Neuer Name, große Chance
von Bernard Schmid
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019
#Frankreich
Der »Rassemblement National« wird mit großer Wahrscheinlichkeit stärkste französische Partei bei der diesjährigen Europawahl. Für diesen Fall schmiedet Marine Le Pen bereits Pläne für eine neue, rechte Fraktion im EU-Parlament. Welche Bedeutung die »Gilet jaunes« für die Wahl haben, ist derzeit noch unklar.
Am 13. Januar 2019 fand im Pariser Veranstaltungssaal »La Mutualité« die Vorstellung der zwölf SpitzenkandidatInnen des »Rassemblement National« (»Nationale Sammlung«, RN) für die kommende Wahl des Europaparlaments statt. Seit dem 1. Juni 2018 ist RN der Name des früheren »Front National« (FN). Im Vorfeld wurde mit Spannung erwartet, ob VertreterInnen der andauernden sozioökonomischen Protestbewegung »Gilet jaunes« (»Gelbwesten«) auf der Liste stehen würden. Umfragen sagen voraus, dass der RN mit 21 bis 24 Prozent bei dieser Wahl zur stärksten Partei in Frankreich werden dürfte. Das wären je nach Umfrage voraussichtlich zwischen einem und sechs Prozent mehr als für die Liste von Emmanuel Macrons Regierungspartei »La République en marche« (»Die Republik in Bewegung«, LREM).
Die Antwort auf die aufgeworfene Frage lautet letztendlich »Nein«. Es scheint dem RN nicht gelungen zu sein, die bislang keiner Partei angehörenden VertreterInnen der mehrmonatigen Proteste für eine Kandidatur auf seiner Liste zu gewinnen. Oder er sah davon ab, weil ihm das Risiko zu groß erschien, der »Vereinnahmung« angeklagt und dadurch diskreditiert zu werden. An der Basis ist die neofaschistische Partei in der Protestbewegung – die heterogen zusammengesetzt ist, und an der auch ein Teil der Linken sowie eine Minderheit der Gewerkschaften teilnimmt – durchaus vertreten. Als beispielsweise am ersten Tag der mit der »Gelben Westen«-Bewegung assoziierten Verkehrsblockaden am 17. November 2018 ein Kommunalparlamentarier in Etaples-sur-Mer durch einen Verkehrsunfall an einem Blockadepunkt verletzt wurde, stellte sich heraus, dass es sich um einen Mandatsträger des RN handelte: Francis Leroy. Ein PKW war auf das von den Protestierenden errichtete Verkehrshindernis aufgefahren.
»Wir sind alle Gelbwesten-Träger!«, mit diesen Worten rechtfertigte RN-Chefin Marine Le Pen die Abwesenheit von Protest-RepräsentantInnen aus der »Zivilgesellschaft«. Keine »Gilet jaunes«; weder auf dem Podium noch auf der Liste. Unterdessen ist dem RN ein prominenter Fang geglückt: der frühere Minister Thierry Mariani, der nun auf einem prominenten Listenplatz für die extreme Rechte unter Marine Le Pen kandidiert. Mariani war zuvor ein herausgehobener Vertreter des rechten Flügels der Konservativen und amtierte unter Präsident Nicolas Sarkozy zwei Jahre lang (2010 bis 2012) als Verkehrsminister.
Europatournee im Wahlkampf
Den Wahlkampf zur kommenden Europaparlamentswahl 2019 startete Marine LePen nicht erst mit der Vorstellung der KandidatInnen auf den aussichtsreichsten Listenplätzen. Vielmehr begann sie mit einer kleinen Rundreise, die sie im Herbst 2018 unter anderem nach Rom und Sofia führte. Am meisten Beachtung fand dabei ihr Auftritt in Rom am 8. Oktober 2018. Formal eingeladen hatte sie die »Unione Generale del Lavoro« (»Allgemeine Arbeiterunion«, UGL). Tatsächlich handelt es sich bei dieser vor allem um eine Art Satellitenorganisation der hauptsächlich in Norditalien verankerten »Lega«, der rassistischen und ursprünglich auch regionalistischen, ja einstmals separatistischen Partei des seit Juni 2018 amtierenden Innenministers Matteo Salvini.
Anlässlich ihrer beider Teilnahme an der Konferenz mit anschließender Pressekonferenz präsentierte Salvini sich zusammen mit der französischen Gastrednerin vor den italienischen und internationalen Medien. Beide hegen gemeinsam große Ambitionen: Nach den Europaparlamentswahlen wollen sie mit den nationalistischen Rechtsparteien aus mehreren EU-Ländern die dann stärkste Fraktion im Europäischen Parlament aufbauen.
#Europaparlament
Rechte und konservative Fraktionen im Europäischen Parlament
Grafik mit allen rechten und konservativen Fraktionen im EU Parlament – Stand Januar 2019 Download der Grafik in DinA3 als PDF
Pläne für neue Fraktion
Auf der rechten Flanke des EU-Parlaments werden tatsächlich die Karten neu gemischt. Denn dort sitzen die Parteien, die rechts von der bürgerlich-konservativen »Europäischen Volkspartei« (EVP) angesiedelt sind, bislang in drei unterschiedlichen Fraktionen. Eine von ihnen wird durch den französischen RN angeführt, die zweite durch die britischen Konservativen oder »Tories«. Eine dritte durch die »Unabhängigkeitspartei des Vereinigten Königreichs« (UKIP). Aufgrund des, jedenfalls nach bisherigen Planungen Ende März 2019 vorgesehenen, Brexit, werden zwei der drei genannten Parteien jedoch aus dem EU-Parlament ausscheiden. Le Pen und Salvini, zu deren Verbündeten im Europaparlament derzeit unter anderen die österreichische »Freiheitliche Partei Österreichs« (FPÖ) zählt, sehen sich dadurch erheblich im Aufwind. Zumal in der nächsten Legislaturperiode voraussichtlich auch neu dort vertretene Parteien wie die tschechische Partei »Freiheit und direkte Demokratie« (SPD) dazu gehören werden.
Ihren möglichen Wahlerfolg sehen sie allerdings nicht als Auftrag, im Rahmen der bestehenden EU-Institutionen Politik zu betreiben, sondern in deren Überwindung. Anlässlich ihres gemeinsamen Auftritts mangelte es Le Pen und Salvini nicht an harten Worten gegenüber der existierenden Union. Diese bezeichneten sie unter anderem als »Bunker«, bezichtigten sie der »Kerkerlogik« und klassifizierten sie als »ein totalitäres System«, das »für die Ausweitung der Macht einer globalisierten Superklasse und nicht der Völker« errichtet worden sei. Alexander Gaulands Ergüsse in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« von Anfang Oktober 2018 lassen grüßen. Gleichzeitig sprach Matteo Salvini davon, man werde und wolle »das wahre Europa retten«. Gerne auch zusammen mit Viktor Orbán und Wladimir Putin.
Alte und neue Verbündete
Die Etappe in Rom war für Marine Le Pen zwar erst der Auftakt ihrer Tour – sie war jedoch symbolisch wohl die wichtigste. Italien galt für die französische extreme Rechte lange Zeit als Land der Träume. Aus Italien kamen das Geld, die Infrastruktur, das Know-How und auch die Plakate, mit denen 1972 der »Front National« gegründet und aufgebaut wurde – in einer Zeit der Schwäche der extremen Rechten in Frankreich, nach ihrer Niederlage im Algerienkrieg sowie ihrer Marginalisierung im Mai 1968. Sponsor und Unterstützer war dabei die italienische neofaschistische Partei »Movimento Sociale Italiano« (»Italienische Sozialbewegung«, MSI), die 1946 in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegründet worden war. Nicht zufällig ähnelte der Name dem der »Repubblica Sociale Italiana« (»Italienischen Sozialrepublik«, RSI), die nach dem Ende der faschistischen Zentralregierung in Rom von 1943 bis 1945 bestand. Die MSI existiert in der damaligen Form nicht mehr, ihre ErbInnen sind über mehrere Parteien verstreut. Auf französischer Seite hat sie bei der extremen Rechten mindestens eine sichtbare Spur hinterlassen: Als Parteisymbol benutzt der RN – wie zuvor der FN – die blau-weiß-rote Flamme in den Nationalfarben, die ursprünglich eine pure Adaption des MSI-Symbols darstellte.
Ein weiterer Akteur stand bei dem gemeinsamen Auftritt in Rom zumindest geistig im Raum: Steve Bannon, der US-amerikanische ehemalige Präsidentenberater. Er sieht sich gerne als Ideen- und Stichwortgeber für die europäischen Rechtsparteien. Diesbezüglich erteilten Le Pen und Salvini ihm jedoch eine Abfuhr: Man brauche keinen Hintermann. Wozu ist man auch NationalistIn, wenn man unter Kontrolle eines US-Amerikaners stehen soll? Am darauf folgenden Donnerstag, dem 11. Oktober 2018, traf Marine Le Pen Bannon dann doch noch persönlich. Von ihrem Gespräch wurde bekannt, Bannon habe eingeräumt, bei der von ihm gegründeten Struktur »The Movement« handle es sich nicht um eine Partei im europäischen Sinne. Das bedeutet, dass er sich auf eine Rolle als Ideenlieferant zu Themen wie Immigration und Ökonomie – wo er sich als Vordenker einer »Anti-Davos-Partei«, also gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) und die »Globalisierer« versteht – beschränken werde.
Rolle der »Gelbwesten« noch unklar
Eine Unbekannte befindet sich aus Sicht des RN bislang noch im Spiel – für den Fall, dass eine eigenständige Liste im Namen der Protestbewegung der »Gelbwesten« antreten sollte, könnte dies die Le Pen-Partei rund ein halbes Dutzend Prozentpunkte kosten. Ein solches Szenario wird bislang allerdings vor allem durch die Regierungspartei LREM heraufbeschworen. Es war LREM, die mit eigenen Geldern eine Umfrage in Auftrag gab, die die französische Sonntagszeitung »Le Journal du dimanche« am 9. Dezember 2018 publizierte. Deren Ergebnis: Eine solche Liste würde demnach vor allem die Parteien der extremen Rechten sowie Jean-Luc Mélenchon auf der Linken Stimmen kosten, also die aktivsten Oppositionsparteien schwächen. Dieser Befragung zufolge erhielte in einem solchen Kontext der RN 14 Prozent der Stimmen. Eine – hypothetische – Liste der »Gelbwesten« ihrerseits 12 Prozent, und Mélenchons Wahlplattform »La France insoumise« (»Das widerspenstige Frankreich«, LFI) käme auf neun Prozent der Stimmen.
Allerdings dürfte dies kaum funktionieren, vielmehr würde das Aufstellen gemeinsamer Listen die heterogene Protestbewegung sofort auseinander treiben. Marine Le Pen profitiert unterdessen erkennbar von der neuen innenpolitischen Situation, die seit den jüngsten Protesten eingetreten ist. Einer aktuellen Umfrage zufolge käme Le Pen mit 27 Prozent der Stimmen direkt auf den ersten Platz – statt mit 21,3 Prozent auf den zweiten wie im Frühjahr 2017.