Die Rechten wollen keine solidarisch-demokratische Arbeitswelt

Interview »der rechte rand« mit Hans-Jürgen Urban



Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018

#Interview

Viele in den Gewerkschaften sind auf der Suche nach linken Antworten auf die rechte Mobilisierung in den Betrieben. Darüber sprach Sören Frerks für »der rechte rand« mit Hans-Jürgen Urban. Er ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.

 

Magazin der rechte rand Ausgabe 171

© IG Metall

drr: Gegenwärtig wird in Deutschland über rechte Listen bei den Betriebsratswahlen gesprochen. In Frankreich ist der »Front National« bei den Gewerkschaften schon länger auf Stimmenfang und will diese am liebsten gleichschalten. Und in Österreich steht insbesondere auf Betreiben der FPÖ die Pflichtmitgliedschaft in den gewerkschaftsnahen Arbeiterkammern zur Disposition. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Hans-Jürgen Urban: Der zunehmende Rechtspopulismus ist in der Tat kein ausschließlich deutsches Phänomen. Hierzulande wird er bislang aber vorwiegend als Gefahr für die parlamentarische Demokratie diskutiert. Aber mittlerweile scheint er auch den Gewerkschaften und Betriebsräten zunehmend zu schaffen zu machen. Studien zeigen, dass auch Gewerkschaftsmitglieder mit rechten Parteien und Deutungsmustern sympathisieren. Zudem müssen sich Gewerkschaften und Betriebsräte bei der Mobilisierung von Belegschaften zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Standorten immer öfter vor rechten TrittbrettfahrerInnen schützen. In diesen mitunter stark emotionalisierten Konfliktsituationen versuchen diese, mit rassistisch verzerrten Krisendeutungen und chauvinistischen »Lösungsvorschlägen« den Gewerkschaften die Deutungshoheit streitig zu machen. Nicht weil sie ein echtes Interesse an einer solidarischen Arbeitswelt haben, sondern um die mediale Öffentlichkeit für eigene Agitationszwecke zu nutzen. All dem müssen wir uns offensiv stellen.

Die AfD-nahen ArbeitnehmerInnengruppierungen nennen sich »Zentrum Automobil«, »Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer« oder »Arbeitnehmer in der AfD«. Wie werden diese Versuche, rechte Politik in die Betriebe zu tragen, aus Sicht der IG Metall bewertet?
Seit geraumer Zeit häufen sich die Anzeichen dafür, dass die »Neue Rechte« die Betriebsratswahlen nutzen will, um Einfluss in den Unternehmen zu gewinnen. In einigen Unternehmen waren wir bereits in der Vergangenheit mit rechten Umtrieben konfrontiert. Die rechten Listen agieren dabei wie rechtspopulistische Parteien. Es wird gezielt Stimmung gegen die IG Metall gemacht, konstruktives Arbeiten findet jedoch nicht statt. Bisher scheint sich die Anzahl rechter Listen bei der bevorstehenden Betriebsratswahl zwar im Promillebereich zu bewegen und die Anerkennung der IG Metall und ihrer Betriebsräte als starke Interessenvertretung der Belegschaften nicht umfassend gefährdet. Einen Anlass zur politischen Entwarnung gibt es aber nicht.

Die AfD wird nicht nur von Prekarisierten gewählt: Im Nachgang der Bundestagswahl zeigte sich, dass die AfD insbesondere unter ArbeiterInnen viele Stimmen holen konnte. Haben RechtspopulistInnen hier ein besonders großes Potenzial?
Die übergroße Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen fühlt sich Werten wie Gerechtigkeit und Solidarität verpflichtet und engagiert sich gegen Fremdenfeindlichkeit. Und wenn man in den Betrieben unterwegs ist, sieht man wie viel Integration im Arbeitsalltag gelebt wird. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass soziale und kulturelle Umbrüche auch die Zukunftsängste in der ArbeiterInnenschaft wie in der Mittelschicht verstärken. Das befördert mitunter rechte Einstellungsmuster. Dies allerdings nicht nur bei den sogenannten ‹Modernisierungs- oder GlobalisierungsverliererInnen›. Im Gegenteil: Tendenziell können sich eher Personen mit mittlerer und höherer Statuslage vorstellen, die AfD zu wählen. Rechte Ideologien sind also in allen gesellschaftlichen Milieus vertreten. Die Bilder vom frustrierten Arbeitslosen oder vom rechten Arbeiter sind verkürzte Darstellung und gefährliche Verharmlosungen des Problems. Wir müssen vielmehr die Breite des rechten Phänomens anerkennen. Entsprechend breit muss auch eine Gegenstrategie angelegt sein.

Welche Möglichkeiten gewerkschaftlicher Strategien sehen Sie, um dem politischen Rechtstrend etwas entgegenzusetzen?
Die Gewerkschaften stehen nicht alleine in der Verantwortung, den Rechtspopulismus in Betrieben und Gesellschaft zurückzudrängen. Aber sie haben eine wichtige Rolle. Die gelebte Alltagssolidarität im Betrieb ist ein zentrales Bollwerk gegen Rassismus und Chauvinismus. IG Metall-Vertrauensleuten und Betriebsräten kommt mit ihrer entschiedenen Interessenvertretungspolitik und Gewerkschaftskultur, die keine Unterschiede nach Herkunft, Religionszugehörigkeit oder Geschlecht macht, hierbei eine Schlüsselstellung zu. Außerdem müssen Gewerkschaften der neoliberalen Transformation unseres Sozial- und Wirtschaftssystems eine alternative Sozialpolitik und Transformationsperspektive entgegensetzen. Eine Perspektive, die Solidarität und Demokratie wieder erlebbar macht und somit diejenigen, um die der Rechtspopulismus buhlt, in ein progressives Politikprojekt einbindet. Denn soziale Sicherheit und Gerechtigkeit sind und bleiben ein unverzichtbares und zu stärkendes Fundament von Demokratie. Unverzichtbar ist zudem der Kampf gegen den um sich greifenden Alltagsrassismus. Denn auch ein Mehr an sozialer Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit verwandelt Rassismus nicht automatisch in Humanismus. Es ist die Aufgabe der Gewerkschaften, soziale und kulturelle Inklusion in den Betrieb zu tragen und dort erfahrbar zu machen.

Bei den Protesten gegen die Schließung des Siemens-Generatorenwerks Erfurt im November 2017 hat die AfD versucht, sich in Persona des thüringischen Vorsitzenden Björn Höcke in Szene zu setzen. Die Reaktion war eindeutig: Die »IG Metall hat mit der AfD-Politik keinerlei inhaltliche Schnittmenge. Die AfD ist für die Kämpfe und Konflikte (…) kein Bündnispartner. Gegen Versuche der Vereinnahmung werden wir mit allen Mitteln vorgehen.« Wie kann diese Abgrenzungsstrategie in der Zukunft praktisch aussehen?
Zunächst einmal ist es richtig, die AfD nicht wie jede andere Partei zu behandeln. Die AfD hat nicht das Recht, wie selbstverständlich am demokratischen Diskurs teilzunehmen, weil sie diesen verachtet und sich selbst außerhalb des demokratischen Spektrums positioniert. Die offen rassistischen Ausfälle führender AfDlerInnen in der jüngsten Vergangenheit belegen das aufs Neue. Toleranz und Solidarität müssen sich hier als robuste Tugenden erweisen und sich derjenigen erwehren, die sie mit Füßen treten. Für uns als Gewerkschaften bedeutet das: Wir brauchen eine Doppelstrategie aus klarer Kante und offener Tür. Rassismus und Hetzereien dürfen nicht geduldet werden. Gleichzeitig müssen wir den über Ungerechtigkeit Empörten ein Angebot machen, sich in einer solidarischen Bewegung zu engagieren. Dies dürfen wir nicht der extremen Rechten überlassen. Denn wer wirklich etwas tun möchte für mehr Gerechtigkeit, ist bei uns gut und unter Rechtspopulisten denkbar schlecht aufgehoben.

Manche werfen den Gewerkschaften provokant gesagt vor, sich neben ihrem Kerngeschäft der ArbeitnehmerInnenvertretung zu vielen anderen Themen zu widmen. Haben sich die Gewerkschaften in der letzten Zeit zu wenig auf die originären Interessen der ArbeitnehmerInnen konzentriert?
Unbestritten sind die Betriebs- und Tarifpolitik die Kernfelder gewerkschaftlicher Arbeit. Unsere Mitglieder bekräftigen in Beschäftigtenbefragungen aber immer wieder, dass sie von uns auch eine gesellschafts- und sozialpolitische Einmischung erwarten. Sie erwarten gewerkschaftliches Engagement für soziale Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit. Zu Recht! Zugleich war die Tarifrunde 2018 der IG Metall ein gelungenes Beispiel für eine solidarisch-demokratische Gegenbewegung. Neben den unmittelbar spürbaren Verbesserungen beim Einkommen sowie der Option auf eine ‹verkürzte Vollzeit› von 28 Wochenstunden war der gesamte Verhandlungsprozess durch eine umfassende Aktivierung und emanzipatorische Einbeziehung der Mitglieder geprägt. Der Bedarf an individueller Zeitsouveränität ergab sich aus einer Befragung, an der sich etwa 700.000 Beschäftigte beteiligten, darunter ein Drittel Nicht-Mitglieder. Die Warnstreiks wurden sogar von gut 1,5 Millionen Beschäftigten getragen. Dieser Arbeitskampf erzeugte eine hohe Identifikation mit der Bewegung und ein emotionales Klima, das eine wesentliche Mobilisierungsressource war. Die Folge ist eine verstärkte Bindung an »ihre Gewerkschaft« und an das allgemeine Projekt einer solidarischen Interessenpolitik.

Vor neun Jahren entwickelten Sie den Begriff der »Mosaik-Linken«. Ihre These war, dass sich die Gewerkschaften im Spiegel der Finanzkrise und des Neoliberalismus erneuern müssten, um Teil einer großen sozialen Bewegung zu werden. Wie bewerten Sie diese Idee angesichts des Erstarkens des rechten Blocks heute?
Ich sehe mehr denn je den Bedarf für die Formierung eines linken Reformakteurs. Wir erleben derzeit die Transformation des Wohlfahrtsstaats-Kapitalismus in einen »autoritären Finanzmarkt-Kapitalismus«. Die Folgen sind schwindender sozialer Zusammenhalt und eine verstärkte subjektive Verunsicherung. Beides befördert in der Bevölkerung einen Akzeptanzverlust von Demokratie und kultureller Diversität. Hier entsteht ein Orientierungsvakuum, in das der Rechtspopulismus gezielt und systematisch mit Deutungsangeboten vorstößt. Er versucht so eine soziale Bewegung von rechts zu formen. Daher braucht es dringend einen gewichtigen fortschrittlichen Reformakteur, der dem etwas entgegensetzt. Der Sozialreformismus sozialdemokratischer Prägung erscheint gegenwärtig weder fähig noch willens, dem Bedürfnis nach einer zeitgemäßen Kollektividentität durch progressive Angebote zu entsprechen. Ich halte das für eine gefährliche Leerstelle und es wird höchste Zeit, dass sich daran etwas ändert. Die Gewerkschaften sind gefordert, hierzu ihren Beitrag zu leisten.

Vielen Dank für das Interview!