Rezensionen Ausgabe 173

von Fabian Kunow, Ernst Kovahl, Paul Wellsow, Sascha Schmidt, Margarete Schlüter, Kai Budler



Magazin "der rechte rand" Ausgabe 173 - Juli / August 2018

Jahrbuch rechte Gewalt 2018
von Fabian Kunow

Gäbe es eine Bundesliga der FachjournalistInnen zur extremen Rechten, Andrea Röpke würde in der Ersten Liga spielen. Nun ist von ihr der zweite Jahrgang des »Jahrbuchs rechte Gewalt« erschienen. Der Titel trügt aber ein wenig. Vermutlich ist dieser dem herausgebenden »Knaur Verlag« geschuldet. Wer kauft schon in der Bahnhofsbuchhandlung mitten im Jahr 2018 ein Buch, auf dessen Cover groß 2017 draufsteht. Das vorliegende »2018 Jahrbuch rechte Gewalt – Hintergründe, Analyse und die Ereignisse 2017« umfasst die Monate Oktober 2016 bis Ende September 2017. Es enthält abwechselnd immer eine Monat-Chronologie rechter und rassistischer Übergriffe und ein reportagenartiges Kapitel zu einem Phänomen der extremen Rechten. Alle dieser ausformulierten Beiträge haben ein/e Co-AutorIn, die in der Regel im Magazin »der rechte rand« (drr) schreiben. So dürften drr-Lesenden sehr viele der verarbeiteten Informationen bekannt sein. Am auffälligsten ist dies im ersten Reportagenkapitel zum Verhältnis der »Neuen Rechten« und der »Identitären Bewegung«. Die Herausgeberin und die AutorInnen werden so der ChronistInnenpflicht gerecht. Auf den ersten Blick wirkt das zweite Reportagenkapitel in einem Jahrbuch zu »Ereignissen 2017« wenig schlüssig. Es geht um den Bombenanschlag in Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000. Aufhänger ist der zur Zeit immer noch laufende Prozess gegen Ralf S. Es entsteht daher der Eindruck, alle Infos, die es über die Düsseldorfer Neonazi-Szene gibt, würden quasi recycelt.
Freilich werden die anderen Kapitel dem Anspruch eines Jahrbuches mehr als gerecht. Es werden abgeschlossene Großverfahren gegen Neonazis in Erinnerung gerufen und hinsichtlich der Motive und der Biografien der Täter miteinander verglichen. Des Weiteren wird die Reichsbürgerbewegung analysiert. Auch der RechtsRockbereich mit dem neonazistischen »Mega-Konzert« in Themar wird dargestellt. Hier findet sich auch das eine oder andere spannende Detail, das in der allgemeinen Presseberichterstattung nicht zu finden war.

Magazin der rechte rand

Jahrbuch rechte Gewalt 2018

Andrea Röpke: 2018 Jahrbuch rechte Gewalt. Hintergründe, Analysen und die Ereignisse 2017. Chronik des Hasses. München 2018, Knaur Verlag, 384 Seiten, 12,99 Euro.

Kein Schlusswort
von Ernst Kovahl

Der Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder und UnterstützerInnen der Neonazi-Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) geht seinem Ende entgegen. 2011 war aufgeflogen, dass in den Jahren zuvor eine Gruppe Neonazis eine rassistische Mord- und Anschlagserie sowie Überfälle begangen hatte. Die ErmittlerInnen schlossen bis dahin ein rechtes Motiv der Taten aus und ermittelten – zu Unrecht – vor allem im Umfeld der Opfer. Die deutschen Geheimdienste hatten die Neonazigruppe mit Spitzeln umstellt und behaupten dennoch, von nichts gewusst zu haben. Einzig Opfer-Angehörige gingen davon aus, dass die TäterInnen in der Neonazi-Szene zu suchen seien. In einem Mammut-Prozess vor dem Oberlandesgericht München wurden die Taten verhandelt. Doch umfassende Aufklärung wurde durch das Gericht nicht geleistet. Es waren vor allem NebenklägerInnen und ihre AnwältInnen, die sich bemühten, die rassistischen und rechten Tatmotive und das Handeln staatlicher Stellen zu durchleuchten.
Der Titel des Buches »Kein Schlusswort« verweist auf das uneingelöste Versprechen umfassender Aufklärung. Im Vorwort kritisiert Anwalt Wolfgang Kaleck mangelnden Aufklärungswillen des Gerichts, die lange Verfahrensdauer und einen zu kleinen Kreis an Angeklagten. Er kritisiert auch die intransparenten und unkontrollierten Geheimdienste, ihr Agieren sei »fatal«. Er wirft dem Staat vor, Aufklärung über die Hintergründe der Taten, die erfolglosen und falschen Ermittlungen und das Agieren der Dienste verweigert zu haben. Im Mittelpunkt des Buches stehen die Plädoyers, Einschätzungen und Eindrücke des Prozesses von acht VertreterInnen der NSU-Nebenklage und von vier vom NSU-Terror Betroffenen. Die Beiträge durchziehen der kritische Blick auf Rassismus als Triebkraft rechten Terrors und der kritische Blick auf den Staat. Eine Bilderserie von Mark Mühlhaus zeigt zwölf Tatorte des NSU.
Das Buch versteht sich als »Gegenerzählung« zur Prozessführung von Bundesanwaltschaft und Gericht. In die veröffentlichten Plädoyers flossen auch eigene Recherchen der NebenklägerInnen, kritischer JournalistInnen, der Untersuchungsausschüsse sowie antirassistischer und antifaschistischer Initiativen und Medien ein. Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex und zeigt: Es gibt unzählige offene Fragen.

Magazin der rechte rand

Kein Schlusswort

Antonia von der Behrens (Hg.): Kein Schlusswort. Nazi-Terror, Sicherheitsbehörden, Unterstützernetzwerk. Plädoyers im NSU-Prozess.Hamburg 2018, VSA Verlag, 328 Seiten, 19,80 Euro.

Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz
von Paul Wellsow

Seit sieben Jahren wissen wir um die Morde und Anschläge der Neonazi-Terrorgruppe NSU. Vor etwa 25 Jahren begann deren Geschichte in Thüringen. Die mutmaßlichen, späteren, rassistischen Mörder terrorisierten Menschen, verübten erste Anschläge – und wurden Teil der organisierten Neonazi-Szene rund um den »Thüringer Heimatschutz«. Eine Szene, die von Geheimdienst-Spitzeln durchsetzt war. Auch der NSU war, das ist heute klar, von V-Leuten umstellt. Doch gewusst haben die Dienste angeblich nichts, das behaupten ihre VertreterInnen bis heute in Untersuchungsausschüssen.
Der emeritierte Berliner Professor für Politikwissenschaften und Experte für Neonazismus und die extreme Rechte, Hajo Funke, zieht Bilanz. In seinem Buch »Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz« stellt er den Behörden ein vernichtendes Urteil aus. Den Fall des NSU wertet er als »Staatsaffäre«. Ein wichtiger Baustein des Versagens der Geheimdienste sei das Führen von bezahlten Spitzeln, meint Funke. Er erläutert das ausführlich an verschiedenen Beispielen aus dem Neonazismus und beleuchtet auch das Wirken von Spitzeln in der radikalen Linken und dem Islamismus.
In fünf Kapiteln und auf 240 Seiten beleuchtet Funke das Thema – kenntnisreich, zugespitzt und gut zu lesen. Am Anfang steht eine ausführliche Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse in Sachen NSU aus Berichten der Untersuchungsausschüsse, eigenen Nachforschungen, Antifa-Recherchen und Akten der Behörden. Er zeigt, was die Ämter u?ber die abgetauchten Täter, ihre Taten und ihre HelferInnen wussten – auch wenn sie sich gerne hinter Nichtwissen verschanzten. Funke zeigt nicht nur die Entstehung der Szene und das Handeln der Behörden auf, sondern nennt ungeklärte Fragen und – das ist wichtig! – geht ausdrücklich ein auf das Leid der Opferfamilien und den Rassismus als Antrieb der rechten Täter. Funkes Kritik bleibt nicht im Detail, sie ist grundsätzlich – und sie beleuchtet Kontinuität staatlichen Handelns über Jahrzehnte. Er attestiert den Verfassungsschutzbehörden der Bundesrepublik eine »Unkontrollierbarkeit«, die »unserem Verfassungsverständnis zuwiderläuft«. Seine Forderung ist ganz klar: »Ziel müsste meines Erachtens die Auflösung des Inlandsgeheimdienstes in der bisherigen Form sein.«

Magazin der rechte rand

Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz

Hajo Funke: Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz. Staatsaffäre NSU: Das V-Mann-Desaster und was daraus gelernt werden muss. Hamburg 2017, VSA Verlag, 240 Seiten, 16,80 Euro.

Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland
von Sascha Schmidt

Der wissenschaftliche Sammelband »Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland« analysiert unterschiedliche Formen von Rassismus, Antisemitismus sowie der extremen Rechten und setzt sich mit bildungspolitischen Ansätzen zum Umgang damit auseinander.
Gegliedert ist das Buch in zwei thematische Abschnitte. Der – zwei Drittel des Buches umfassende – erste Abschnitt beschäftigt sich mit historischen und aktuellen Entwicklungen der genannten Phänomene in Deutschland. Fabian Virchow und Wolfgang Gessenharter setzen sich zunächst mit theoretischen Begriffen, Strategien und Einflusssphären der extremen beziehungsweise »Neuen Rechten« auseinander. Es folgen Beiträge zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen im Kontext von Antisemitismus (von Micha Brumlik), Alltagsrassismus und Rechtspopulismus (von Astrid Messerschmidt), antimuslimischem Rassismus (von Iman Attia) sowie dem völkischen Rassismus innerhalb der »Deutschen Burschenschaft« (von Alexandra Kurth).
Daran anschließend beschreiben Eva Groß und Andreas Hövermann kollektive Abwertungen, Ausgrenzungen und Rassismus sowie deren Verankerung in der ‹Mitte der Gesellschaft› vor dem Hintergrund der Ökonomisierung der Gesellschaft als »marktförmigen Extremismus«. Schließlich beleuchten Rania Bednaschewsky und Lina Supik die behördliche, statistische Erfassung von »Personen mit Migrationshintergrund« und die daraus hervorgehenden rassifizierenden Stigmatisierungen und gesellschaftlichen Ausschlüsse.
Der Schwerpunkt des zweiten Abschnitts liegt auf pädagogischen Handlungsfeldern.
Darin zeigen Katharina Höfel und Jens Schmidt Möglichkeiten zur Prävention und Intervention gegen rechte Orientierungen im Kontext Bildung und Erziehung auf; Heike Radvan fordert eine geschlechterreflektierende Haltung in der pädagogischen Praxis im Rahmen der Auseinandersetzung mit »Rechtsextremismus«; zudem zeigt Mechthild Gomolla die Notwendigkeit sowie Perspektiven für eine diskriminierungskritische Erziehung in der Institution Schule auf.
Ergänzt werden die durchweg erkenntnisreichen Texte durch Interviews mit Seda Basay-Yildiz und Carsten Ilius über ihre Rolle als NebenklagevertreterInnen im NSU-Prozess sowie mit Esther Bejarano und Kutlu Yurtseven über ihr Engagement gegen Rassismus.

Magazin der rechte rand

Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland

Gomolla, Mechthild / Kollender, Ellen / Menk, Marlene (Hg.): Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland – Figurationen und Interventionen in Gesellschaft und staatlichen Institutionen. Weinheim – Basel 2018, Beltz-Juventa, 292 Seiten, 29,95 Euro.

»Weltbürgertum statt Vaterland«
von Margarete Schlüter

Die diesjährige Verleihung des Musikpreises »Echo« an die Rapper Kollegah und Farid Bang in den Kategorien »Album des Jahres« und »Hip-Hop/Urban National« wurde begleitet von einer Debatte um Antisemitismus. Es ist die Popularität der beiden Künstler, die viele hellhörig werden ließ. Vor allem im RechtsRock ist Antisemitismus seit Jahrzehnten elementarer Bestandteil, wie Timo Büchner in seiner Publikation »Weltbürgertum statt Vaterland« herausgearbeitet hat. RechtsRock bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf das Genre des Rock. Er kommt zum Tragen, wenn eine »politisch extrem rechte Botschaft« vermittelt wird. Und diese findet sich im Rock, im Hardcore, in Balladen, in Black Metal und im HipHop/Rap wieder. Mit diesen unterschiedlichen Musikstilen können mehr Jugendliche, vor allem unpolitische, angesprochen werden. RechtsRock ist nicht zuletzt aufgrund seiner weiten Verbreitung durch das Internet als einer der »erfolgreichsten Multiplikatoren rechter Ideologie« zu betrachten.
Bis in die 1990er Jahre wurde mit RechtsRock die eigene menschenverachtende Ideologie unumwunden transportiert. Die in diesem Zeitraum einsetzende staatliche Repression veranlasste viele rechte Bands dazu, ihre Inhalte mittels Codes zu verschlüsseln. Büchner führt in diesem Zusammenhang den Begriff des »sprachlichen Untergrunds« an. Ihm zufolge werde mit dieser Strategie zum einen versucht, eine Indizierung zu umgehen, zum anderen werde mit der Dekodierung durch die Fans Zusammenhalt hergestellt. Für die Codierung des Antisemitismus wird auf Stereotype und Metaphern zurückgegriffen, die seit vielen Jahrhunderten verwendet werden. Deshalb differenziert der Autor in der Analyse der RechtsRock-Songtexte und Albumcover/-titel zwischen »christlichem Antijudaismus«, »Rassenantisemitismus«, »sekundärem Antisemitismus« und »israelbezogenem Antisemitismus«. Es sind unter anderem Codes wie »Amalek«, »Blutsauger«, »Hakennase«, »Schuldkult«, »Besatzungsmacht«, »Protokolle« und »USrael«, die untersucht werden. Deutlich wird, dass Antisemitismus der Feindbildkonstruk­tion dient, um »(k)omplexe und schwer erklärbare Prozesse, die sich in Politik, Wirtschaft und Medien abspielen, auf simple Weise zu erklären«. Das Buch klärt leicht verständlich über antisemitische Codes im RechtsRock auf. Diese Sensibilisierung ist Voraussetzung, um eine kritische Auseinandersetzung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu forcieren – ob in der Schule, im Jugendzentrum oder Sportverein.

Magazin der rechte rand

Weltbürgertum statt Vaterland

Timo Büchner: »Weltbürgertum statt Vaterland«. Antisemitismus im RechtsRock, Münster 2018, edition assemblage, 112 Seiten, 12,80 Euro.