop. Gastgeberin ist die linke Abgeordnete Malin Björk aus Schweden. Diskutiert wird der europäische Alltagsrassismus anhand des »Zwarte Piet«, der Figur des dunkelhäutigen Dieners des Nikolaus in den Niederlanden. Bevor das Seminar beginnt, besetzen die Abgeordneten der PVV um Marcel de Graff das Kopfende des Tisches. Die weißen Männer schwenken niederländische Fahnen, auf denen der »Zwarte Piet« als Karikatur eines dunkelhäutigen Afrikaners dargestellt ist. Mit ihrem aggressiven Machogehabe sorgen die PVV-Vertreter für Unruhe. Die Veranstalterinnen lassen sich von den rassistischen Provokateuren aber nicht einschüchtern. Das Seminar findet statt. Vier Jahre später darf – im Dezember 2018 – auch eine Ausstellung der PVV im Straßburger Parlament gezeigt werden über die »vergessenen Helden« der Niederlande in ihren sogenannten ostindischen Kolonien.
Körperlich bedrohlicher als die PVV treten die Abgeordneten und Assistenten der neonazistischen Partei »Chrysi Avgi« (»Goldene Morgenröte«, CA) aus Griechenland auf. Die CA-Schergen kann man fast zu jeder Tageszeit in einem der Cafés im Parlament antreffen. Oder sie stehen rauchend mit einigen Sicherheitsleuten des EU-Parlaments zusammen. Die griechischen Neonazis tragen stets Schuhe der Marke »New Balance«, wegen des großen N-Logos an der Seite. Auf der Rückseite ihrer Parlamentsausweise, die sie stets nach außen gedreht tragen, prangt das Symbol der CA. Es ist ein Mäander. Das Antike griechische Symbol erinnert an ein Hakenkreuz. Im März 2016 stürmen die CA-Vertreter eine interne Parlamentskonferenz. Es geht um Minderheitenrechte in Griechenland. Der Abgeordnete Lampros Fountoulis und seine Schergen brüllen aus nächster Nähe TeilnehmerInnen der Konferenz ins Gesicht. Konsequenzen haben solche Methoden nicht. Nicht nur die CA-Abgeordneten, auch die beteiligten Mitarbeiter marschieren weiter unbehelligt durch die Flure des Parlaments.
Orientierungslose Hayek-Fans
Über die Brücke zwischen den Parlamentsgebäuden eilt Bernd Lucke, der ehemalige Mitbegründer und Sprecher der »Alternative für Deutschland« (AfD). Er läuft erst in die eine Richtung, dann in die andere. Er wirkt orientierungslos. Schließlich verschwindet er hinter einer grauen Tür, über der ein Notausgangsschild leuchtet. Die politische Orientierungslosigkeit der nationalkonservativen Ex-AfD-Abgeordneten Bernd Lucke, Joachim Starbatty und Olaf Henkel hat der völkischen Rechten in Deutschland den Weg geebnet. Die Führungsriege der ersten AfD-Generation zog fast geschlossen in das Parlament der »EUdSSR« ein, wie Henkel die EU einmal bezeichnete. Heute wird die AfD nur noch von einem Abgeordneten vertreten, dem Nachrücker und Parteivorsitzenden Jörg Meuthen. Noch mischen Lucke und Co. in Brüssel mit. Regelmäßig wird ein »August-von-Hayek-Club« veranstaltet. Bald werden sie von den Fluren des EU-Parlaments wohl verschwinden, doch der EU-Spitzenkandidat Meuthen wird weiter durch Brüssel geistern.
Alkohol, gutes Essen und eine Prügelei
Der EU-Hasser und ehemalige UKIP-Chef Nigel Farage ist schon seit 20 Jahren EU-Abgeordneter. Der ehemalige Investmentbanker lässt sich gern bei Bier und Zigarette in britischen Pubs fotografieren. Die Abgeordneten der UKIP beteiligen sich kaum an der parlamentarischen Ausschussarbeit im Parlament. Wenn in Straßburg getagt wird, sieht man die Abgeordneten der UKIP dafür umso häufiger in der Abgeordneten-Bar neben dem Plenarsaal sitzen. An eine Kneipenschlägerei gemahnte im Oktober 2016 ein Streit zwischen den UKIP-Abgeordneten Steven Woolfe und Mike Hookem. Woolfe brach auf dem EP-Flur zusammen und zog sich eine gefährliche Kopfverletzung zu. Genuss von Alkohol und gutem Essen scheint ein zentrales politisches Thema auch der ENF zu sein. Abgeordnete von »Lega« oder des »Rassemblement National« veranstalteten Ausstellungen zu italienischem Eis oder zu regionalen Weinen. Mittlerweile fordert das EU-Parlament über 500.000 Euro von der ENF zurück, welche diese für unangemessene Ausgaben beansprucht habe. Es geht um mehr als 200 Flaschen Champagner, teure Abendessen sowie Geschenke für die eigenen MitarbeiterInnen.
Verhaltene Mitarbeit
Die eigentliche Arbeit der EU-Abgeordneten findet in den Ausschüssen statt. Die zuständigen Abgeordneten und MitarbeiterInnen treffen sich in Arbeitsmeetings, um Kompromisse zu parlamentarischen Anträgen auszuhandeln. Zu Beginn der Legislaturperiode lief es nach eigener Beobachtung so: Wenn mal ENF-MitarbeiterInnen in einem Arbeitsmeeting auftauchten und wie alle anderen Fraktionen Stellung nehmen sollten, hieß es: »Kein Kommentar, ich beobachte nur.« Subjektiv erscheint es so, als habe sich dies im Laufe der Legislatur teilweise geändert. Zumindest einzelne Abgeordnete der ENF nehmen manchmal an den parlamentarischen Prozessen teil. Dann bringen sie ihre zumeist gegen Einwanderung gerichteten Anträge ein. Noch handelt es sich um isolierte Beiträge einer Minderheit. Wie wird das allerdings nach der Europawahl im Mai aussehen?
Vorzeichen einer neuen Debattenkultur
Wie die Debattenkultur mit einer erstarkten radikalen Rechten nach der EU-Wahl aussehen könnte, zeigt der Umgang mit einem Vorfall Ende Oktober 2018. Syed Kamall von den britischen Konservativen ist der Vorsitzende der Fraktion »Europa der Konservativen und Reformisten« (EKR). In einer Plenardebatte bezeichnete er den Nationalsozialismus als »linke Weltanschauung« und rief der sozialdemokratischen Fraktion zu, Nazis wollten »das Gleiche« wie die Sozialdemokraten. Empört setzten die Sozialdemokraten das Thema auf die Tagesordnung der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden. Von der bemerkenswerten Sitzung wurde anschließend wie folgt berichtet: Unter dem Vorsitz des Parlamenstpräsidenten Antonio Tajani von »Forza Italia« ging es kaum um die Entgleisung Kamalls, der sich stattdessen als Opfer linker Diskriminierung darstellte. Dafür referierte der ENF-Vertreter Nikolas Bay ausgiebig über die angeblichen Wurzeln der Hitler-Ideologie im Marxismus.
Der Kampf gegen die radikale Rechte wird härter werden – innerhalb und außerhalb des EP.