»Kontrollierter Nationalismus«

von Lara Schultz
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 173 - Juli / August 2018

#Russland

Bekanntermaßen ist es um das Verhältnis zwischen Russland und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht zum Besten bestellt. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im März 2018 wurde im Westen der Oppositionelle Aleksej Naval’nyj als demokratische Alternative zu Amtsinhaber Vladimir Putin gesehen. Naval’nyjs extrem rechte politische Einstellungen kamen dabei nicht zur Sprache.

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Nationalist Aleksej Naval’nyj (Nawalny)

Die Zustimmung zu und das Vertrauen in Putin ist ungebrochen hoch. Drei Viertel der WählerInnen gaben ihm bei der Präsidentschaftswahl im März dieses Jahres ihre Stimme. 53 Prozent vertrauen Putin laut einer Umfrage des unabhängigen »Levada-Zentrums« vom April 2018. Das Vertrauen in den Oppositionspolitiker Aleksej Naval’nyj liegt dagegen bei drei Prozent. Dabei gilt Naval’nyj mit seiner »Stiftung zur Korruptionsbekämpfung« durchaus als Shootingstar der Opposition, vor allem im Westen Europas. In Russland dürfte er der mittlerweile bekannteste Blogger sein. 2011 wussten sechs Prozent der Befragten etwas mit dem Namen anzufangen, 2013 konnte er bei der Wahl zum Moskauer Bürgermeister den zweithöchsten Stimmenanteil auf sich vereinen, 2017 dann war er der Hälfte der Bevölkerung namentlich bekannt. Doch seine Bekanntheit schützt ihn nicht – im Gegenteil. Die angestrebten Gerichtsverfahren gegen ihn, offiziell wegen Unterschlagung, die Naval’nyj auch in Lagerhaft brachten, werden von BeobachterInnen als politisch motiviert angesehen, auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beschrieb die Prozesse als willkürlich und voreingenommen.
Im Dezember 2016 kündigte Naval’nyj seine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl im März 2018 an, die Zentrale Wahlkommission Russlands erklärte die Kandidatur jedoch für nicht zulässig und begründete dies mit der Verurteilung Naval’nyjs zu einer Bewährungsstrafe. Mehrfach wurde er zum Opfer von sogenannten Zelënka-Attacken. Zelënka, »Brillantgrün«, wird in den postsowjetischen Ländern bis heute als Antiseptikum verwendet, wobei Naval’nyj auch eine Augenverletzung davontrug.

Nationalistisch und rassistisch
Naval’nyj und die gegen ihn geführten Prozesse könnten mit denen gegen die Frauen- Punk-Band »Pussy Riot« verglichen werden – wäre da nicht seine extrem rechte politische Einstellung. Aus der sozialliberalen Partei »Jabloko« wurde er wegen nationalistischer Parolen im Jahr 2007 ausgeschlossen. An den extrem rechten »Russischen Märschen« nahm er seit 2009 regelmäßig teil. Der »Russische Marsch« findet seit 2005 jährlich am 4. November, dem Tag der »Einheit des Volkes« statt und wurde unter anderem von Aleksandr Dugins »Eurasischer Bewegung«, der extrem rechten »Bewegung gegen illegale Immigration« (DPNI) und der inzwischen verbotenen neonazistisch-paramilitärischen »Slavischen Union« (SS) ins Leben gerufen. 2009 gehörte Naval’nyj zu den OrganisatorInnen und RednerInnen bei diesem Aufmarsch. Im Aufruf hieß es unter anderem: »Der freie Mensch braucht Ehre. Uns verbindet die gemeinsame nationale Ehre und deshalb fühlen wir uns frei.« Ein Mobilisierungsvideo ist hinterlegt mit dem »Lied vom Stahl« des Ministerialbeamten im NS-Propagandaministerium Wilfried Bade. Erst seit 2013 sah Naval’nyj von einer weiteren Teilnahme am »Russischen Marsch« ab. Nicht etwa, weil er sich distanziert hätte. Nein, er wolle lediglich nicht, dass die Bemühungen, ihn zu diskreditieren, als Grund dafür verwendet werden könnten, den »Russischen Marsch« als Ganzes zu diskreditieren. Außerdem habe er gehofft, die Versammlung werde eine »normale Prozession konservativer Bürger«. »Ich unterstütze immer noch den Russischen Marsch als eine Idee und als Veranstaltungsformat, ich bin bereit, Informationen zu verbreiten oder anders zu unterstützen, aber in der neuen Situation kann ich selbst nicht teilnehmen«, zitierte die britische BBC den Oppositionspolitiker. Naval’nyj ist vorsichtiger geworden – den Slogan der Märsche »Russland den Russen« verwendet er so nicht mehr. »Russland den Bürgern Russlands« fordert er auf seiner Homepage. 2008 schrieb er bis heute abrufbar in seinem Blog: »Die gesamte nordkaukasische Gesellschaft und ihre Eliten teilen den Wunsch, wie Vieh zu leben. Wir können nicht normal mit diesen Völkern koexistieren.« Zehn Jahre später lässt er verlautbaren: »Die visafreie Regelung mit den Ländern Zentralasiens wirkt sich negativ auf den Arbeitsmarkt in Russland aus und führt zu unkontrollierten Migrationsströmen. (…) Wenn eine Gesellschaft einen Massenzustrom von Migranten mit einer deutlich anderen Lebensweise, ohne Sprachkenntnisse, mit einem niedrigen Kulturniveau nicht akzeptiert, sollten vernünftige Politiker dies in praktische Lösungen umsetzen und die Migrationsströme entsprechend anpassen.«

Europas Rechte und Russland
Mit der extrem Rechten möchte Naval’nyj offiziell zwar nichts mehr zu tun haben, liebäugelt aber mit der Politik westlicher extrem rechter PolitikerInnen und Parteien wie Marine Le Pen und der NPD, die trotz ihrer Positionen einen Platz in der Demokratie hätten, so der Autor Filipp Piatov. Die Sympathien und Nähe beruhen auf Gegenseitigkeit. Europas Rechte wie »Alternative für Deutschland« (AfD), »Freiheitliche Partei Österreich« (FPÖ), »Front National« (FN, Frankreich) und die italienische »Lega«, suchen die Nähe zu Russland und zu der Regierung Putin. Grund für diese Nähe mag der gemeinsame Traum einer weltweiten »konservativen Revolution« sein, ein gemeinsames Einstehen gegen gesellschaftlichen Liberalismus, gegen eine vermeintliche Dekadenz und für eine homogene Autorität.
So empfängt die russische Regierung extrem rechte europäische Parteien, schließt Verträge mit ihnen (FPÖ) oder vergibt Darlehen in Millionenhöhe (FN). Bereits 2016 schloss »Einiges Russland« einen sogenannten Kooperationsvertrag mit der FPÖ, kurz darauf mit der »Lega«. Im März 2015 hatten sich auf Einladung der kremltreuen »Rodina-Partei« (»Heimat-Partei«) VertreterInnen mehrerer europäischer extrem rechter Parteien in St. Petersburg getroffen. Die rund 150 Mitglieder von Parteien wie der griechischen »Goldene Morgenröte«, der britischen »National Party« und der deutschen NPD berieten unter anderem darüber, wie »traditionelle Werte« von Familie und Christentum, für die auch Russlands Präsident Putin stehe, gefördert werden können. Naval’nyj hingegen warnte in seinem Blog vor einem solchen Treffen: »Die Faschisten verwandeln sich sehr schnell in Russlandfreunde und umgekehrt.«

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Nationalist Vladimir Putin

Taktik und Strategie
Die Widersprüchlichkeit im Umgang mit FaschistInnen, keine Berührungsängste mit ihnen zu haben, aber vor ihnen zu warnen, wenn es politisch gerade genehm ist, verbindet wiederum Putin und Naval’nyj. Der russische Präsident selbst beziehungsweise seine Präsidialadministration gehen Bündnisse mit Ultrarechten aus Europa und Russland ein. »Kontrollierter« oder »gelenkter« Nationalismus nennt die Journalistin Ute Weinmann dieses Konzept: Der extremen Rechten wurden weitreichende Handlungsmöglichkeiten zugestanden, gleichzeitig gab der Kreml zu verstehen, einer etwaigen »faschistischen Bedrohung« durchaus mit entsprechenden Maßnahmen zu begegnen. 2010 wurde »Mein Kampf« auf Antrag der russischen Generalstaatsanwaltschaft als »extremistisch« eingestuft und der Handel damit verboten. Das Analysezentrum »Sova« interpretierte das Verbot als einen Versuch des Staates, ein vermeintlich härteres Vorgehen gegen den Rechtsextremismus vorzugaukeln. Das Verbot bleibe wirkungslos, da der Text sowieso im Internet verfügbar sei.
Dabei fällt von russischer Seite immer wieder das Argument, Russland könne schon allein deshalb keine faschistischen Züge annehmen, weil es im Großen Vaterländischen Krieg den Faschismus bekämpft und Europa von dieser Geißel befreit habe. So wurde zum Beispiel Eduard Limonov, Gründer der 2005 verbotenen »Nationalbolschewistischen Partei Russlands«, als Kandidat der Nachfolgepartei »Das andere Russland« nicht zur Wahl zugelassen. Der Gründungskongress seiner neuen Partei »Das andere Russland« im Juli 2010 wurde von AktivistInnen der regierungstreuen Jugendorganisation »Naši« mit Plakataufschriften wie »Gründungskongress einer faschistischen Partei« gestört. Andererseits hat Aleksandr Dugin, bei westeuropäischen FaschistInnen gern gesehenes ehemaliges Parteimitglied der »Nationalbolschewistischen Partei« und ein Ideologe des sogenannten »Eurasischen Raumes«, Zugang zum Kreml.
Naval’nyjs Fans sind sehr jung – überwiegend Studierende und SchülerInnen. Grund hierfür mag auch das Maskottchen sein – die gelbe Quietscheente, die als Symbol für die korrupten Eliten stehen soll. Auf dem Datschengrundstück des Ministerpräsidenten Dmitrij Medvedev soll es ein Entenhaus von der Größe einer Villa geben, Aufnahmen hiervon hat Naval’nyj in seinem Blog veröffentlicht.
Diese Jugendlichen kennen keine andere regierende Partei als »Einiges Russland«. Sie leben unter einem Präsidenten, der zunehmend autokratisch agiert. Und die einzige wahrnehmbare Opposition ist eine nationalistische – nicht die besten Voraussetzungen für die politische Sozialisation einer gesamten Generation.