Von der Partei zur Kameradschaft und zurück
von Marian Ramaswamy und Rune Wiedener
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 173 - Juli / August 2018
#NeoNazis
Mit der Kampagne zum zehnten »Tag der Deutschen Zukunft« mobilisierten Neonazis aus dem nördlichen Harz ein Jahr lang zum Aufmarsch nach Goslar. Dort hat sich eine kleine, aber beständige Neonazi-Szene etabliert.
Die erfolgreichen Zeiten der neonazistischen Aufmarsch-Kampagne »Tag der deutschen Zukunft« (TddZ) liegen schon länger zurück. Doch zum zehnjährigen Jubiläum erhoffte sich die »Kameradschaft Nordharz« als Organisatorin offenbar einen neuen Aufschwung und trat seit dem Sommer 2017 mit Mobilisierungsveranstaltungen in Erscheinung. Tatsächlich aber geschah die Organisationsübernahme aus dem Grund, weil »es keinen anderen gab«, der sich dazu bereit erklärt hatte, wie Joost Nolte als Mitglied des »Kollektivs Nordharz« freimütig im Gespräch mit dem neonazistischen Medienportal FSN-TV einräumte.
Zur politischen Legitimation des Aufmarschortes Goslar, der im Gegensatz zu früheren Zielen wie Dortmund, Karlsruhe oder Hamburg mitnichten als Großstadt bezeichnet werden kann, diente der Rückgriff auf NS-Propaganda; schließlich galt Goslar ab 1936 als »Reichsbauernstadt«. Die angeblich herausragende propagandistische Bedeutung dieses vermeintlichen Ehrentitels ist in der Geschichtsforschung umstritten. Fanden die sogenannten »Reichsbauerntage« in den frühen Jahren des Nationalsozialismus noch regelmäßig in Goslar statt, verzichtete das NS-Regime mit Beginn des Zweiten Weltkrieges auf die Fortführung.
Initiatoren fehlen zum Jubiläum
Dem Aufruf zum zehnten TddZ folgten letztlich 230 Neonazis, vor allem aus Norddeutschland, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Damit fällt das Ergebnis weit hinter die Erwartungen der VeranstalterInnen zurück. Auf FSN-TV sprach Nolte im Vorfeld noch von 350 bis 1.000 TeilnehmerInnen. Während in Goslar die Reden von Thorsten Heise als stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender sowie von den Vertretern der Partei »Die Rechte« Sascha Krolzig und Sven Skoda wenig überraschten, war das Fehlen von Thomas Wulff und Christian Worch auffällig; beide gelten als Initiatoren des TddZ. Ihre Abwesenheit macht deutlich, dass das Projekt nicht nur wegen des Veranstaltungsortes Goslar an Relevanz verloren hat. Der TddZ steht somit sinnbildlich für die zersplitterte und marginalisierte Neonazi-Szene in Deutschland, die sich nach politischen Erfolgen sehnt.
Aus der früheren Initiatorengruppe begleitete schlussendlich nur Dieter Riefling, von Nolte fälschlicherweise als »Vater des TddZ« bezeichnet, die diesjährige Kampagne. Er erhielt aber, wie bereits ein Jahr zuvor in Karlsruhe, ein generelles Redeverbot durch die Ordnungsbehörden.
Stärkung der regionalen Strukturen
Trotz des Misserfolgs konnte der Veranstaltungsort Goslar die Neonazi-Strukturen im Harz stärken, die seit dem Spätsommer 2014 mit dem Auftreten der »Nationalen Sozialisten Nordharz« (NSNH) eine neue Dynamik entwickelten. Personelle Überschneidungen bestanden zudem mit dem bis Ende 2016 existierenden »Die Rechte«-Kreisverband Harz (Sachsen-Anhalt) um den damaligen Kreisvorsitzenden Ulf Ringleb aus Halberstadt. Allerdings verschuldete sich der Verband nach einem finanziellen Desaster im Wahlkampf und versank nach persönlichen Reibereien in der Bedeutungslosigkeit. In der Folge gründete sich im Frühjahr 2017 das »Kollektiv Nordharz« mit einem Kern aus 10 bis 15 Mitgliedern mit zum Teil wechselnden Personalien. In Niedersachsen entwickelte sich neben Ringleb und Nolte auch Carsten Dicty zu einer Führungsperson.
Stützpunkt Bad Harzburg
Als Treffpunkt steht der Kameradschaft eine Immobilie in der Bäckereistraße 8 in Bad Harzburg zur Verfügung, die sich im Eigentum eines großen Goslarer Handwerksunternehmens befindet und in der Vergangenheit bereits als Veranstaltungsort von Neonazikonzerten diente. Am 10. April 2017 veranstaltete das »Kollektiv Nordharz« einen Liederabend mit Michael Regener, bekanntermaßen Kopf der Band »Die Lunikoff Verschwörung«. Zu dem konspirativ beworbenen Konzert versammelten sich nach eigenen Angaben 150 Neonazis auf dem Gelände, die weitestgehend von polizeilichen Maßnahmen verschont blieben. Ein weiteres Konzert sollte im Anschluss an eine TddZ-Mobilisierungskundgebung am 12. August 2017 stattfinden. Neben dem Konzert und der Kundgebung wurde auch ein Vortrag von Dieter Riefling mit dem Thema »10 Jahre Tag der Deutschen Zukunft« beworben. Das Konzert wie auch der Vortrag konnten jedoch nicht stattfinden; der Landkreis Goslar, der diesmal frühzeitig über das Neonazi-Event informiert war, sprach ein präventives Verbot von öffentlichen Veranstaltungen für den Ort des Geschehens aus. Die Immobilie konnte schlichtweg nicht die nötigen Brandschutzvorschriften vorweisen. An der Kundgebung in Goslar sowie zwei spontanen Kundgebungen in Vienenburg und Salzgitter beteiligten sich insgesamt nicht einmal 50 Neonazis. Neben den Harzer Kameradschaftsmitgliedern stammten sie vor allem aus den »Jungen Nationalisten« (JN) Braunschweig und der sogenannten »Volksbewegung Niedersachsen« um Jens Wilke.
Partei statt »Kameradschaft«
Nachdem das »Kollektiv Nordharz« vor allem bundesweit auftrat, etwa auf dem »Rudolf-Heß-Gedenkmarsch« im August 2017 in Berlin oder den neonazistischen Festivals in Themar, machte es ab Ende November wieder in der Nähe des Harzes von sich reden. Einige Mitglieder versuchten, eine Vorbereitungskonferenz des Goslarer »Bündnis gegen Rechts« im südniedersächsischen Duderstadt zu stören und bedrängten dabei die Anwesenden massiv. Die Polizei leitete in der Folge Ermittlungsverfahren ein. Kurz danach verschwand die Internetpräsenz der »Kameradschaft«; stattdessen fand sich eine Meldung über die Auflösung des »Kollektivs Nordharz«. Nur kurze Zeit später verkündete die Kleinstpartei »Die Rechte« im Januar 2018 die Gründung des »Großkreisverbands Süd-Ost-Niedersachsen«. Seinen ersten Vorstand stellten mit Ulf Ringleb, Joost Nolte und Jan Derks allesamt vorherige »Kollektiv Nordharz«-Aktivisten.
Dass es sich bei der Gründung des Kreisverbands vor allem um eine strategische Absicherung der eigenen Kameradschaftsstruktur handelte, zeigte sich spätestens bei einer Kundgebung am 13. Februar in Vienenburg bei Goslar. Unter dem Motto »Ein Licht für Dresden« fanden sich circa 30 Neonazis zu einer kurzen Kundgebung vor dem dortigen Rathaus ein. Sowohl die TeilnehmerInnen als auch die OrganisatorInnen waren dabei deckungsgleich mit dem aufgelösten »Kollektiv Nordharz«, dessen Mitglieder offenbar ein staatliches Verbot fürchteten.
Streit und erfolglose Mobilisierung
In der letzten Phase der TddZ-Mobilisierung setzten die OrganisatorInnen neben Infoständen und RechtsRock-Konzerten hauptsächlich auf Kleinstkundgebungen, zu denen in der Regel lediglich die eigenen AktivistInnen erschienen. Am 7. April 2018 kamen jeweils nicht mehr als 20 Neonazis zu Kundgebungen in Braunschweig, Salzgitter und Goslar. Angemeldet wurden sie trotz der neuen Nähe zur Partei »Die Rechte« durch das NPD-Mitglied Carsten Dicty. Zwei Wochen später sollte es am 25. April dann zu einem Aufmarsch durch Göttingen kommen. Die Anmeldung übernahm Holger Niemann, bekannt als »Die Rechte«-Vorsitzender in Niedersachsen. Als Versammlungsleiter wiederum bot sich mit Jens Wilke der ehemalige NPD-Kandidat und Kopf der »Volksbewegung Niedersachsen« an. Er hatte im Januar 2018 vor dem Verwaltungsgericht Göttingen erfolgreich gegen das Verbot seiner Veranstaltung im Vorjahr geklagt. Mit Wilke, aufgrund seiner öffentlichen Unterstützung der «Alternative für Deutschland« ohnehin eine polarisierende Figur innerhalb der Neonazi-Szene, kam es jedoch kurz vor dem Aufmarsch zum Streit. Als Folge nahm Niemann die Anmeldung so kurzfristig zurück, dass der hauptsächlich von der »Volksbewegung Niedersachsen« getragene Aufmarsch abgesagt werden musste. Die Absage stand dabei symbolisch für die misslungenen Mobilisierungsversuche wie auch für das Ende der kaum eine Handvoll Aktive zählenden »Volksbewegung«. Der so heimatlos gewordene Wilke suchte vor der Durchführung des TddZ-Aufmarsches die Nähe zu den nicht nur in Niedersachsen völlig unbedeutenden »Die Republikaner« und kandidiert für sie auf Platz 3 zur Europawahl.
Kurz nach dem enttäuschenden Aufmarsch traf sich der Kreis der OrganisatorInnen in Bad Harzburg für den regionalen Abschluss der Kampagne. In Zukunft soll es nun unter dem Label »Patriotisches Goslar« weitergehen. Zwar kann das ehemalige »Kollektiv Nordharz« seine Aktivitäten der vergangenen Monate nur schwerlich als Erfolg verkaufen. Doch das Organisieren und Durchführen diverser Veranstaltungen sind zumindest für den engeren Kreis der regionalen Kameradschaftsstrukturen ein erheblicher Erfahrungsgewinn in der politischen Praxis. Mit dem Rückgriff auf eine funktionierende Infrastruktur vor Ort wird wohl leider auch zukünftig von den Neonazi-Strukturen im nördlichen Harz zu hören sein.