Die soziale Frage

von Stefan Dietl


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018

#AfD

Immer mehr abhängig Beschäftigte machen ihr Kreuz bei der »Alternative für Deutschland«. Doch vertritt sie wirklich die Interessen der »kleinen Leute«?

 

Jörg Meuthen stellt den Mindestlohn weiterhin in Frage: »Denn es gibt Menschen, die arbeiten, aber dabei nicht jene Produktivität erreichen, die einem Mindestlohn von 8,50 Euro entspricht.«

Der Aufstieg der »Alternative für Deutschland« (AfD) ging auch mit einer Veränderung ihrer WählerInnenbasis einher. Waren es bei der Europawahl 2014 vor allem WählerInnen aus der Mittelschicht, die der Partei ihre Stimme gaben, gelang es der AfD, danach ihr WählerInnenpotenzial zu verbreitern. In zahlreichen Bundesländern erhielt sie laut Umfragen den größten Zuspruch von Arbeitenden. Die DGB-Gewerkschaften, mit rund sechs Millionen Mitgliedern die mit Abstand größten Interessenvertretungen der Arbeitenden in Deutschland, gehören damit zu den wichtigsten Protagonistinnen im Kampf gegen die AfD. Wollen sie dieser Aufgabe gerecht werden, gilt es bei elementaren ökonomischen Interessen ihrer Mitglieder anzusetzen und die verheerenden Auswirkungen der Forderungen der AfD auf die Rechte der Arbeitenden ins Zentrum der gewerkschaftlichen Aufklärung über die AfD zu rücken – zumal der AfD in Fragen der sozialen Gerechtigkeit eine hohe Kompetenz von ihren WählerInnen zugeschrieben wird.

Die AfD und die soziale Frage
Bei der Frage, wofür die AfD in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen steht, muss zunächst ein tiefer Riss, der die Partei hierbei kennzeichnet, resümiert werden. Während der völkisch-nationalistische Flügel der Partei versucht, die Betroffenen von Sozialabbau und neoliberaler Deregulierung mit sozialprotektionistischen Forderungen und teils kapitalismuskritischer Rhetorik für die AfD zu gewinnen, setzen die marktradikalen Hardliner in der Partei auf die Verknüpfung von sozialdarwinistischem Wohlstandschauvinismus und rassistisch-biologistischen Vorstellungen. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen marktradikalen Neoliberalen und den PropagandistInnen eines sozialen Nationalismus zeigen sich bei einer Betrachtung der verschiedenen sozialpolitischen Programmpunkte der AfD.

Magazin der rechte rand Ausgabe 171

© Roland Geisheimer / attenzione

Deregulierung des Arbeitsmarkts
Die Arbeitsmarktpolitik der AfD ist seit ihrer Gründung gekennzeichnet durch einen Kurs der neoliberalen Deregulierung und Umstrukturierung. Auf Druck des völkisch-nationalistischen Flügels wurden zwar einige der unpopulärsten Positionen revidiert, die Ausrichtung auf eine grundlegende neoliberale Umstrukturierung des Arbeitsmarktes wurde jedoch beibehalten. Das zeigt sich unter anderem bei der Haltung der Partei zum Mindestlohn. Lange Zeit positionierte sich die AfD klar gegen eine Lohnuntergrenze. Im April 2015 bezeichnete die damalige Parteivorsitzende Frauke Petry das Mindestlohngesetz als »neosozialistisch«, einen »Job-Killer« und Ausdruck »realitätsferner Sozialromantik«. Kurz vor dem Stuttgarter Grundsatzprogramm-Parteitag im Mai 2016 sprach sich der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen »gegen jede soziale Vollkaskomentalität« aus. Die AfD könne »nicht nur eine Partei der Geringverdiener und Arbeitslosen sein«, so Meuthen. Im verabschiedeten Grundsatzprogramm vollzog die Partei zumindest nach außen hin eine Kehrtwende und spricht sich nun für einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Im Vorfeld hatten sowohl Nationalkonservative wie auch völkische NationalistInnen hierfür geworben und dies unter anderem mit dem gestiegenen Zuzug von Geflüchteten und dem dadurch notwendigen Schutz ‹Deutscher› vor Lohndumping begründet. Der Mindestlohn schütze »vor dem durch die derzeitige Massenmigration zu erwartenden Lohndruck«, heißt es im Grundsatzprogramm. So gelingt es der Partei, ihre Neuorientierung mit rassistischen Ressentiments zu verbinden. Die AfD lässt jedoch bewusst die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns offen. Den Marktradikalen in der Partei bietet das die Möglichkeit, ihren Kurs weiter zu verfolgen. In Landtagen sprach sich die AfD mehrmals gegen eine Erhöhung des Mindestlohns aus. Jörg Meuthen stellt den Mindestlohn weiterhin in Frage: »Denn es gibt Menschen, die arbeiten, aber dabei nicht jene Produktivität erreichen, die einem Mindestlohn von 8,50 Euro entspricht.«
Während einige BeobachterInnen aus den Kurskorrekturen einen prinzipiellen Wandel der AfD hin zu einer stärker an der sozialen Frage ausgerichteten Politik ableiten, zeigt sich gerade in der Arbeitsmarktpolitik das weiterhin dominante neoliberale Weltbild der Partei. So fordern VertreterInnen der AfD immer wieder die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu Lasten der Beschäftigten, den erzwungenen Arbeitseinsatz von Erwerbslosen oder die Absenkung von Hartz-IV-Leistungen. In ihrem Grundsatzprogramm fordert die Partei eine Neuordnung und Entbürokratisierung des Arbeitsrechts, womit vor allem der Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten verbunden ist. In der Leih- und Zeitarbeit verurteilt die AfD zwar den Missbrauch dieser Beschäftigungsverhältnisse, ohne jedoch prekäre Arbeitsverhältnisse grundsätzlich abzulehnen oder eindämmen zu wollen. In Sachsen sprach sich die AfD in ihrem Landtagswahlprogramm gegen Missbrauch von Zeitarbeit und Werkverträgen aus. Gleichzeitig forderte die Fraktion die »Zurückdrängung marktfremder merkel-sozialistischer Markt­bürokratisierung« und positionierte sich klar gegen die vermeintlichen »(Über-)Regulierungen bei der Zeitarbeit«.

Umstrukturierung des Steuersystems
Die Steuerpolitik gehört seit der Gründung zu den Schwerpunktthemen der AfD. Im Mittelpunkt steht dabei, Unternehmen und Besserverdienende steuerlich zu entlasten und sozialpolitische Aufgaben zurückzufahren. Im Gegensatz zu anderen Politikfeldern stößt der neoliberale Umbau des Steuersystems jedoch bisher auf keinen nennenswerten Widerspruch innerhalb der AfD. Kernelement der AfD-Steuerpolitik ist die Reform der Einkommenssteuer. Die in Deutschland geltende progressive Versteuerung, wonach höhere Einkommen mit einem höheren Prozentsatz belastet werden, will die AfD durch ein Stufenmodell ersetzen, das Spitzeneinkommen deutlich entlastet. Eine Entlastung Besserverdienender würde auch die geforderte Abschaffung der Vermögens- und Erbschaftssteuer mit sich bringen. Ihre Pläne zur Umstrukturierung der Einkommenssteuer verknüpft die AfD mit einer Überprüfung der Körperschafts- und Gewerbessteuer. Die Abschaffung der Gewerbesteuer, der wichtigsten Einnahmequelle der Kommunen und die von der AfD geforderte Insolvenzfähigkeit von Städten, würde das Ende zahlreicher kommunalfinanzierter Aufgaben bedeuten – mit verheerenden Auswirkungen für die betroffene Bevölkerung und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst.

Neoliberaler Staatsumbau und Sozialabbau
Die größten innerparteilichen Widersprüche in der Wirtschaftspolitik zeigen sich bei der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Zukunft der sozialen Sicherungssysteme. Von Beginn an verfolgte die AfD hier eine durch Privatisierung staatlicher Infrastruktur und Zerschlagung gesetzlicher Sicherungssysteme gekennzeichnete Ausrichtung. Ziel dieser Politik ist der Rückzug des Staates auf allen Ebenen. Der Staat soll auf die Bereitstellung kostenloser Infrastruktur für Unternehmen reduziert werden. Verbunden sind diese Vorstellungen eines Minimalstaates mit einer Stärkung der traditionellen Familie, der die Aufgabe der sozialen Sicherung zugeschrieben wird. Bei Krankheit, Alter oder Arbeitslosigkeit soll nicht der Staat, sondern die Familie die Betroffenen versorgen. Auch wenn spätestens nach dem Austritt des AfD-Gründers Bernd Lucke das völkisch-nationalistische Lager, das dem Staat eine wesentlich aktivere Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft zuweist und Privatisierungen ablehnend gegenüber steht, zunehmend an Einfluss gewann, gelang es diesem Lager nicht, sich in Fragen der öffentlichen Daseinsvorsorge und der sozialen Sicherungssysteme programmatisch durchzusetzen.
Trotz des teils vehementen Widerstands des völkisch-nationalistischen Lagers prägten die Marktradikalen mit ihrer Vorstellung eines Minimalstaats in fast allen strittigen Punkten das Grundsatzprogramm. So beklagt die Partei, »der öffentliche Sektor« sei »über sachgerechte Grenzen hinausgewuchert«. Im Weiteren heißt es: »Nur ein schlanker Staat kann (…) ein guter Staat sein.« Damit will die AfD die Aufgaben des Staates »auf die vier klassischen Gebiete: Innere und äußere Sicherheit, Justiz, Auswärtige Beziehungen und Finanzverwaltung« beschränken und die öffentliche Daseinsvorsorge weitestgehend privatisieren. Ihren Privatisierungskurs verbindet die AfD mit einem Abbau der sozialen Sicherungssysteme, beispielhaft dargestellt an der Rentenpolitik: So fordert sie in ihrem Grundsatzprogramm eine Kopplung der Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung, was einer deutlichen Erhöhung des Renteneintrittsalters gleichkommt. Besonders betroffen davon wären prekär Beschäftigte mit geringen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen.
Betrachtet man die Aussagen zahlreicher Spitzenfunktionäre der AfD zur Rentenpolitik, so zeigt sich, dass vielen die im Grundsatzprogramm verankerten Pläne nicht weit genug gehen. Jörg Meuthen fordert einen »Systemwechsel in der Rentenversicherung« und plädiert für ein Ende der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten einer »staatlich erzwungenen privaten Vorsorge«.

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Was Gewerkschaften nun tun müssen
Eine Betrachtung der wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen der AfD zeigt, dass zwar in den vergangenen Jahren diejenigen in der Partei an Einfluss gewannen, die versuchen die soziale und die natio­nale Frage miteinander zu verknüpfen. Den marktradikalen Hardlinern gelang es jedoch, die Oberhand zu behalten. Gemessen an ihrer wirtschaftspolitischen Programmatik ist die AfD noch immer ein neoliberales Elitenprojekt.
Die Ausgrenzung und Abwertung sozial Benachteiligter, bei gleichzeitiger Förderung der Eliten, bleibt einer der Wesenskerne der AfD. Rassistisch-biologistische Vorstellungen und sozialdarwinistischer Wohlstands-Chauvinismus erweisen sich als einigendes Band zwischen den Flügeln der Partei. Teil dieser Politik ist der Abbau der sozialen und politischen Rechte der Arbeitenden. Genau dort gilt es in der gewerkschaftlichen Aufklärung über die AfD anzusetzen. Im Mittelpunkt muss die Auseinandersetzung in den Betrieben stehen, um den Beschäftigten aufzuzeigen, welche Folgen eine Umsetzung der Forderungen der AfD für sie persönlich hätte. Mit ihrem Zugangsrecht in die Betriebe und auf Betriebsversammlungen sind die Gewerkschaften der einzige antifaschistische Akteur, der hierzu in der Lage ist. Dem vielfach tief verankerten Rassismus, der die Hauptantriebsfeder für die Unterstützung der AfD durch ArbeitnehmerInnen darstellt, ist damit jedoch nicht beizukommen. Hier gilt es klar Position zu beziehen. Es muss deutlich werden, dass Ausgrenzung und Diskriminierung in einer gemeinsamen, auf dem Solidarprinzip basierenden Interessenvertretung der Lohnabhängigen keinen Platz haben. Wichtigste Aufgabe der Gewerkschaften sollte es daher sein, die Ausgrenzung von sozial Benachteiligten – von Langzeitarbeitslosen, prekär Beschäftigten oder NiedriglohnbezieherInnen – durch die AfD noch stärker als bisher mit deren Hetze gegen Flüchtlinge und MigrantInnen in Bezug zu setzen. Die Verbindung zwischen beidem muss somit in der gewerkschaftlichen Aufklärung über die AfD eine zentrale Rolle spielen.

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