»Identitär« auf Britisch

von Simon Volpers
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 173 - Juli / August 2018

#UK

Seit fast einem Jahr existiert ein Ableger der neu-rechten »Identitären Bewegung« in Großbritannien. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten hat sich die Gruppe unter neuer Führung und mit Hilfe aus dem Ausland zu einem Player in der extremen Rechten auf der Insel entwickelt.

Magazin der rechte rand

Anti-fascists unveiled a banner reading ‘Smash Nazi Hipsters!’ at Birkbeck earlier ahead of tomorrow’s Generation Identity.

Die »Identitäre Bewegung« (IB) ist in Großbritannien angekommen. Zwar brauchte es einige Jahre länger als auf dem europäischen Festland, doch mittlerweile scheint sich die »Generation Identity« (GI), wie das britische Pendant sich nennt, zu etablieren. Ihr Vorgehen ähnelt in großen Teilen dem ihrer kontinentalen Schwesterorganisationen: Eine hohe Social-Media-Präsenz, möglichst öffentlichkeitsheischende Aktionsformen sowie ein hipper Corporate-Identity-Look sorgen trotz kleiner Mitgliederzahl für große Aufmerksamkeit. Die »Sunday Times« schrieb unlängst geradezu erstaunt über das auf der Insel neue Phänomen: »Bürgerlich und wortgewandt, mit Skinny Jeans und New-Balance-Turnschuhen anstelle von Bomber-Jacken und Stiefeln.«

Dabei sah es zunächst danach aus, als würde das Projekt auf der Insel floppen. Seit Anfang 2017 existieren Internet-Auftritte der »Genera­tion Identity United Kingdom and the Republic of Ireland«, doch im Herbst waren erstmals Offline-Aktivitäten der Gruppe zu verzeichnen. Ihr offizieller Launch fand am 23. Oktober 2017 statt, als ein knappes Dutzend »Identitäre« am Geländer der Westminster Bridge in London ein großes Transparent mit der Aufschrift »Defend London, stop Islamisation« entrollte. Die Brücke im Stadtzentrum war ein halbes Jahr zuvor Schauplatz eines islamistischen Attentats gewesen.
Die Aktion verfehlte jedoch die beabsichtige Wirkung deutlich, britische Medien nahmen davon kaum Notiz. Vielmehr geriet die GI im Rahmen einer Fernsehreportage in den Fokus, die unter dem Titel »Undercover: Inside Britain‘s New Far Right« ausgestrahlt wurde, in der unter anderem der damalige GI-Co-Chef Jordan Diamond als Vertrauter von Anne Marie Waters porträtiert wurde. Waters gründete »Pegida UK« sowie die extrem rechte Kleinpartei »For Britain« nach erfolgloser Kandidatur für den Vorsitz der rechtspopulistischen ­»UK Independence Party« (UKIP). GI-Angehörige fallen in dem Beitrag durch krude Theorien über das Verschwinden der »Weißen« in Europa auf. Diamond und sein Partner an der Spitze der Gruppe, Sebastian Seccombe, zogen sich nach der Veröffentlichung zunächst zurück.

Was die Reportage außerdem belegt, ist die Führungsrolle kontinentaleuropäischer »Identitärer« bei der Initialisierung des britischen Ablegers. Insbesondere der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner tat sich hierbei hervor. Er sieht das Engagement auf der Insel scheinbar als Eintrittskarte für den angelsächsischen Raum: Nicht wenige seiner Videos produziert der notorische »Vlogger« inzwischen auf Englisch. Im Rahmen seines London-Aufenthalts sprach er am 21. Oktober auch auf der prestigeträchtigen Konferenz des rechten Think-Tanks »Traditional Britain Group«. In dieses Bild passt außerdem Sellners Beziehung zur US-amerikanischen »Alt-Right«-Aktivistin Brittany ­Pettibone.

Ein neuer Chef
Nachdem der Startschuss für die GI weniger spektakulär verlief als erhofft, änderte sich dies mit dem Wechsel an der Führungsspitze der Gruppe. Der in London lebende Norweger Tore Rasmussen übernahm etwa ab dem Jahreswechsel die Koordination der Aktivitäten. Seither organisierte die GI eine Vielzahl an Aktionen, die sie zunehmend in den Fokus von AntifaschistInnen rückten und zum Teil mediale Öffentlichkeit erhielten. Im Dezember verkleidete sich ein Mitglied als Londons muslimischer Bürgermeister Sadiq Khan und sammelte Unterschriften für die Abschaffung des Weihnachtfests. Ihm zur Seite standen zwei vollverschleierte Personen. Mehrmals inszenierte die GI Verteilaktionen von schweinefleischhaltigem Essen an nicht-muslimische Obdachlose. In die im März dieses Jahres im Land aufkommende Empörung über einen Missbrauchsskandal in Telford bei Birmingham versuchte die Gruppe mit rassistischer Stimmungsmache zu intervenieren. Hinzu kommen zahlreiche Flugblatt- und Transparent-Aktionen.

Die bisher größte Aufmerksamkeitswelle erreichte die GI freilich mit Beihilfe aus dem Ausland. Nachdem ein Auftritt von Martin Sellner bei einer Veranstaltung der »Young Independence«, der UKIP-Nachwuchsorganisation, bereits zum zweiten Mal durch öffentlichen Druck verhindert wurde, wollte Sellner am 11. März 2018 in der berühmten »Speaker‘s Corner« des Londoner Hyde Parks eine Rede zum Thema »Meinungsfreiheit in der modernen Welt« halten. Doch britische Behörden verweigerten Sellner sowie Pettibone kurzerhand die Einreise. Die »Identitären« gerierten sich daraufhin als Opfer einer vermeintlichen Meinungsdiktatur und hielten ihre Veranstaltung, begleitet von antifaschistischem Protest, dennoch ab. In Österreich und in Ungarn wurden Solidaritätsbekundungen von örtlichen »Identitären« organisiert. Zumindest die bizarre Anekdote vom leidenschaftlichen Anti-Migrations-Aktivisten Sellner im britischen Abschiebegewahrsam sorgte für Medienecho.

Gemeinsam mit Tommy Robinson
Eine Woche später kam es zur Neuauflage: Stephen Yaxley-Lennon alias Tommy Robinson, ehemaliger Anführer der anti-muslimischen Hooligan-Vereinigung »English Defence League«, ebenfalls »PEGIDA UK«-Gründer und inzwischen Medienaktivist beim rechten Online-Magazin »Rebel Media«, trug statt des festgesetzten Sellner dessen Rede in der »Speaker‘s Corner« in einem inszenierten Akt des Widerstands vor. GI-Mitglieder flyerten im Umkreis der Veranstaltung, bei der es vereinzelt zu Gewalttätigkeiten gegenüber GegendemonstrantInnen kam.
Beide Gelegenheiten machten die Verankerung der GI im rechten bis extrem rechten Milieu deutlich. Es waren jeweils Anhänger der »Football Lads Alliance« zugegen, einer Gruppe, die als selbsternannte Bewegung gegen Extremismus entstand, vor allem aber durch rassistische Agitation und Kontakte zu langjährigen Aktivisten der rechten Szene von sich reden machte. Sie ähnelt den deutschen »Hooligans gegen Salafisten« und brachte mehrere zehntausend Menschen auf die Straße, erscheint mittlerweile aber zunehmend in Auflösung begriffen.

Auch die Liaison mit Tommy Robinson spricht Bände. Aufgrund seiner Medienarbeit ist er gegenwärtig einer der prominentesten Akteure der extremen Rechten Großbritanniens. Als er Ende Mai zum wiederholten Male verbotenerweise live von einem Gerichtsprozess berichtete und anschließend verhaftet wurde, erreichte eine Petition, die seine Freilassung forderte, in weniger als einer Woche mehr als eine halbe Million UnterstützerInnen. Robinson traf sich mehrfach mit Identitären, diese wiederum besuchten unter anderem den von ihm organisierten »Day for Freedom« am 6. Mai 2018. Der 35-Jährige wurde zwischenzeitlich als möglicher Leiter der GI gehandelt.

Das scheint allerdings inzwischen der 23-jährige Tom Dupre zu sein. Er trug an Sellners Stelle die Rede im März vor und wurde für dessen »Vlog« ausführlich interviewt. Dupre wird vor allem unterstützt vom Londoner Charlie Fox und dem Nordengländer Benjamin Jones. Für Irland und Nordirland zuständig ist die 38-jährige Deirdre McTucker alias Damhnait McKenna. Das interessanteste GI-Mitglied dürfte aber Jake Bewick aus Sheffield sein. Er nahm nach Angaben der Antirassismus-Organisation »Hope Not Hate« noch 2016 an einer Demonstration der »National Action« teil, die im selben Jahr als terroristische Gruppe verboten wurde.

Nicht erfolgreich
Dass die britische Sektion inzwischen einige Wertschätzung erfährt, bewies die Ausrichtung einer europaweiten Konferenz der IB am 14. April dieses Jahres durch die GI. Allerdings geriet auch diese Veranstaltung nicht zuletzt aufgrund antifaschistischer Intervention zu einem weiteren Desaster. Das Treffen unter dem Titel »European Reunion« war mit markigen Worten angekündigt, erlebte aber bereits vor Beginn einige Dämpfer. Dem als Sprecher angekündigten Martin Sellner und dem ungarischen Identitären Ábel Bòdi wurde am Tag zuvor die Einreise ins Land verwehrt. Für die mit feministischer Symbolik kokettierende »#120-Dezibel-Kampagne« sollte aus Deutschland Annika Franziska Stahn von der IB Schwaben anreisen. Stattdessen sprach Freya Honold von der IB Dresden, die wie Stahn Autorin des antifeministischen Blogs »radikal feminin« ist.
Obwohl der Ort der Zusammenkunft durch die GI nicht bekannt gegeben wurde, veröffentlichte »Hope Not Hate« bereits am Mittag des Konferenztages die Adresse. Anstatt sich, wie angekündigt, in London zu treffen, geschah dies in einem Stadtteilzentrum in Sevenoaks in der Grafschaft Kent, fast 50 Kilometer von London entfernt. Dort mussten dann die Identitären ihre Sachen packen, nachdem bekannt wurde, wer sich eingemietet hatte. Auch in einem nahegelegenen Pub, in den die Gruppe anschließend einkehrte, wurde sie bald wieder vor die Tür gesetzt. Zwar versuchte die GI die Konferenz im Nachhinein als Erfolg zu verkaufen, in der für sie so wichtigen Öffentlichkeit standen sie aber als die Verlierer des Tages da.

Nichtsdestotrotz tut die britische Linke gut daran, die GI nicht zu unterschätzen. Innerhalb nicht einmal eines Jahres haben es die wenigen Mitglieder unter großem persönlichen Einsatz geschafft, sich als derzeit aktivste Gruppe der extremen Rechten auf der Insel einzurichten. Sie verstehen es, eine modernisierte Alternative zum herkömmlichen britischen Nationalismus mitsamt seinen rassistischen Ressentiments zu bieten, der an Schlagkraft zu verlieren drohte, nachdem er im »Brexit«-Votum einen demokratischen Ausdruck fand. In diesem Sinne füllt die GI die Lücke zwischen UKIP und einer Vielzahl an extrem rechten Kleinparteien, den offen rassistischen bis neonazistischen Schlägergangs aus dem Hooligan-Milieu und Untergrund-Organisationen wie »National Action«. Und schließlich verschiebt sie auch den Diskurs: In hippem Gewand ethnisiert sie die Debatte um MigrantInnen und Muslime, die in Großbritannien bisher eher eine Debatte um differente Kulturen gewesen ist.