Finger weg!
von Helene Kortländer
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019
#Bulgarien
Ein toxisches Bündnis mit den Rechten
Auffallend still war es in Europa, als Bulgariens Premier Boiko Borissov seine konservative Partei »Graschdani sa Ewropejsko Raswitie na Balgaria« (»Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens«, GERB) im März 2017 in eine Koalition mit dem extrem rechten Parteienbündnis »Vereinigte Patrioten« führte. »Der Wähler habe nun mal so entschieden«, kommentierte Borissov. Die KollegInnen aus der »Europäischen Volkspartei« schwiegen. Auch in anderen Ländern stellt man sich die Frage, ob ein Pakt mit rechten Parteien bald notwendig sein wird, um konservative Regierungen zu stabilisieren. Bulgarien scheint als Testlabor gerade recht.
Unter Kontrolle
Die »Patrioten« habe man unter Kontrolle, wurde Borissov nach seiner Regierungsbildung im März 2017 zitiert. So ganz hat der Premier aber wohl selbst nicht daran geglaubt und ließ die Erfüllung der vierjährigen Amtszeit im Koalitionsvertrag festschreiben. Tatsächlich schienen sich die »Vereinigten Patrioten« schnell erschöpft zu haben: Der geforderte Grenzzaun zur Abwehr von Flüchtlingen – gebaut. Und mit dem »EU-Türkei-Deal« nahm die Zahl der Geflüchteten in Bulgarien ab. Die »Patrioten«, die über Rassismus hinaus kaum ein Programm haben, waren auf verbale Ausfälle gegen die bulgarische Roma-Minderheit und interne Querelen zurückgeworfen. Zwar scheint Borissovs Domestizierungs Plan aufzugehen, denn die Umfragewerte des Junior-Partners sanken: Von den neun Prozent bei der Wahl waren bald kaum mehr fünf übrig. Doch dass ein Bündnis, das von der Provokation lebt, nicht derart in den politischen Alltag eingehegt werden kann, hätte Borissov absehen können.
Warnungen hatte es genug gegeben: Insbesondere Valeri Simeonov, Vorsitzender der rechten Bündnispartei »Nazionalen front sa spasenie na Balgarija« (»Nationale Front für die Rettung Bulgariens«), wurde wegen Hassrede verurteilt, nachdem er 2014 Roma als »menschenähnliche Wesen« bezeichnet hatte. Sein Wahlprogramm forderte überdies die Einrichtung von Roma-Reservaten, die »Touristenattraktionen« sein könnten. Auf Parteimitglieder angesprochen, die auf Bildern in sozialen Medien den Hitlergruß zeigten, kommentierte Simeonov, er könne selbst nicht garantieren, dass er bei einem Besuch in Buchenwald in den 1970er Jahren nicht auch »lustige Bilder« gemacht habe. Explosive Statements waren auch von anderen Vertretern der »Patrioten« bekannt. Krasimir Karakachanov konstatierte noch 2008 im Parlament einen bulgarischen Gebietsanspruch auf Mazedonien. Heute ist er Verteidigungsminister. Und Volen Siderov, ebenfalls »Patrioten«-Spitzenpolitiker, drang 2007 mit 50 Mitgliedern seiner Partei in die Redaktion der Zeitung »168 Chasa« ein, die einen Artikel über die mögliche Verwicklung Siderovs in eine Spendenaffäre veröffentlicht hatte. Er machte Schlagzeilen mit rassistischen und antisemitischen Pöbeleien. Im Vorfeld der Wahlen organisierten die »Vereinigten Patrioten« Grenzblockaden, um in der Türkei lebende, muslimische WählerInnen an der Stimmabgabe zu hindern.
Überraschender Coup
Ein Jahr nach der Wahl gelang den »Patrioten« der erste politische Coup – gegen die eigene Regierung. Überraschend verkündeten sie im Dezember 2017, die zur Ratifizierung vorlegte »Istanbul-Konvention« gegen häusliche Gewalt nicht unterstützen zu wollen. Was folgte, war eine beispiellose homophobe und misogyne Kampagne gegen die Konvention, mit der Bulgarien vermeintlich dekadente westeuropäische Konzepte wie die »Ehe für alle« und das »dritte Geschlecht« untergeschoben werden sollten. Borissov entzog sich der Konfrontation, indem er die Konvention dem Obersten Gericht zur Prüfung vorlegte. Dieses beschied deren Unvereinbarkeit mit der Verfassung. Auch darüber hinaus sind geschlechterspezifische Themen eine derart heiße Kartoffel, dass keine Partei sie mehr politisch anfassen möchte. Der Begriff »Gender« – in Bulgarien ein Synonym für »Perverser«.
Bulgarische Rechte zerstritten
Seit Anfang Oktober 2018 demonstrierten die Mütter behinderter Kinder in Sofia für staatliche Unterstützung. Auf die Proteste angesprochen, bezeichnete Simeonov sie als »kreischende Weiber«, welche ihre »angeblich kranken Kinder« ohne ein Gramm mütterlichen Gefühls als Instrument ihrer rein materiellen Ziele nutzten. Das ging zu weit: Es kam zu Demonstrationen, in denen die Mütter und die sozialistische Opposition den Rücktritt Simeonovs forderten. 81 Prozent der BulgarInnen unterstützten die Forderung. Borissov distanzierte sich zwar von Simeonovs Kommentar, dessen Rücktritt hingegen könne er nicht erzwingen – dies würde das Ende der Koalition bedeuten. Nach einem Monat Protest trat Simeonov schließlich zurück.
Premier Borissov wirkt beschädigt und hilflos. Die Stabilität, die er in der Koalition gesucht hat, war von Anfang an eine Schimäre. Nicht nur, weil die bulgarische Rechte undiszipliniert und zerstritten ist. Die Provokation bis zur Schmerzgrenze liegt in ihrer institutionellen Logik, denn ohne sie verschwinden die »Patrioten« aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit. Die Regierungsbeteiligung wirkt wie ein Verstärker, bestimmt und verroht den Ton der öffentlichen Debatte, zerstört das ohnehin geringe Vertrauen in staatliche Institutionen und räumt ihnen die Rolle des politischen Saboteurs ein. Borissov hat sich eine regierungsinterne Opposition zugelegt und wird nun von ihr getrieben. Aus Bulgarien kommt ein Signal: Der Pakt mit den Rechten – nicht nachmachen!
Gekürzter Nachdruck aus dem »IPG Journal« (www.ipg-journal.de).