»Wir sind keine Nazis«

Andreas Speit
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018

#Gesellschaft

Verbittert und wütend oder hasserfüllt und gewaltbereit. In Chemnitz und Köthen mobilisieren die tragischen Tode von zwei Menschen seit Wochen eine breite Mischszene. Über tausend vermeintlich Trauernde und angeblich Besorgte stehen mit gewaltbereiten Neonazis und militanten Hooligans auf der Straße. Die einen brüllen, die anderen schweigen. Eines erklären sie immer wieder »Wir sind keine Nazis«, selbst wenn neben ihnen wer steht auf dessen T-Shirt »N.A.Z.I« prangt.

Magazin der rechte rand

#Chemnitz
© Mark Mühlhaus / attenzione

In Chemnitz erklärte der Vorsitzende von »Pro Chemnitz« Martin Kohlmann am Karl-Marx-Denkmal würden nur einfache Leute aus der Region stehen, während rechte Hooligans den Aufmarsch koordinierten. In Köthen versicherte der Chef von »Zukunft Heimat« Hans-Christoph Berndt von der Bühne aus, dass sie sich von gewalttätigen ExtremistInnen fernhalten würden. Derweil stellt die militante Regionalszene die OrdnerInnen. Dass beide Strukturen mit dem extrem-rechten Milieu verwoben sind, stört hier wie dort die anwesenden Landtagsabgeordneten der »Alternative für Deutschland« (AfD) und die erschienenen »Wutbürger« nicht. Mit der Hinwendung und Ausblendung scheint etwas tieferes aufzubrechen und sich zu kanalisieren, und die Trauermärsche sind der Katalysator.

Vor drei Jahren sprach der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck in Bezug auf den Rassismus von »Dunkeldeutschland«. Ein Begriff der schon 1994 als das Unwort des Jahres verhandelt wurde, da er eine sprachliche Demütigung der Menschen in der ehemaligen DDR ausdrücke. Eine Bezeichnung, die aber auch die gesellschaftliche Diversität ausblendet. Längst hat »Compact – Magazin für Souveränität« von Jürgen Elsässer das Bild umgedreht. »Der Osten leuchtet. Was der Westen lernen kann« titelte das Magazin im Mai 2017 und verklärte die massive Gewalt gegen Geflüchtete und den Protest gegen Unterkünfte als »letzte Verteidigungslinie«. Es gilt für sie, was Martin Müller-Mertens damals schrieb: »Während der Westen im Zuge der Asylinvasion förmlich überrannt wurde, ist zwischen Elbe und Oder eine widerständige Volksbewegung entstanden«.

Ost und West? Die eine Region dunkel, die andere Region hell? Nein, so einfach ist die Wirklichkeit nicht. Rechte Ressentiments und weit rechts stehende Strukturen sind nicht erst mit der AfD bundesweit auf den Straßen zu hören und in den Parlamenten zu sehen. Zu schnell wird in den Osten geschaut und der Westen übersehen. Nur ein Beispiel: bei den Landtagswahlen 2016 erreichte die AfD in Sachsen-Anhalt 24,3 Prozent und in Baden-Württemberg 15,1 Prozent. Das Ost-ergebnis wurde zum Titelthema. Die Realzahlen hätten aber zu einen andere Thematisierung führen können. Denn in Baden-Württemberg erreichte die AfD 809.564 Stimmen, in Sachsen-Anhalt 257.208.

»Die Ostler« scheinen nicht im Westen angekommen zu sein und/oder »die Westler« haben den Osten einfach überrollt. Bis heute haben Medien, Politik und West-Gesellschaft die Tiefe der persönlichen Zerrüttung und Verunsicherung der Ost-Gesellschaft nicht wirklich wahrgenommen. Nichts galt mehr, alles war entwertet. »Integriert doch erst mal uns!« ist vermutlich eine treffende Beschreibung der Gemüts- und Gefühlslage von Petra Köpping, SPD-Politikerin, in ihrem Buch mit dem gleichnamigen Titel. Die Staatsministerin für Gleichstellung und Integration in Sachsen suchte das Gespräch »mit den Bürgern«. In allen Fällen war schnell nicht mehr die ‹Flüchtlingsproblematik› das entscheidende Thema. Fast alle Gespräche hätten mit den persönlichen Erlebnissen während der Nachwendezeit geendet. »Obwohl seitdem fast 30 Jahre vergangen sind, offenbarten sich unbewältigte Demütigungen und Ungerechtigkeiten, die die Menschen bis heute noch bewegen, unabhängig davon, ob sie sich nach 1990 erfolgreich durchgekämpft haben oder nicht« führt Köpping aus. Dieses Nicht-gehört-werden und die Entwertung des eigenen Lebens, das macht Köpping auch überdeutlich, »entschuldigt keine faschistischen Positionen«.

Die Menschen der mittleren und älteren Generation im Osten, betont auch David Begrich vom »Miteinander e. V.« in Magdeburg, sehen sich »einer Art kulturellen Fremdherrschaft unterworfen, in der sie mit ihrem Erfahrungen nicht vorkommen«. Doch er hebt noch etwas anders hervor: »Wer sich verwundert die Augen reibt, wer und was in Chemnitz von rechtsaußen zusammenfindet, hat die 1990er Jahre und die Konstitution der ‹Generation Hoyerswerda› im Osten vergessen« Vielen im Westen sei nicht klar, dass in Ostdeutschland zwei Generationen existieren würden, »deren kollektive politische Erfahrung sich daraus speist, ein politisches System gestürzt und anschließend den neuen Staat in Hoyerswerda und Rostock gezwungen zu haben vor ihrem rassistisch motivierten Willen zurückzuweichen«. Und weiter, es gebe »im Osten eine regressiv-autoritäre gesellschaftliche Unterströmung«, die größer sei als die AfD-Erfolge und Umfragewerte. »Aus einem vielschichtigen Ressentimentmix hat sich eine grundsätzliche Ablehnung westlicher/westdeutscher sozialer Praxen und Kulturen entwickelt«, so Begrich. Da stört man sich so auch weniger an den T-Shirtaufdruck »N.A.Z.I«.