Festsetzen in der Fläche

von Tilo Giesbers
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019

#Kommunalwahlen

Antifa Magazin der rechte rand
© Mark Mühlhaus / attentzione

Am 26. Mai fanden neben der Wahl des Europaparlaments auch die Wahlen zur Bremer Bürgerschaft und die Wahlen zu nahezu allen Kommunalvertretungen in Bremen, Hamburg, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen statt. Insgesamt wurden rund 129.000 Mandate in rund 12.400 Gremien neu besetzt. Nur einige wenige Vertretungen wurden aufgrund von Gebietsreformen schon vorher besetzt, ein paar Räte von Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz werden wegen Fusionen erst im Herbst gewählt. Ein paar Dutzend Wahlen zu Vertretungen in Gemeindeteilen mussten mangels Bewerber*innen verschoben werden, einige wurden etwas später in Einwohner*innenversammlungen durchgeführt. Und wegen eines Kandidaten der »Alternative für Deutschland« (AfD), der durch ein Strafurteil seine Wählbarkeit verloren hatte, mussten in Sachsen-Anhalt drei Wahlen ebenfalls verschoben werden.

Die Strategie
Auch wenn es – zwar stark dezimiert, aber nach wie vor – auch Kandidat*innen von NPD und anderen alten Bekannten aus der extremen Rechten gab, wurde das Spektrum auch bei diesen Wahlen deutlich von der AfD dominiert. Erhebliche Teile der extrem rechten Wähler*innengemeinschaften, der Parteien »Die Republikaner« oder »Deutschen Sozialen Union« wurden auch personell von den »Alternativen« aufgesaugt. Im Gegensatz etwa zur «Deutschen Volksunion« ist sich die AfD der Rolle der kommunalen Ebene bewusst. In seiner wegen islamfeindlicher Tiraden bekannt gewordenen Rede am 20. Januar 2018 in Eisleben (Sachsen-Anhalt) sprach der thüringische Partei- und Fraktionschef Björn Höcke nicht nur von der AfD als »letzte evolutionäre Chance für unser Vaterland«, sondern meinte auch: »Wir werden die Macht bekommen – und dann werden wir das durchsetzen, dann werden wir das durchsetzen, was notwendig ist, damit wir auch in Zukunft noch unser freies Leben leben können.« Weitgehend unbeachtet, nahm er auch auf die Kommunalwahlen Bezug, als er meinte, »Die AfD ist ja von oben nach unten mit den großen Themen gewachsen, und zwar so schnell und kräftig gewachsen wie keine andere Partei vor ihr seit 1945. Eine unglaubliche, ja als historisch zu bezeichnende Erfolgsgeschichte, auf die wir zurückblicken können als AfD. Und jetzt, liebe Freunde, muss ein gegenläufiges Wachstum erfolgen: von unten nach oben. Jetzt müssen wir die kommunalpolitische Ebene in Angriff nehmen (…) Wir müssen überall dort, wo wir gute Leute haben – und die Betonung liegt auf gute Leute, denn Qualität ist der Quantität vorzuziehen – überall dort müssen wir jetzt rein: in die Landratsämter, in die Kreistage, in die Stadträte, wir müssen Bürgermeister stellen. Das ist jetzt unsere Aufgabe.«

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Regionale Unterschiede
Die letzten Kommunalwahlen in den jetzt betroffenen Ländern fanden vor fünf Jahren in einer Phase statt, in welcher der Parteiaufbau gerade erst begonnen hatte. In Thüringen existierte die AfD bis heute kommunalpolitisch praktisch nicht. Und auch in den anderen ostdeutschen Ländern verfügte sie im Vergleich mit ihren Umfragewerten nur über wenige Mandate. Diesmal trat sie dagegen bei den Wahlen zu mehr als 1.000 Gremien an. Mindestens 7.162 Kandidat*innen sind bekannt – ungefähr so viele wie bei allen Kommunalwahlen der letzten sechs Jahre zusammen. Im Ergebnis konnte die Partei die bundesweite Zahl ihrer Mandate ungefähr verdreifachen. Zu den rund 1.000 aktuellen Sitzen in den übrigen Bundesländern kommen mindestens 3.361 neue hinzu. Die Verteilung ist dabei regional sehr unterschiedlich. Rund 1.670 Kandidierende in Baden-Württemberg kommen auf 275 Mandate, annähernd ebenso viele in Sachsen auf fast 1.100 Sitze. Während die Partei zu mehreren Kreistagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht antrat, holte sie auf dieser Ebene in Ostsachsen bis zu 30 Prozent. Standen AfD-Kandidat*innen in den Städten und Gemeinden im Südwesten auf rund jedem zwanzigsten Stimmzettel, war es in Sachsen jeder zweite. Offenbar hat die Partei die letzten Jahre teilweise nutzen können, um ihre Strukturen in der Fläche auf- und auszubauen. Trotzdem stehen der AfD auch in Gegenden, in denen sie bei der Bundestags- oder der Europawahl stärkste Kraft wurde, nicht flächendeckend Kandidat*innen zur Verfügung. Teilweise mag dies daran liegen, dass es vor Ort Wähler*innengemeinschaften gibt, die dieselbe Politik betreiben. Der Autor Benedikt Kaiser allerdings wertet die AfD-Antritte zu den Kommunalwahlen in der aktuellen Ausgabe der «Sezession« von Götz Kubitschek als »bescheiden«. Die nach der Bundestagswahl mögliche »Kärnerarbeit« habe »dort schlicht nicht statt(gefunden).« Als Grund nennt er ein »Streben in die Landesmetropolen und ‹Hauptparlamente›«. Es finde »keine alternative Nachbarschaftspolitik statt, die freilich die unverzichtbare Grundlage einer jeden basisnahen Bewegung darstellt. Fallen überregional mobilisierfähige Themen weg, kann eine Landtagsfraktion verloren werden, lokale Verankerung hingegen bliebe, versiegten auch die Geldflüsse in der Landeshauptstadt.« Was Kaiser nicht erwähnt, sind die Folgen interner Debatten und Machtkämpfe. In Magdeburg etwa traten vor fünf Jahren neunzig AfD-Leute an. Dieses Mal waren es noch ganze vierzehn, von denen nur drei bereits 2014 kandidierten.

Zusammenspiel der Ebenen
Zurück zu Höcke: Seine Worte in Eisleben müssen als Drohung verstanden werden. Sie zeigen das Selbstbewusstsein einer extremen Rechten, die sich kurz vor der Machtübernahme wähnt. Doch warum ist die kommunale Ebene so wichtig?
Im Wesentlichen geht es um die Verankerung der Partei in der Fläche. Mandate und Fraktionen geben der AfD in den Städten und Gemeinden Gesichter. Sie wird ansprechbar und kann sich als »Kümmerer« gerieren, indem sie – was in Landtagen nicht ginge – kleine, lokale Probleme aufgreift: sei es ein kaputter Gehweg, der desolate Spielplatz um die Ecke oder die fehlende Fußgängerampel an der örtlichen Schule. Fraktionen in größeren Städten oder Kreistagen verfügen auch über Büros und können ganz nebenbei Kameraden mit Jobs versorgen, die sich dann hauptamtlich um die politische Agenda kümmern können. Wie diese Agenda aussieht, konnte in den Landtagen, dem Bundestag und einigen kommunalen Räten schon in den vergangenen Jahren beobachtet werden. Egal, welches Thema vordergründig behandelt wird: Nahezu jede Initiative wird von der AfD dazu genutzt, zumindest implizit gegen Geflüchtete, politische Gegner*innen, sozial Schwache, Nicht-heteronormative Menschen, zivilgesellschaftliche Initiativen, Kulturprojekte, Gewerkschaften, Kirchengemeinden, unabhängige Presse, gegen die freie Gesellschaft insgesamt zu agitieren. Antisemitische Stereotype und NS-Relativierungen fehlen ebenso wenig wie der Ruf nach einem starken, repressiven Staat mit entsprechenden Kompetenzen für Polizei, Geheimdienste und Militär. Dabei ist ein teilweise koordiniertes Vorgehen sichtbar. Kampagnen von Landes- oder Bundespartei werden von Anfragen in Kommunen begleitet. Anträge der Kommunalfraktionen wiederum werden von Anfragen im jeweiligen Landtag flankiert. Und zunehmend finden sich gleichlautende Initiativen in verschiedenen Gremien.
Die zunehmenden Angriffe etwa auf Beratungsstellen oder Jugend- und Kultureinrichtungen, wie sie in den Landtagen zum Standardrepertoire von NPD und AfD gehörten beziehungsweise gehören, machen deutlich, was rechte Mehrheiten in Kommunen für solche Projekte heißen können. Für Kürzungen so genannter »freiwilliger Leistungen«, beispielsweise im Kultur- oder Sozialsektor, braucht es in den Kommunen lediglich einfache Beschlüsse. Geringere oder ganz ausbleibende Zuschüsse für Personal-, Miet- und Sachkosten freier Träger sind für die Betroffenen in vielen Fällen existenziell. Schon Anfang Februar 2019 zeigte sich in Dresden, was dies in Zukunft wohl in vielen Kommunen heißen wird: Ein Bündnis aus CDU, FDP, Bürgerfraktion und AfD lehnte die beantragten Mittel für freie Kulturprojekte weitgehend ab, was für einige von ihnen das Aus bedeutet.
Wichtig ist, dass sich die Betroffenen austauschen und organisieren, um die Angriffe abzuwehren und zurückzudrängen. Hoffnungszeichen sind hier Initiativen wie zum Beispiel »Die Vielen« und »Reclaim Club Culture« im Kulturbereich.

Wackelkandidatin CDU
Derzeit wird mit Blick auf die drei kommenden Landtagswahlen und das zu erwartende starke Abschneiden der AfD intensiv über mögliche Regierungsbeteiligungen spekuliert und diskutiert. Zwei stellvertretende CDU-Fraktionschefs aus Sachsen-Anhalt machten mit einem internen Papier bundesweit bewusst, dass es im Zweifelsfall gar keiner Neuwahlen bedarf, um der AfD an die Macht zu verhelfen. Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer forderten darin, »das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen.« Und sie behaupteten ebenso geschichtsvergessen: »Nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit haben nichts mit nationalsozialistischer, rechtsradikaler oder revanchistischer Politik zu tun.« Auch ein Schuldiger für die aktuelle Lage ist schon gefunden: »Die linksorientierte Medienberichterstattung stärkt die AfD.« Daher sei die CDU »gut beraten, dem linken Mainstream aus gesteuertem Gutmenschentum und Klimaverständnis durch eine deutliche Politik mit klaren Aussagen zu begegnen.« Der Mitteldeutschen Zeitung sagte Thomas, dass seine Partei eine Koalition mit der AfD »jedenfalls nicht ausschließen« solle. Schon in den vergangenen drei Jahren hatten Teile der CDU-Fraktion im Landtag mehrfach mit der AfD gestimmt und damit die »Kenia«-Koalition aus CDU, SPD und Bündnisgrünen ins Wanken gebracht.
Auf kommunaler Ebene gilt die Reaktion von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak – »Die CDU lehnt jede Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD strikt ab!« – offenbar nicht. In der Stadtvertretung von Penzlin (Mecklenburg-Vorpommern) bildeten die drei CDU-Mandatsträger bei der Konstituierung des neuen Rates eine Zählgemeinschaft mit dem örtlichen AfD-Vertreter. Sie sicherten damit nicht nur sich selbst mehr Ausschusssitze, sondern der AfD überhaupt erst einen Zugriff auf solche. Der Landesgeschäftsführer der CDU, Wolfgang Waldmüller, beeilte sich zu betonen, dass es sich nicht um eine Zusammenarbeit handele, da es ja keine gemeinsame Fraktion wäre.

Eine detaillierte Auswertung der Kommunalwahlen findet sich auf ­https://www.rechtesland.de