Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus

von Carsten Neumann
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019 online only

#Adorno

Theodor W. Adornos Rede „Aspekte des Rechtsradikalismus“ erscheint 50 Jahre nach seinem Tod in einem magischen Moment – kurz vor Wahlen in den beiden Bundesländern, in denen die AfD ihre momentan größten Erfolge feiert. Das ist vor allem Sachsen, wo eine sehr konservative CDU mit ihrem Kampf gegen den Extremismus, der sich nur gegen die Linken im Land richtete, dem faschistischen „Flügel“ der AfD den Weg zur Macht ebnet. Jetzt erscheint – neu entdeckt und mit einem Nachwort von Volker Weiß – diese Rede Adornos von 1967 an der Wiener Universität.

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Mural of Theodor Adorno by Justus Becker and Oguz Sen. Senckenberganlage, Frankfurt
© Vysotsky (Wikimedia)

Wer Adorno und seine Kollegen der „Frankfurter Schule“ bisher als Theoretiker ohne ausreichenden Gehalt für die Praxis abgetan hat, wird mit diesem Text überrascht werden. Der Autor beschreibt treffsicher den Zustand der westlichen Demokratien und ihre Probleme – den Zustand der damaligen BRD mit der gerade aufstrebenden NPD, kurz vor dem Aufstieg dieser Partei in den Bundestag, die bereits in vier Landtage eingezogen war. Wenige Wochen nachdem Adorno seine Rede in Österreich gehalten hat, zog die NPD in Baden-Württemberg mit fast zehn Prozent der Stimmen in den Landtag ein.

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Und Adorno ordnet sehr deutlich die damalige Situation in seine bisherigen Analysen und den größeren historischen Zusammenhang ein. Und er stimmt nicht in einfaches und sich immer wiederholendes geistloses Mantra über die Ewiggestrigen ein. Selbst bei seiner Analyse des Antisemitismus der erstarkenden Faschist*innen, die sich schon wieder um die Macht in den Parlamenten bemühen, sieht er die Zäsur, die durch die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden entstanden ist: „so lange man nicht offen antisemitisch sein kann und solange man ja auch nicht die Juden umbringen kann, weil das ja bereits geschehen ist, sind besonders verhaßt die Intellektuellen.“ Und dies unterscheidet die Wiedergänger von ihren Ahnen – das ist die Situation, in der sich die heutige AfD befindet. Ihr Hass auf Linke, auf Menschen, die sich einen Rest der Freiheit im Geiste bewahrt haben – auf Menschen, die ihr Denken und Sprechen nicht an ihren Beruf oder ihren gesellschaftlichen Stand angepasst haben. Jene Menschen, die erkannt haben, dass es sinnlos ist mit Faschist*innen zu diskutieren, da darin kein Erkenntnisgewinn liegt. Die, die wissen, dass die Anhänger*innen von AfD und NPD, „diese authoritätsgebundenen Charaktere unansprechbar sind“. Die, die sich also gegen diese vereinfachte Form der Aufklärung stellen, den Faschist*innen gleichberechtigt mit aufs Podium, ins Parlament zu nehmen oder so zu tun, als könne man mit dem, der nur Propaganda macht, einen Diskurs führen bzw. ihn gar erfolgreich zu belehren, was bisher keinen Sozialarbeiter*innen, Journalist*innen oder Politiker*innen je gelang. Oder, um es mit dem guten Freund Adornos, dessen Werke er post mortem bei Suhrkamp veröffentlichte, Walter Benjamin, zu sagen: „An die Männer: überzeugen ist unfruchtbar.“

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An die Menschen, die der Aufklärung verpflichtet sind, richtet sich der Redner und fordert sie auf, mit der Kraft der Vernunft und der Wahrheit der Propaganda dem Faschismus feindlich gegenüber zu treten und ihm nicht Platz zu geben. Er analysiert die Lügen und Methoden, die Abwehrhandlungen gegenüber Kritik, das Hantieren mit angeblichen Fakten, das Anhäufen von willkürlich ausgewählten Daten und Nachrichten als Argumenten – alles Praktiken, die auch jetzt von Vertreter*innen der AfD wieder genutzt werden. Adorno setzt auch die wirtschaftliche Krise des Jahres 1966, das Ende des Wirtschaftswunders, in den Zusammenhang der gesellschaftlichen Radikalisierung, die sich beschleunigte durch Rationalisierung und technischen Fortschritt, die gerade jene Menschen existentiell ängstigen, die ihre Identität auf ihrem Arbeitsplatz gründen, die Angst davor, morgen überflüssig zu sein und kein Recht mehr zu haben, weiter zu existieren. Heute spielen sich diese Prozesse vor dem Hintergrund der transnationalen Migration und der fortgeschrittenen Dekolonialisierung verschärft ab. Beschrieben wird also nicht ein Eindringen des Faschismus vom Rand in die Mitte, sondern seine Entstehung in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft.

Eine seiner wichtigsten Thesen ist jedoch, dass Adorno dem modernisierten Faschismus abspricht, über eine eigene Theorie zu verfügen: „Weil diese Bewegungen, die ja, wie ich sagte, prinzipiell überhaupt nur Machttechniken sind und keineswegs von einer durchgebildeten Theorie ausgehen, weil die ohnmächtig sind gegen den Geist, wenden sie sich gegen den Träger des Geistes. Wie Valery, der ja nicht gerade linksverdächtig ist, sehr schön formuliert hat: ‚Wenn einer gescheiter ist als man selbst, so ist er Sophist.‘ Es wird dabei also die Trennung von sogenanntem Verstand und sogenanntem Gefühl verdinglicht.“

Die zeitgemäßen Wortschöpfungen sind der „Protestwähler“, der „besorgte Bürger“ und der „Wutbürger“. Schon in solchen Begriffen spiegelt sich der Mangel an Analyse und die daraus resultierende Unfähigkeit, zielgenau Widerstand zu leisten. Sie, die Mitte, der Bürger, der Wähler sind es, aus dem der neue Faschismus erwächst – weswegen die staatlichen Institutionen, allen voran der Verfassungsschutz, eben nicht zum Schutz der Demokratie, sondern zum Erstarken des Faschismus beitragen, indem sie jeglichen Antifaschismus permanent mit dem Faschismus gleichsetzen, um ihn dann nicht nur öffentlich zu bekämpfen.

Besonderer Dank gebührt neben dem Verlag Suhrkamp – nachdem dieser in der Debatte um Uwe Tellkamp leider zu zögerlich reagierte – Volker Weiß. Er ordnet in seinem Nachwort Adornos Rede kenntnisreich in dessen Werk und die Forschungen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung ein. Ein fundierter Text, der auch Leser*innen zur Seite steht, die die wichtigsten Werke Adornos noch nicht gelesen haben. Er zieht Parallelen auch zur heutigen „Neuen Rechten“ und dem Umgang mit ihr in der Gesellschaft, zwischen dem Fordismus mit seinen Rationalisierungen und technischem Fortschritt und der jetzigen Digitalisierung. Doch Weiß setzt nicht einfach gleich, sondern vergleicht gekonnt. Was bei seiner Beschreibung der machtlosen heutigen Linken im Vergleich zur damaligen ´68er Bewegung auffällt, sind die damals auch im Westen der Bundesrepublik noch existenten Sozialist*innen und Kommunist*innen, die heute in der Debatte nur noch als Popanz und als Beschwörung existieren. Mit ein Grund, der den Erfolg des Autors Didier Eribon mit seiner proletarischen Familiengeschichte aus Frankreich in Deutschland erklärt. Diese Leerstelle, die das Verschwinden der Arbeiter*innenbewegungen hinterließ. Vielleicht brauchen wir deswegen die Schriften und Reden, die schon vor einem halben Jahrhundert erschienen und gehalten wurden, umso mehr. Diese Positionen, die Adorno in der gesellschaftlichen Analyse und Auseinandersetzung einnimmt, haben bisher nur Platz zwischen Buchdeckeln. Sie sollten dringend mehr gelesen und auch in die öffentliche Debatte gebracht werden, damit es aufhört, dass „der kulturindustrielle Rahmen von Kitsch und Spektakel dominiert“ wird und wir dem Faschismus nicht mehr nur als einer historischen Norm begegnen. Um diesen Schritt zu vollziehen, sind die Rede Adornos und seine Einordnung durch Weiß besser geeignet als viele von Adornos wissenschaftlichen Texte, da sie sehr verständlich formuliert sind, ohne an Genauigkeit zu verlieren. Ein Meisterstück, veröffentlicht zum richtigen Zeitpunkt.

Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Berlin 2019, Suhrkamp, 86 Seiten, 10 Euro.