Alte und neue FreundInnen

von Jan Rettig
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019

#EUParlament


Die extreme Rechte konsolidiert sich seit Jahren im Europäischen Parlament. Nach der Wahl im Mai 2019 könnte ihr aus der vormaligen Propagandabühne, Geldquelle und Vernetzungsnische ein Einfluss erwachsen, der ihre nationalen Bemühungen um politischen und gesellschaftlichen Rückschritt maßgeblich flankieren würde.

Parlamentsarbeit
Derzeit sind extrem rechte Parteien an diversen Fraktionen im Europäischen Parlament (EP) beteiligt. Den harten nationalistischen Kern bildet die aktuell kleinste namens »Europe of Nations and Freedom« (»Europa der Nationen und Freiheit«, ENF). In der EU-feindlichen Fraktion »Europe of Freedom and Direct Democracy« (»Europa der Freiheit und direkten Demokratie«, EFDD) tummeln sich ebenfalls einschlägige Parteien. Darüber hinaus haben zwei weitere größere Fraktionen offene Rechtsaußenflanken: Die EU-skeptischen »European Conservatives and Reformists« (»Europäische Konservative und Reformer«, ECR) und die christdemokratische, zu Teilen nationalkonservative »European People’s Party« (»Fraktion der Europäischen Volkspartei«, EVP).

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EU Parlament Fraktionen


Die ENF nutzte in dieser Legislaturperiode (2014-2019) vor allem die Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle mittels schriftlicher Anfragen. Mit knapp 2.600 stellte sie ebenso viele wie die EKR, die allerdings doppelt so viele Abgeordnete umfasst. Auch die Anzahl an Resolutionsentwürfen, die von der ENF eingebracht wurden, war überdurchschnittlich hoch. Thematisch gab es keinen Schwerpunkt – Interesse und Initiative der einzelnen Abgeordneten schienen hier ausschlaggebend. Wenn überhaupt, ist eine gemeinsame Linie in der erwartbaren Verknüpfung fast jeden Themas mit lokal, regional oder national exklusiven Ansprüchen zu erkennen.
Mit ihren fast ausnahmslos allein eingebrachten Themen erhielt die ENF aber kaum eine Bühne, denn Resolutionsentwürfe bedürfen einer gewissen Relevanz und Unterstützungsbreite, um im Plenum zur Debatte gestellt zu werden. Hier hat sich bisher ein Cordon sanitaire gehalten. Anders gegenüber der EFDD. Sie konnte einen Großteil ihrer Anliegen in fraktionsübergreifende Anträge einbringen. Innerhalb des Rechtsaußen-Lagers scheint es wenig Berührungsängste zu geben, wie einige gemeinsame Anträge belegen, wovon der medienwirksamste sicher das Misstrauensvotum gegen die EU-Kommission Ende 2014 war. Sonstige Möglichkeiten, eigene Themen auf die Agenda zu setzen, hat die ENF interessanterweise nur wenig genutzt.
Auch fraktionslose Abgeordnete kamen zu Wort. Wie nachrangig ihr Status ist, zeigte zuletzt die Debatte nach einer europapolitischen Rede von Angela Merkel im EP. Nach Reden von Staats- und Regierungschefs im EP ist es üblich, Abgeordneten desselben Landes bevorzugt Rederecht einzuräumen. Martin Sonneborn (»Die Partei«) hatte dieses Recht explizit deshalb in Anspruch genommen, um den fraktionslosen Udo Voigt (NPD) nicht zu Wort kommen zu lassen. Die daraufhin erfolgte Bitte Bruno Gollnischs (ehemals FN), seine Redezeit Voigt überlassen zu dürfen, wies der Parlamentspräsident zurück.

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Udo Voigt auf der Buchmesse in Leipzig 2018 © Mark Mühlhaus / attenzione

Aber nicht immer war Voigt so zu schassen. Hauptsächlich meldete er sich zu Wort, wenn es um die EU, den Nahen und Mittleren Osten sowie Migration ging. Mit seinen Ansprachen zur Verteidigung der HolocaustleugnerInnen Horst Mahler und Ursula Haverbeck oder den klassischen Informationsanfragen betrieb er solide Klientelpolitik für seine nationalrevolutionär-faschistische Basis. Worüber er und seine ebenfalls fraktionslosen Kumpane der ungarischen »Jobbik«, griechischen »Chrysi Avgi« und des ex-FN aber nicht verfügen, sind zusätzliche finanzielle und infrastrukturelle Ressourcen, die ausschließlich Fraktionen zustehen. Diese Mittel reichen weit über die Finanzierungshilfen für Euro-Parteien und -Stiftungen hinaus. Wie sehr und einfach diese Summen korrumpieren und zur Zweckentfremdung anstiften, zeigte unter anderem eine Spesenabrechnung der ENF von 2016, derzufolge Luxusessen und -getränke von Fraktionszuwendungen bezahlt werden sollten. Politisch schwerwiegender sind die aktuell laufenden Ermittlungen gegen den »Rassemblement National« (RN, früher »Front National«) aufgrund national verwendeter aber europäisch bestimmter Fraktions- beziehungsweise Abgeordnetenzuwendungen für Personal.

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Nigel Farage im EU-Parlament 2018 © European Union 2018 EP CC BY-4.0

Zusammen gegen EU und Migration
Eines der bestimmenden Themen der letzten Jahre war der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Die anfängliche Euphorie wich schnell der Ernüchterung. Was im EP von der extremen Rechten bis heute unisono als Ausdruck nationaler Selbstbestimmung beschworen wird, ertönte schon in den auf das Referendum folgenden Wahlkämpfen in ganz Europa nicht mehr besonders laut. Und als realpolitische Konsequenz scheint es keine attraktive Option zu sein. Bei allem Streit, aller Provokation und allen Machtdemonstrationen streben weder die »Lega« noch die »Freitheitliche Partei Österreichs« (FPÖ) einen Austritt aus der EU an, auch »Fidesz« und die PiS stellen die EU-Mitgliedschaft nicht prinzipiell in Frage. Und so bejubelt man den Brexit, wohlwissend, dass die eigene Scholle immer noch und relativ alternativlos zur EU gehört.
Wirklich laut und handfest am Werk sind sie dagegen in der Migrationsfrage. Im Dezember 2018 unternahm die ENF eine Fraktionsreise nach Budapest. Dort traf man sich nach eigenen Aussagen bereits zum zweiten Mal zu einem Arbeitstreffen, bei dem unter anderem ein Wirtschaftsexperte über den ungarischen Weg aufklärte und Verabredungen für die kommende EP-Wahl getroffen werden sollten. Die Stadt war sicher nicht zufällig gewählt. Bereits im August 2018 trafen sich der italienische Innenminister Matteo Salvini (»Lega«/ENF) und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (»Fidesz«/EVP) für eine migrationsfeindliche Mobilmachung zur nächsten EP-Wahl im Mai 2019. Dabei wurden zwei medienkompatibel leicht verständliche Lager konstruiert: Die immigrationsfreundliche von Deutschland und Frankreich dominierte EU und die eigene Anti-Immigrationsfront; deren zugeschriebener Antagonismus gar nicht der Realität entspricht. In der letzten Plenumsaussprache zum Migrationspakt Ende November 2018 zeigte sich die diskursive Einigkeit der überzeugten Migrationsfeinde. Was Anders Primdahl Vistisen (DF/EKR) als »Schande« und »Wahnsinn«, Jörg Meuthen (AfD/EFDD) als »hinterhältigen« und »suizidalen Pakt« und Harald Vilimsky (FPÖ/ENF) schlicht als »etwas Schlechtes« denunzierten, wurde durch Udo Voigt (NPD/fraktionslos) schließlich konsequent konkretisiert in der Furcht vor dem »Volkstod durch Integration«. Als es etwa ein Jahr zuvor um Realpolitik im Feld ging, gab es keine zwei Fronten, sondern nur eine erdrückende Parlamentsmehrheit für die Verschärfung von Einreisekontrollen.

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#EUParlament
von Jan Rettig im Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 – September / Oktober 2018

Wenn sich Propaganda und Macht treffen
Zwar eint die europäische Rechte vieles, doch es gibt einige Unverträglichkeiten in den eigenen Reihen auszuhalten. So etwa der Unterschied zwischen einem eher offen-radikalen und einem eher moderat-abgeschwächten Antisemitismus. Oder der Widerspruch zwischen der Ablehnung respektive Parteinahme gegenüber den USA und Russland. Während vor allem die westeuropäischen Player der extremen Rechten diverse Bande nach Russland haben, hält sich diese Begeisterung bei den meisten ihrer osteuropäischen FreundInnen in Grenzen. Welche Rolle darin der US-amerikanische »Alt-Right«-Königsmacher Stephen Bannon mit seinem Projekt »The Movement« spielen kann, ist noch unklar. Derzeit tourt er durch Europa. Mitte Dezember 2018 absolvierte er eine eher zerknittert als enthusiastisch wirkende Veranstaltung unter anderem mit Marine Le Pen (RN).
Ob sich allein aus EU- und Migrationsfeindschaft so einfach die, wie manche befürchten und andere erhoffen, größte Fraktion der nächsten Legislaturperiode basteln lässt, darf bezweifelt werden. Ihr Potential wird in jedem Fall wachsen. Die »Lega« verfügt derzeit über fünf Abgeordnete und kann nach aktuellen Umfragen mit etwa 25 Mandaten rechnen. Nachdem sie durch Parteiaustritte schon fast aus dem EP verschwunden war, werden der »Alternative für Deutschland« (AfD) jetzt bis zu 14 Mandate vorausgesagt. Für die gibt es zwar viele »natürliche Verbündete« (Jörg Meuthen), die sie aber auch brauchen, wenn sie nach UKIPs Ausscheiden wieder Teil einer Fraktion sein wollen. Die bisher von der AfD aufgestellten SpitzenkandidatInnen für die EP-Wahl mögen allesamt EU-feindlich sein, völkische Hardliner sind sie aber nicht, weswegen ein gewisser machtpolitischer Pragmatismus zu erwarten ist. Ideologisch gehört die AfD mit ihren diversen identitären Essentialismen und den entsprechenden negativen Ressentiments eigentlich zur ENF-Clique. Die Aktien des dortigen AfD-Abtrünnigen Marcus Pretzell (»Die Blauen«) werden wohl sinken, unabhängig davon ist er aber auch Mitglied in der zugehörigen Euro-Partei. In den Fraktionen wird es Bewegung geben. Der allgemeine nationalistische Aufschwung wird der slowakischen SNS ebenso ins EP verhelfen, wie der noch jungen spanischen VOX, die zu ihrem kürzlichen Wahlerfolg in Andalusien schon die herzlichsten Glückwünsche von Marine Le Pen erhielt. Da werden Arme ausgebreitet. Nicht zuletzt, weil die neue Stärke es auch erlauben würde, zukünftig wählerischer zu werden und langjährige Loyalitäten gegen neue Optionen abzuwägen. Eine größtmögliche Fraktion könnte angesichts schwindender großer Mehrheiten zur Auflösung der bisherigen Ausgrenzung und damit zu relevanten Posten führen. Die süd-mittel-osteuropäische Achse, mit oder ohne die alten westeuropäischen Flaggschiffe, würde ungeahnt viele nationale Regierungsparteien umfassen. In dieser Kombination liegt die eigentliche Gefahr: Nationale Wahlerfolge beziehungsweise Regierungsbeteiligungen der extremen Rechten verstärken zunächst die politischen und sozialen Regressionen innerhalb einzelner Staaten. Aus der nationalen Machtbeteiligung ergibt sich darüber hinaus aber auch die Mitbestimmung in der EU-Kommission, dem Rat der EU und dem Europäischen Rat, neben dem Parlament die andere, zwischenstaatliche Hälfte der legislativen Macht in Europa. Konzertiertes Handeln in allen diesen Arenen wird so zu einer strategischen Arbeit mit Erfolgsoption verdichtet, die die radikale Abschottung nach außen und die innere Reinhaltung des »Volksgruppenzoos« (Karl-Heinz Roth) Europa zum Ziel hat.

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Europa Ausgabe – Die radikale Rechte vor der Wahl