Antikapitalismus für Deutschland

von Richard Gebhardt


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018

#Richtungsstreit

Die Kapitalismuskritik von rechts erlebt in der Bundesrepublik aktuell eine Renaissance. Lange propagierte die NPD einschlägige Forderungen wie die nach einer »raumorientierten Volkswirtschaft«. Aber gegenwärtig kündigt sich gerade in der »Neuen Rechten«, die maßgeblich auch die Strategie- und Programmdebatte in der »Alternative für Deutschland« (AfD) beeinflusst, ein heftiger Richtungsstreit über zentrale Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik an.

Magazin der rechte rand Ausgabe 171

© Kai Budler

Richtungsstreit
Götz Kubitschek, Mitbegründer des »Instituts für Staatspolitik« (IfS) und leitender Redakteur der vom IfS herausgegebenen Zeitschrift »Sezession«, berichtete in der Februarausgabe (Nr. 82/2018) freimütig »aus dem Nähkästchen«. Nach seiner Auskunft gab es in der Redaktion »heftige interne Debatten« über die Ausrichtung einer solchen Kritik des Kapitalismus. Diese Randnotiz macht deutlich, dass AfD und »Neue Rechte« vor einem entscheidenden Richtungsstreit stehen. Das IfS unterstützt derzeit jenen Flügel in der AfD, der – wie Björn Höcke vom Landesverband Thüringen – unter Parolen wie »Sozial, ohne rot zu werden« für einen deutschen »Sozialpatriotismus« wirbt. Auf der »18. Winterakademie« des IfS, die Ende Januar 2018 unter dem Titel »Wirtschaft. Hegung und Entgrenzung« stattfand, trat auch Andreas Kalbitz, der Vorsitzende der Brandenburger AfD-Fraktion, auf. Seine Überlegungen zum Thema »Die AfD vor der sozialen Frage« bildeten den Schlusspunkt einer Tagung, die sich der »Faszination des Marxschen Denkens« ebenso wie der Geschichte der »Kapitalismuskritik von rechts«, widmete. Auf der neu-rechten Website »sezession.de« klagte Kalbitz über deutsche Zustände, in denen »für immer mehr Rentner Flaschensammeln zu einem unverzichtbaren Zuverdienst wird«, während zugleich »Milliarden für Willkommensfetischismus, Multikultiphantastereien und Gendergeschlechterzirkus« sprudeln würden.

»Soziale Frage«
In der AfD, die in ihrem Grundsatzprogramm im FDP-Jargon »Arbeitsmarkt von unnötiger Bürokratie befreien« fordert, verlaufen zwei sozialpolitische Linien. Das derzeit tonangebende Lager um die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Alice Weidel und den Co-Chef der Partei Jörg Meuthen steht in der Tradition eines ordnungspolitisch orientierten Neoliberalismus oder – präziser gesagt – eines Nationalliberalismus. Eine andere Linie, für die neben Kalbitz vor allem Björn Höcke steht, fordert hingegen eine Antwort auf »die neue deutsche soziale Frage des 21. Jahrhunderts«. Diese »soziale Frage« sei, so führte Höcke auf einer Demonstration der AfD Ende April 2016 in Schweinfurth aus, »die Frage über die Verteilung unseres Volksvermögens nicht von Oben nach Unten, nicht von Jung nach Alt, sondern über die Frage der Verteilung unseres Volksvermögens von innen nach außen«.
Mit dieser Formel hat Höcke, der nach eigenen Angaben sein »geistiges Manna« aus dem IfS bezieht, zentrale Punkte des aktuellen Antikapitalismus von rechts formuliert. Diese reaktionäre Variante der Kapitalismuskritik – die auf eine lange Tradition zurückblicken kann, die bis vor die sogenannte »Konservative Revolution« der 1920er Jahre zurückreicht – verzichtet freilich auf Kernelemente der marxistischen Kritik. Eine Rechte, die sich auf diese historische Linie bezieht, setzt sich nicht nur – wenig überraschend – vom Internationalismus der ArbeiterInnenbewegung ab und ersetzt die Kategorie der Klasse durch das homogen gedachte »Volk«. Verteidigt wird das »Volksvermögen« gegen ein »Außen«, das nicht zuletzt aus den zu Invasoren dämonisierten Flüchtlingen besteht.

Erbe der NPD
Höcke beerbt hier die soziale Demagogie der NPD. Die Partei der »alten« Rechten zog im Jahre 2004 mit Parolen wie »Quittung für Hartz IV« mit 9,2 Prozent der Stimmen in den sächsischen Landtag ein. Sprüche wie »Global dient dem Kapital – Sozial geht nur national« oder »Kapitalismus – Feind der Völker« wurden seinerzeit zu populären Losungen auf rechten Aufmärschen. Die NPD präsentierte sich zudem als »Kümmerer-Partei«, die gerade im Osten der Republik die sozialen Probleme vor Ort beherzt anpackte. In der Parteizeitung »Deutsche Stimme« polemisierte der NPD-Funktionär Jürgen Gansel gegen »das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des großen Geldes«. Dieses sei, so Gansel, »seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos« und habe seinen »politisch-militärischen Standort vor allem an der Ostküste der USA«. An dieses antisemitische und antiamerikanische Ressentiment appellierte auch der kalauernde Agitprop der »Autonomen Nationalisten«, die sich als Avantgarde einer völkischen Revolte gegen den »vaterlandslosen« Finanzkapitalismus inszenierten: »Ob Dortmund, Erfurt oder Buxtehude – der Feind ist und bleibt der Kapitalismus«, lautete eine einschlägige Losung in dieser Szene.

In die Betriebe
»Kapitalismuskritik« war historisch betrachtet nie nur eine Domäne der Linken. Ein solcher Ideenstrang war immer Teil der äußersten Rechten auch in der Bundesrepublik – und ein von Kumpel-Romantik sowie der Huldigung des hart schaffenden Arbeitsmannes grundierter »antikapitalistischer« Tonfall prägt sogar das jüngere nationalistische Liedgut. In dem Lied »Wer trägt die schwarze Fahne dort?«, das von dem Nationalrevolutionär und rechten Renegaten Henning Eichberg geschrieben wurde, heißt eine bezeichnende Strophe: »Wer trägt die schwarze Fahne dort durch das Westfalenland? / Das ist der Kumpel von der Ruhr, der trägt sie in der Hand. / Sie schlossen ihnen die Zechen zu, das war das letzte Mal / Im Jahr sechsundsechzig erhoben sie sich gegen Bonn und das Kapital / Hervor, Leute, hervor, hervor! Die schwarze Fahne empor! / Denn überall wo das Unrecht herrscht, geht die schwarze Fahne empor.« Gegen solches »Unrecht« wollte auch die NPD in Sachsen agitieren und in die Betriebe vordringen. Das von der NPD geprägte »Lausitzer Aktionsbündnis« demonstrierte anlässlich der Schließung der in der sächsischen Oberlausitz beheimateten Textilfirma »Erba Lautex« medienwirksam vor den Werkstoren. Die Firma sollte aufgrund einer EU-Entscheidung Fördergelder zurückzahlen. Als der Fall 2005 im sächsischen Landtag behandelt wurde, waren rund 50 MitarbeiterInnen der Firma nach Dresden gereist. Im Laufe der Debatte konnte sich die NPD mit Teilen der Belegschaft verbünden.

Privileg der Reichen festschreiben
Derzeit ist die NPD in der Defensive. Heute gefällt sich Björn Höcke in der Rolle des deutschen Arbeiterführers. Im Rahmen der von der verschwörungsideologischen Zeitschrift »Compact« in Leipzig organisierten Konferenz »Opposition heißt Widerstand« hielt Höcke Ende November 2017 eine mit Verweisen auf die Kommunisten Wladimir Iljitsch Lenin und Antonio Gramsci gespickte Rede. Die in »Compact« (Nr. 1/2018) veröffentlichte Fassung trägt den griffigen Titel »Widerstand gegen den Raubtierkapitalismus«. Die AfD solle als »Anwalt der Arbeiter und der Armen die Gegenwehr gegen das globale Finanzkapital organisieren«, welches – so Höcke – »die Völker zerstört«.
Das ist nicht ohne Ironie. Denn in ihrem Grundsatzprogramm fordert die AfD eine im Grundgesetz festgeschriebene »verbindliche Steuer- und Abgabenbremse« und will somit das Klassenprivileg der Reichen grundgesetzlich verbriefen lassen. Eine solche Partei aber zur nationalen ArbeiterInnenvertretung transformieren zu wollen, ist selbst für den stets sendungsbewussten Höcke eine ehrgeizige Aufgabe. Die AfD, deren Lager vor allem über gemeinsame Feindbilder verbunden sind, könnte sich in dieser zentralen Frage weiter spalten. Höcke aber wird von den WählerInnenstimmen aus den Reihen der Lohnabhängigen und Arbeitslosen für die AfD beflügelt. Und seine regressive Kapitalismuskritik ist anschlussfähig, denn Höcke liefert keine abstrakten Theorien über den Mehrwert, sondern volkstümliche Feindbilder. Der deutsche Sozialstaat, so lautet seine nationalistische Logik, muss gegen das »Außen« einer industriellen Reservearmee geschützt werden. Der transnationale »Raubtierkapitalismus« wiederum zerstört nach dieser Sicht ebenfalls die heimatliche Scholle – und erhält dafür Unterstützung von der »politischen Klasse«. Höcke benennt ein personalisierbares »Außen«: Geflüchtete, die »Elite« in Berlin und das angelsächsische Großkapital.

Hass auf Liberalismus
Die bis in das 19. Jahrhundert zurückreichende Kapitalismuskritik von rechts wendet sich, wie auch der neu-rechte Autor Benedikt Kaiser in seinem historischen Abriss in der Zeitschrift »Sezession« (Nr. 82/2018) zeigt, schon früh gegen »das Verdampfen alles Ständischen und den Einbruch des ‹englischen›, auf Profit und rasantes Wachstum ausgerichteten Wirtschaftens«. Referenz bleibt der »ehrliche Kaufmann«, der seinen Geschäften im Rahmen eines korporatistisch formierten Systems nachgeht. Insofern ist, wie Kaiser zeigt, die konservative beziehungsweise rechte Traditionslinie von Adolph Wagners »Verein für Socialpolitik« über die »Konservative Revolution« und den Zirkel um die Zeitschrift »Die Tat« bis hin zu den Nationalrevolutionären in der »Neuen Rechten« in einer bestimmten Hinsicht kapitalismuskritisch – nämlich im Sinne einer Abwehr des Liberalismus, an dem – so Arthur Moeller van den Bruck – »die Völker zugrunde« gehen. Dieses Leitmotiv ist nach wie vor aktuell. Zeitgenössische Autoren der »Neuen Rechten«, wie Thor von Waldstein, kultivieren bis heute einen obsessiven Hass gerade auf den gesellschaftspolitischen und ökonomischen Liberalismus. Von Waldstein, der schon in den »Staatsbriefen« (Nr. 5/1998) vieldiskutierte »Thesen zum Kapitalismus« vorlegte, schreibt vorzugsweise gegen die »politische Krankheit des Liberalismus« oder die »Billardkugel-Gesellschaft des Westens«. Von Waldstein, der in seinen Thesen auf die neuen »linken Leute von rechts« hoffte, ist heute ein führender Autor der »Sezession«.

Ablösung von SPD und KPD
Die Beispiele zeigen, dass die vom frühen NSDAP-Funktionär Gregor Strasser beschriebene »antikapitalistische Sehnsucht des deutschen Volkes« immer auch die Sehnsucht von Teilen der deutschen Rechten war. Auch die Kampagne »Werde Betriebsrat. Patrioten schützen Arbeitsplätze« der rechten Initiative »Ein Prozent« erhält ihre Konturen im historischen Kontext. Schon der Kreis um die Zeitschrift »Die Tat« setzte auf die Loslösung der Gewerkschaftsmitglieder von SPD und KPD. Heute soll die korporatistische Ideologie der »gelben Gewerkschaften« fortgeschrieben werden. Linke Kategorien werden umgedeutet: Der zentrale Wert der »Gleichheit« vollzieht sich im rechten Antikapitalismus durch die Eingliederung in die Volksgemeinschaft – also in ein Zwangskollektiv, in dem die Einzelperson aufgeht und als Individuum untergeht.
In den jüngsten Theoriedebatten zeigen sich aber auch Unterschiede zu den Phrasen der NPD. Raunte Jürgen Gansel noch in klassischer Diktion über die Macht der »Ostküste«, zitiert Benedikt Kaiser in der »Sezession« (Nr. 82/2018) zur Kritik der »hitleristisch-völkischen Bewertung des Kapitalismus« sogar das Verdikt des linken Theoretikers Slavoj Žižek über die NS-typische Verschiebung der »Ursachen der kapitalistischen Antagonismen auf einen (pseudo-)konkreten, von außen eindringenden (rassisch) Anderen«. Auch der einstige Kader des »Sozialistischen Deutschen Studentenbundes« Bernd Rabehl, später über Jahre ein gern gesehener Gast der NPD, richtet sich in seiner jüngsten, im Verlag des IfS erschienenen Schrift »Raumrevolution. Das Kapital und die Flüchtlingskrise« gegen die Positionen etwa eines Jürgen Gansel. Mit »nordamerikanische Macht des Finanzkapitals« sei »nicht etwa eine ‹jüdische Plutokratie› oder eine ‹jüdische Weltherrschaft›« gemeint, schreibt Rabehl dort. »Diese Form des Kapitalismus« lasse »sich nicht auf eine Ethnie festschreiben«. Zugleich aber spekuliert Rabehl seitenlang ohne nötige Konkretion und Quelle in verschwörungsideologischer Manier über »westliche Taktiker der Ministerien und Dienste«, deren Ziel die Schwächung Deutschlands sei. Das Buch zeigt, dass Rabehl in seiner Streitschrift auch gegen den »liberalistischen Palaver« letztlich nur alte Feindbilder (USA, Israel, westlicher Liberalismus) bedient – Feindbilder, die der Mitstreiter Rudi Dutschkes schon als radikaler Linker gepflegt hat und nun aus rechter Sicht bedient.

Spaltungspotenzial
Die Haltung zur Kapitalismuskritik ist für die »Neue Rechte« gerade mit Blick auf die AfD künftig zentral. Denn diese Kritik war in ihren Zirkeln in den letzten Jahren nur ein Spartenprogramm. Für die Ökonomie waren die staatsfeindlichen Libertären zuständig, die »Neue Rechte« weidete sich lieber an der kulturpessimistischen Lust am Verfall. Nun trifft der Marktradikalismus auch in der AfD auf einen sozialpolitischen Staatszentrismus. Kubitschek fürchtete deshalb wohl Irritationen in der LeserInnenschaft und fügte, trotz aller Distanz zum libertären Lager, der Februarausgabe seiner Zeitschrift »Sezession« einen Text des »Anarchokapitalisten« Hans-Hermann Hoppe über »Libertäre und Alt-Right« bei. Anything goes! Die inhaltliche Kohärenz der »kapitalismuskritischen« Ausgabe der »Sezession« wirkt arg brüchig. Und der momentane »Pluralismus« in Wirtschaftsfragen wird nicht nur im IfS weiter zu »heftigen internen Debatten« und Abspaltungen führen können. In der AfD hingegen können Höcke und Kalbitz dennoch auf prominente Unterstützung gegen die Wirtschaftsliberalen hoffen. Alexander Gauland, mit Alice Weidel Fraktionsvorsitzender im Bundestag, schrieb schon 2002 in »Anleitung zum Konservativsein« gegen den »extremen Neoliberalismus« an – also gegen jene Ideologie, mit der die AfD auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik bislang identifiziert wird. Die Renaissance des rechten Antikapitalismus ist deshalb nicht nur Ausdruck einer neuen kämpferischen Rechten – sie birgt zugleich erhebliches Spaltungspotenzial.