Die extreme Rechte gegen die PiS

von Jos Stübner
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 173 - Juli / August 2018

#Polen

Trotz nationalistisch-autoritären Kurses und der Demontage des liberalen Rechtsstaats durch die regierende national-katholische »Prawo i Sprawiedliwosc« (PiS) ist das Verhältnis der extremen Rechten zur Regierung ambivalent. Die Attacken von rechts auf die Partei nehmen zu.

Magazin der rechte rand

© Mariochom / Wikimedia

Die extreme Rechte in Polen ist seit 1989 vor allem von Organisa­tionen geprägt, die sich ideologisch und in ihrer Symbolik an nationalistischen Bewegungen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg orientieren. Die beiden größten und medial sichtbarsten Organisationen, das »Obóz Narodowo-Radykalny« (»National-radikales Lager«, ONR) und die »Modzie Wszechpolska« (»Allpolnische Jugend«, MW), sehen sich in direkter Tradition gleichnamiger faschistischer und antisemitischer Gruppen der Zwischenkriegszeit. Anstelle des als »demo-liberal« bezeichneten Systems streben sie ein hierarchisch organisiertes, katholisches und ethnisch homogenes Polen an.

Die Mitgliederzahl von ONR und MW wird auf wenige Tausend geschätzt. Seit etwa 2010 lässt sich allerdings die Formierung einer breiteren, vor allem bei jungen Männern populären nationalistischen Bewegung beobachten. Kristallisationspunkt ist der jährliche Unabhängigkeitsmarsch am 11. November, dem Jahrestag der Staatsgründung 1918, der von ONR, MW sowie der Dachorganisation »Ruch Narodowy« (»Nationale Bewegung«, RN) ausgerichtet wird. Die Kader bilden zusammen mit großen Hooligangruppen aus dem ganzen Land den Kern des Aufmarschs. Von anfänglich ein paar Tausend stieg die TeilnehmerInnenzahl auf mittlerweile über 50.000, was zugleich auch die Zusammensetzung der Veranstaltung veränderte, denn es sammeln sich nun auch vermehrt nicht politisch organisierte Menschen unterschiedlichen Alters hinter den Bannern der FaschistInnen, vielfach auch Familien mit Kindern.

Trotz dieser Popularisierung gelang es der extremen Rechten jedoch nicht, sich als politische Kraft zu etablieren. Die Ergebnisse bei Wahlen sind mager. 2014 erreichte der RN bei den Europawahlen kaum mehr als ein Prozent. Über die Liste des populistischen Rockstars Pawel Kukiz gelangten 2015 zwar mehrere RN-VertreterInnen in den Sejm (Parlament); die Parlamentsgruppe ist aber von Grabenkämpfen und immer neuen Abspaltungen gezeichnet.

Erweiterte Spielräume
Auch die Alleinregierung der »Prawo i Sprawiedliwosc« (»Recht und Gerechtigkeit«, PiS) seit 2015 hat sich bislang als zweischneidig erwiesen. Auf den ersten Blick scheint die extreme Rechte zu profitieren, denn mit ihrer fortwährenden flüchtlings- und muslimfeindlichen Rhetorik fördert die PiS-Regierung ein rassistisches und nationalistisches Klima. Die Ablehnung eines liberalen, säkularen Europas und eine aggressive, verabsolutierende Feindbild-Sprache unterscheiden sich oft kaum von den Parolen der FaschistInnen.
Von großer Bedeutung ist die affirmativ patriotische Geschichtspolitik. Bereits die Vorgängerregierung machte eindeutig extrem rechte historische Referenzen hoffähig. Unter der PiS sind diese nun prominent in den nationalen Gedenkkanon integriert. Antisemitische und antikommunistische »Helden« aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsjahre, die zum Teil auch mit den Nazis kollaborierten und seit Jahren zum zentralen Symbolrepertoire auf extrem rechten Aufmärschen gehören, erfahren inzwischen höchste staatliche Würdigung.
Die extrem rechten Gruppen und Akteure selbst werden als akzeptierter Teil der politischen Öffentlichkeit behandelt. Anstatt wie sein Vorgänger am 11. November einen eigenen patriotischen Umzug in Warschau zu organisieren, überlässt Präsident Andrzej Duda den FaschistInnen die Hauptstadt und sendet Grußnoten. RegierungsvertreterInnen nehmen den Aufzug von ONR und MW vor Kritik in Schutz und preisen ihn als patriotisches Ereignis.
Während der 11. November unter der Regierung der liberal-konservativen »Platforma Obywatelska« (»Bürgerplattform«, PO) von Aus­einandersetzungen mit Tränengas- und Wasserwerfereinsatz geprägt war, ist die Polizei unter der PiS im Umfeld des Marschs kaum noch präsent. Als der Vorsitzende der RN, Robert Winnicki, im vergangenen Jahr im Sejm der Regierung dafür dankte, dass die Polizei nicht mehr gegen PatriotInnen eingesetzt werde, nickte der damalige Innenminister Mariusz Blaszczak wohlwollend.

Gravierend ist auch die Neujustierung des Verhältnisses zur Justiz. Regelmäßig werden Ermittlungsverfahren gegen FaschistInnen wegen antisemitischer oder rassistischer Hassrhetorik eingestellt, auch wenn die Sachlage offensichtlich ist. Zweifellos erweitert die PiS-Regierung die symbolischen und faktischen Handlungsspielräume der FaschistInnen in vielerlei Hinsicht, bietet Schutz vor Repression und trägt zu deren Legitimierung bei.
Dem Kurs der PiS-Regierung wohnt andererseits aber auch ein demobilisierender Effekt inne. Konnten die früheren Schlachten mit der Polizei am 11. November noch zum Kampf mit dem System der liberalen Eliten stilisiert werden, fehlt nun dieses direkte Feindbild. Teile der extrem rechten Szene beklagen eine mit der Popularisierung des Marsches einhergehende Deradikalisierung. Auch aus diesem Grund kam auf dem Unabhängigkeitsmarsch im November 2017 ein »schwarzer Block« zustande, der sich von den »DurchschnittspatriotInnen« offensiv und aggressiv absetzen sollte. Von diesem Block stammen auch jene offen rassistischen Banner, auf denen etwa ein »weißes Europa« propagiert wurde und die auch international für größere Aufmerksamkeit sorgten. Die Integration und Normalisierung als »gewöhnliche« PatriotInnen ist für eine selbsterklärte Antisystembewegung offenkundig problematisch.
Jenseits des Unabhängigkeitsmarschs sind die Veranstaltungen von ONR und MW meist schwach besucht. Die Beteiligung reicht selten über den engsten Kern der organisierten Mitglieder hinaus. Auch die zwischenzeitliche Annahme, die extreme Rechte könnte die Rolle von Straßentruppen der Regierung übernehmen, hat sich längerfristig nicht bestätigt.

Konfrontationskurs
Von daher muss es auch nicht verwundern, dass von rechtsaußen zunehmend die Konfrontation gesucht wird. Lange schien sich die extreme Rechte eher als Druckmacherin denn als Kontrahentin der Regierung zu verstehen. Mittlerweile jedoch ist sie von sporadischer Kritik an PiS zu einer fast offen erklärten Oppositionshaltung übergegangen. Jedes Abweichen der Regierung von deren selbst vorgegebener Linie wird sofort heftig angegriffen, was sich in der Positionierung zur EU zeigt. Ein »Polexit«, wie ihn ONR und Co. fordern, ist für PiS trotz aller Konflikte mit Brüssel kein Thema. Beim Abtreibungsrecht hat PiS nach dem heftigen Gegenwind der Pro-Choice-Bewegung ein absolutes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen vorläufig aufgegeben. Und auch beim rechten Kernthema, der Zuwanderung, versagt die PiS-Regierung aus Sicht der FaschistInnen. Vorgeworfen wird der Regierung nicht nur die ökonomisch bedingte Zuwanderung von über einer Million Menschen aus der Ukraine, was laut ONR zu einem »Bevölkerungsaustausch« führt. Auch die seit 2017 signifikant gestiegene Arbeitsmigration aus Ländern wie Indien oder dem mehrheitlich muslimischen Bangladesch wird der Regierungspartei als weiterer Wortbruch angelastet.
Mit der Kabinettsumbildung Anfang 2018 sah man sich ebenfalls bestätigt. Denn der äußerlichen Imagekorrektur, die Jaroslaw Kaczynski seiner Regierungsmannschaft verpasste, fielen einige Hardliner zum Opfer. RN-Chef Robert Winnicki erklärte dazu: »Die Radio-Maryja-Minister sind weg. Die Regierung entfernt sich von der national-katholischen Wählerschaft und hisst die weiße Flagge gegenüber der EU.«

Schließlich rückte mit der Debatte über die polnisch-jüdische Vergangenheit und der Positionierung gegenüber Israel ein Thema in den Vordergrund, bei dem sich ONR und MW immer wieder als einzig standhafte nationalistische Option präsentieren. Die extreme Rechte geriert sich als politisch konsequentes Sprachrohr der von PiS selbst ausgelösten, seit Monaten auf diversen sozialen Netzwerken und Medienkanälen tobenden antisemitischen Empörung. Das zeigen die Diskussionen rund um das Ende Januar 2018 beschlossene »IPN-Gesetz« zum Schutz des guten Namens der polnischen Nation. Das Gesetz bewirkt in all seiner widersprüchlichen Vagheit, dass über öffentlichen Äußerungen zu einer polnischen Beteiligung am Holocaust ein strafrechtliches Damoklesschwert schwebt und führte zu heftigen internationalen Reaktionen – insbesondere von israelischer Seite. Dass die PiS sich infolgedessen zähneknirschend und freilich ohne eigentliche Einsicht um diplomatische Verständigung bemüht, wird als Einknicken und Knebelung durch Israel und die jüdische Lobby bezeichnet. »Nimm die Kippa ab und unterschreib das Gesetz«, hieß es auf einem an den Präsidenten gerichteten Transparent von ONR und MW. Unentwegt ist die Rede von »jüdischen Aggressionen« und »jüdischem Antipolonismus«. Schon seit Längerem warnt das extrem rechte Lager alarmistisch vor angeblich drohenden Restitutionsansprüchen der Nachkommen jüdischer EigentümerInnen auf nach 1944 enteignete Grundstücke. Die Passivität der Regierungspartei in dieser Frage wird als ein Nachgeben vor dem erpresserischen Druck von Israel, USA und jüdischen Kreisen dargestellt. Auch die staatliche Unterstützung von als »jüdisch« identifizierten Einrichtungen wird angeprangert, obwohl etwa das »Museum der Geschichte der polnischen Juden« wegen seiner aktiven Beteiligung in der Antisemitismus-Debatte ohnehin den Attacken von PiS ausgesetzt ist. Nachdem die Polizei Anfang Mai in Katowice einen Aufmarsch der »Allpolnischen Jugend« auf Geheiß des von PiS unterstützten Stadtpräsidenten aufgelöst hatte, rief das faschistische Lager zu einer Protestkundgebung unter der Parole »Die Masken sind gefallen. PiS und PO (die Vorgängerregierung, Anm. d. Red.) – ein und dasselbe Übel« auf. Seit dem Regierungsantritt ist das die erste offen gegen PiS gerichtete Aktion.

Ob es aber gelingt, ausgehend von diesem Protest in nächster Zeit eine starke politische Formation rechts von PiS zu etablieren, ist angesichts von internen Auseinandersetzungen und fast monatlichen Parteigründungen fraglich. Die Kommunalwahlen im Herbst 2018 dürften einen ersten Hinweis darauf liefern, welche Allianzen möglich sind und ob sich eine Brücke zum unzufriedenen Teil der PiS-AnhängerInnenschaft schlagen lässt. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Bruchlinien zwischen der Rechtsregierung und der Bewegung auf der Straße weiter entwickeln. Unabhängig davon besteht langfristig die größte Gefahr vor allem im Verschwimmen ideologischer Grenzen nach rechtsaußen und der Normalisierung vormals marginalisierter extrem rechter Symboliken, Sprech- und Denkweisen.