Europa driftet

von Ernst Kovahl
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019

#SchwerpunktEU

Im Europaparlament und in den Ländern erstarkt die radikale Rechte.

Magazin der rechte rand

© European Union 2018 EP CC BY-4.0

Quer durch Europa greift die radikale Rechte nach der Macht – und die Konservativen assistieren. Erst Anfang Januar 2019 machte die »Südtiroler Volkspartei« (SVP) den Weg frei für eine Koalition mit der rechtsradikalen »Lega« im norditalienischen Alto Adige. Die SVP ist Mitglied der konservativen »Europäischen Volkspartei« (EVP) und Schwester der deutschen CDU/CSU. Mit den bayerischen Christsozialen vereinbarte die SVP parallel zur Koalitionsbildung mit den Rechtsradikalen eine enge Kooperation zur Europawahl. Und im spanischen Andalusien will die post-franquistische, konservative »Partido Popular« – ebenfalls in der EVP – gemeinsam mit der wirtschaftsliberalen »Ciudadanos« sowie der rechtsradikalen »VOX« regieren. Während Koalitionen mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) hier noch unmöglich scheinen, ist das im europäischen Ausland längst anders. Doch auch die deutschen Konservativen haben kein Problem damit, wenn ihre Verbündeten mit Rechtsradikalen regieren. Der Cordon sanitaire, der hier die radikale Rechte bisher auf Distanz hielt, wird rissig.

Bulgarien, Italien, Ungarn, Österreich, Polen, Dänemark, Norwegen – in einer Reihe von Staaten der EU regieren radikale Rechte mit. Für viele von ihnen sind der Autokrat Viktor Orbán und seine »illiberale Demokratie« Vorbild: Rassistische Politik gegen MigrantInnen und Minderheiten, Einschränkungen von Mitbestimmung bei Aufrechterhaltung formal-demokratischer Institutionen, Angriffe auf Pressefreiheit, Wissenschaft, Gewerkschaften und Linke, eine anti-soziale Politik gegen Beschäftigte und Arme sowie Entscheidungen für die Interessen des Kapitals. Auch Orbáns Partei »Fidesz« ist Mitglied der EVP und wird von der CSU hofiert. Im Januar 2018 war er bei deren Klausurtagung im Kloster Seeon. Der gemeinsame Feind: Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre vermeintlich liberale Flüchtlingspolitik.

Ja zu Europa, nein zu Europa – in dieser Frage ist die gesamte Gesellschaft gespalten. Mehr Integration oder weniger, das ist die Frage – ebenso die konkrete Ausgestaltung der europäischen Politik. Das Vertrauen in die EU ist nach aktuellen Umfragen in Deutschland fast zur Hälfte gespalten. Die Spaltung geht dabei nicht vorrangig entlang klassischer politischer Scheidelinien. Es gibt ebenso eine linke Kritik oder Ablehnung der EU, wie es radikale Rechte gibt, die ihre Ziele durch mehr Europa realisiert sehen. Gerade in der alten Bundesrepublik hatten Teile revanchistischer und völkischer Rechter auf eine Europäisierung ihrer Interessen gesetzt. Am Ende ist die Frage, welche politischen Mehrheiten es in den Parlamenten gibt und wie stark progressive – oder eben auch reaktionäre – Bewegungen in der Gesellschaft sind.

Bisher war das Europaparlament für die radikale Rechte in Deutschland nicht sehr bedeutend. Nachdem 1989 die Partei »Die Republikaner« mit sechs Abgeordneten in das Parlament eingezogen war, zerstritt sich ihre Fraktion zügig. Als Versorgungsposten und Geldquelle nutzte ihr das Parlament einige Jahre – praktische Politik konnte sie dort kaum entfalten. Ähnlich erging es der »Alternative für Deutschland« (AfD) 2014. Von den sieben Gewählten verließen mit jeder politischen Häutung der AfD-Abgeordnete die Partei. Heute sitzt dort nur noch Parteichef Jörg Meuthen – die anderen haben Unterschlupf in anderen rechten Kleinstparteien gefunden. Für die Neonazis von der NPD und ihren Abgeordneten Udo Voigt ist das Europaparlament nach dem Ausscheiden aus den Landtagen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die letzte parlamentarische Bastion. Sie taugt für ein sicheres Einkommen einiger Funktionäre, überschaubare Finanzmittel und als Plattform europäischer Kontaktpflege – für mehr nicht.

Bei den Wahlen im Mai 2019 ist ein Rechtsruck zu erwarten. Durch den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs würde für die Rechte zwar ein starker Block von UKIP-Abgeordneten wegfallen, doch das Erstarken der Rechten in einer Reihe anderer Länder wird zu guten Wahlergebnissen führen – von »rechtspopulistischen« Formationen bis hin zum Neonazismus. Zuverlässige europaweite Prognosen gibt es nicht, doch der erwartbare Aufschwung der AfD in Deutschland sowie bestehende starke Parteien in Ost- und Südosteuropa, Italien, Österreich, Frankreich und Dänemark zeigen, wohin die Entwicklung gehen wird. Die zentrale Frage ist, ob es nach der Wahl einem relevanten Teil der radikalen Rechten mit ihren widersprüchlichen Forderungen gelingen wird, eine stabile Fraktion zu bilden und politisch in dem hoch formalisierten Parlament handlungsfähig zu werden – daran scheiterten bisher noch alle Vorgänger. Und die radikale Rechte blieb bisher im Europaparlament unbedeutend, weil sie in den festgezurrten Machtkonstellationen zwischen Konservativen und Sozialdemokratie als Mehrheitsbeschafferin nicht benötigt wurde. Wird das so bleiben oder werden Konservative nun auch auf europäischer Ebene Bündnisse mit der radikalen Rechten eingehen?

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