Feinde der gleichgeschlechtlichen Ehe: Vom Straßenprotest zur Parteipolitik

von Bernard Schmid

Magazin "der rechte rand" Ausgabe 170 - Januar 2018

»Gott kämpft auf unserer Seite«: Nein, diese vermeintliche Gewissheit durchströmte nicht nur Kreuzritter und Missionare, sie erfüllte auch einige AkteurInnen im französischen Wahlkampf des Jahres 2017. Nein, die Rede ist nicht von Gestalten, die in Ritterkostümen mit schweren Lanzen auf Pferden in die Arena reiten. Die eingesetzten Kommunikationsmittel waren modern, die Ideen dagegen reaktionär. In den letzten fünf Jahren hat sich in Frankreich eine politische Lobby herausgebildet, die gegen die – im Mai 2013 gesetzlich vollzogene – Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare eintritt. Außerdem kämpfen eben jene AkteurInnen auch gegen das geltende Abtreibungsrecht, zum Teil gegen Verhütung und das, was sie zu »Pornographie« erklären.

Einer ihrer prominentesten Vertreter ist Arnaud Le Clere. Seit den Regionalwahlen vom Dezember 2015 sitzt er als Abgeordneter der konservativen Hauptpartei des rechten Bürgerblocks, »Les Républicains« (LR) – ehemals »Union pour un mouvement populaire« ( »Vereinigung für eine Volksbewegung«, UMP) –, im Regionalparlament der Hauptstadtregion Ile-de-France. Zugleich ist er Vizepräsident der Vereinigung »Sens commun« (»Gemeinsinn«, aber auch gleichbedeutend mit »gesunder Menschenverstand«), die laut Eigenangaben zwischen 9.000 und 10.000 Mitglieder zählt; die Zahl der tatsächlich Aktiven wurde im Mai 2015 durch das Wochenmagazin »Marianne« auf circa 6.000 geschätzt. Seitdem dürfte die Organisation eher noch leicht gewachsen sein.

Arnaud Le Clere ist aber auch einer der Mandatsträger, welche die Region Ile-de-France offiziell im Vorstand des »Centre régional d’information et de prévention du SIDA« (»Regionales Zentrum für AIDS-Aufklärung und -Vorbeugung«, Crips) vertreten. Und spätestens hier wird es hochproblematisch. Wie es auf der Webseite des Wochenmagazins »L’Obs« – früher »Le Nouvel Observateur« – am 2. Februar 2017 hieß, soll Le Clere dafür verantwortlich sein, dass eine an OberstufenschülerInnen gerichtete Broschüre zur Sexualaufklärung und AIDS-Prävention nicht verteilt, sondern zurückgezogen wurde. Grund für das Einstampfen: Arnaud Le Clere bemängelte unter anderem die Passagen zur sexuellen Orientierung, die seiner Auffassung nach zu sehr homo- und heterosexuelle Neigungen auf eine Stufe stellen würden. »Es wird gesagt, ein Paar könne aus zwei Männern, aus zwei Frauen, ja sogar aus einem Mann und einer Frau bestehen. Das ist unobjektiv. Und wenn man das liest, empfindet man das als eine Art von ideologischem Aktivismus«, begründete er gegenüber »L’Obs« seine Aktion. Le Clere nahm aber auch am 30. September 2016 an einer Sendung des extrem rechten Rundfunksenders »Radio Courtoisie« zu den Themen »Argumente zur Einwanderung« und »Vor dem Bürgerkrieg?« teil.

Von Protesten zur Parteipolitik
»Sens commun« ging direkt aus den Demonstrationen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe von 2012/13 hervor. Im Dezember 2013 schloss sich die Initiative der UMP an. Diese wiederum benannte sich 2015 in »Les Républicains« (LR) um. »Sens commun« mischt seither aktiv in den parteipolitischen Auseinandersetzungen mit. Am 1. September 2016 gab sie auf ihrer Webseite bekannt, bei der Vorwahl zur Bestimmung des konservativen Präsidentschaftskandidaten für 2017 den Bewerber François Fillon zu unterstützen. Und nicht nur dies, die aktiven Mitglieder der Bewegung waren auch in dessen Vorwahlkampagne sehr aktiv, verteilten unermüdlich Flugblätter und bearbeiteten SympathisantInnen und Mitglieder der Partei LR argumentativ. Eine entschlossene Minderheit in dieser Größe kann einiges bewirken. Und so wurde Fillon bei den Vorwahlen unter den konservativen SympathisantInnen, welche am 20. und 27. November 2016 stattfanden, mit einer komfortablen Zwei-Drittel-Mehrheit zum Präsidentschaftskandidaten dieses politischen Lagers gekürt. Dass Fillon jedoch fünf Monate später im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl scheiterte (jedoch immer noch 20 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt), steht hingegen auf einem anderen Blatt und ist vor allem den Enthüllungen der satirischen Wochenzeitung »Le Canard enchaîné« (»Die Ente in Ketten«) über seine korrupten Finanzpraktiken geschuldet.

Heute ist »Sens commun« ein Bestandteil der Koalition aus zum Teil weit rechts stehenden Strömungen, die den neuen LR-Chef vom konservativen Scharfmacherflügel – den am 10. Dezember 2017 in den Parteivorsitz gewählten Laurent Wauquiez, zugleich Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes mit Sitz in Lyon – unterstützt. Ihre politischen Positionen haben sich seither radikalisiert. So forderte der damalige Chef der Vereinigung, Christophe Billan, im Oktober 2017 in einem Aufsehen erregenden Interview in der Tageszeitung »Le Figaro« unter anderem, die Zugehörigkeit zum Christentum müsse eine unabdingbare Einbürgerungsvoraussetzung werden. In demselben Interview erklärte er, der »Front National«-Politikerin und früheren Abgeordneten der Nationalversammlung (zwischen 2012 und 2017) Marion Maréchal-Le Pen »die Hand reichen« zu wollen.

»Front National«: Auch Rechtskatholizismus
Längerfristig ist auch eine Annäherung der RechtskatholikInnen an den »Front National« (FN) nicht auszuschließen. Dort tobt jedoch ebenfalls ein Linienkampf zwischen der eher antiklerikalen Linie von Marine Le Pen – die sich aus den Mobilisierungen gegen die Homosexuellenehe 2012/2013 persönlich heraus hielt und ihnen eher mit Desinteresse begegnete – einerseits, dem katholisch-»traditionalistischen« Flügel ihrer Partei andererseits. Letzterem gehört Marine Le Pens Nichte, die oben erwähnte 27-jährige Marion Maréchal-Le Pen, als wohl prominenteste Vertreterin an. Aktuell findet ihre Position im innerparteilichen Machtkampf allerdings keine Mehrheit, da sie sich im Mai 2017 vorläufig aus dem aktiven politischen Leben zurückgezogen hat. Derzeit ist sie beruflich damit befasst, eine Privatuniversität mit aufzubauen. Die Frage der Verteilung der innerparteilichen Gewichte, aber auch möglicher Annäherungen über die Parteigrenzen hinweg ist noch offen.