Sie sind schon lange unter uns

von Sören Frerks


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018

#Rassismus

Bei der Bundestagswahl waren die Gewerkschaften kein Bollwerk gegen die »Alternative für Deutschland«. Das hat viele geschockt, doch Studien zeigten schon vor vielen Jahren, dass extrem rechte Einstellungen und Wahlentscheidungen auch unter GewerkschafterInnen verbreitet sind.

Magazin der rechte rand Ausgabe 171

© Mark Mühlhaus / attenzione

Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren viel gegen die »Alternative für Deutschland« (AfD) unternommen. Die DGB-Jugend, ver.di und die IG Metall unterstützten das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«, das vor der Bundestagswahl gegen die Rechtspartei mobil machte. Der DGB bietet in seiner Bildungsarbeit schon länger Schulungen zum Thema an und hat jüngst die Handreichung »Keine Alternative für Beschäftigte. AfD-Positionen unter der Lupe« veröffentlicht. ver.di gab im letzten Jahr eine »Handlungshilfe gegen Rechtspopulisten in Betrieb und Verwaltung« heraus. Und im Dezember blockierte ein Aktiver aus der IG Metall sogar mit einer Betonpyramide den AfD-Parteitag in Hannover, wurde dabei von der Polizei brutal angegriffen und erlitt Knochenbrüche. Alles Beispiele antifaschistischen Engagements von Mitgliedern und FunktionärInnen.
Das Ergebnis der Bundestagswahl spricht allerdings eine andere Sprache. 15 Prozent aller Gewerkschaftsmitglieder wählten die AfD und damit zweieinhalb Prozent mehr als alle WählerInnen zusammen. Im Westen, wo die Partei insgesamt etwas weniger als 11 Prozent der Zweitstimmen erhielt, waren es unter den Gewerkschaftsmitgliedern mit 14 Prozent deutlich mehr. Im Osten lagen sie im Durchschnitt von etwa 22 Prozent. Noch eine Zahl lässt aufhorchen: Unter den gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen kam die AfD sogar auf bundesweit 19 Prozent. Auch wenn 49 Prozent der Mitglieder immer noch sozialdemokratisch, links oder grün gewählt haben: Diese Statistik zeigt, dass die DGB-Organisationen ein Problem in den eigenen Reihen haben.

Das deckt sich mit den Beobachtungen von Klaus Dörre, Gewerkschaftsforscher an der Universität Jena. Er sieht ein großes Problem in Betriebsräten, die in DGB-Gewerkschaften organisiert sind, im Betrieb schweigen, aber vor den Werkstoren mit der AfD oder PEGIDA paktieren. Wie der Essener IG-BCE-Betriebsrat Guido Reil, der öffentlich für die »Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer« in der AfD auftritt und Parteimitglied ist. Oder Denny Jankowski: Einerseits Betriebsrat bei Jenoptik in Jena und IG Metall-Mitglied, andererseits AfD-Kandidat bei der Bundestagswahl und umtriebiger Parteifunktionär. Dörre warnte die Gewerkschaften davor, das Problem kleinzureden und mahnte, dass es bis heute keinen Unvereinbarkeitsbeschluss der Gewerkschaften gegenüber der AfD gibt. Antifaschistisch Aktive in der IG Metall kritisierten, dass sie sich beim Kampf gegen Rechts von Betriebsräten und der Gewerkschaftsspitze im Stich gelassen fühlen.

»Arbeiterklasse von Rechts«
Insbesondere in Ostdeutschland macht sich bei zahlreichen ArbeiterInnen das Gefühl des wirtschaftlichen und politischen Abgehängtseins breit, das vor Gewerkschaftsmitgliedern nicht halt macht. Die Wut über die Kluft zwischen »Oben« und »Unten« wird dann schnell zur Frage von »Innen« und »Außen«. Jeder soziale Aufstieg von Flüchtlingen an einem vorbei nach »Oben« steigert laut der Integrations- und Migrationsforscherin Naika Foroutan den Wohlstandsneid und letztlich geht es nicht mehr um Klassenkampf, sondern um völkischen Rassismus – um »Deutsche zuerst«.
Dass die Formierung einer »Arbeiterklasse von Rechts« nicht neu ist, hat der Hamburger Historiker Peter Borowsky herausarbeitet. Bei der Reichstagswahl im März 1933 wählte etwa die Hälfte der selbstständigen Mittelschicht, aber auch zirka ein Drittel der Arbeiterschaft die NSDAP. Wenngleich sie damit deutlich unter dem Durchschnitt von fast 44 Prozent lagen, gaben rund 5 Millionen ArbeiterInnen den NationalsozialistInnen ihre Stimme. Forschungsergebnisse führen mehrere wahlentscheidende Propagandaaspekte an, die an die politische Identität der WählerInnen und ihre ökonomische Lage appellierten: Romantisierung des Volksideals, Überwindung des Klassen- und Parteikampfes zugunsten einer harmonisierten »Volksgemeinschaft«, Versprechen des sozialen Aufstiegs, antikapitalistisch-antisemitische Parolen gegen Banken und Großkonzerne, Aufgreifen der Furcht des Mittelstandes vor einer Proletarisierung sowie schrittweises Ansprechen einzelner WählerInnengruppen. Besonders erfolgreich war diese Propaganda, wenn sie nicht von NS-ParteirednerInnen vorgetragen wurde, sondern in rechten Kreisen und an Stammtischen zirkulierte. Damit entwickelte sich die NSDAP zu einer Protestpartei, deren WählerInnenschaft durch »Wut, Frustration und Furcht zusammengehalten wurde«.
Zwar ist die AfD gegenwärtig weit davon entfernt, eine neue ArbeiterInnenpartei zu repräsentieren. Doch in den vergangenen zwei Jahren zeichnete sich ab, dass die Rechtspartei nicht nur von Prekarisierten, Arbeitslosen und MittelständlerInnen, sondern mehrfach überdurchschnittlich von ArbeiterInnen gewählt wurde: zuletzt bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Die dahinterliegenden ausgeprägteren extrem rechten Einstellungen in der ArbeiterInnenschaft waren aber schon vor 20 Jahren bekannt.

Motive: Rassismus und Wohlstandschauvinismus
Auch unter Gewerkschaftsmitgliedern ist dieses Einstellungspotential kein zu vernachlässigendes Randphänomen. Es trat in vergangenen Untersuchungen bereits mehrfach hervor. So wird im Buch »Lernen um zu Handeln« von 1996 zur IG-Metall-Bildungsarbeit der Umgang mit Teilnehmenden problematisiert, die rassistische Beschimpfungen und extrem rechte Meinungen äußern oder »SA-Lieder« singen. Zuvor untersuchte die Metallgewerkschaft zwischen 1990 und 1995 politische Orientierungen unter jugendlichen Auszubildenden im Kontext einer schon damals diagnostizierten »neuen sozialen Bewegung von Rechts«. Zur Jahrtausendwende verwies die »Kommission Rechtsextremismus« des DGB darauf, dass bei Umfragen vor der Bundestagswahl 1998 das Wählerpotenzial für extrem rechte Parteien unter GewerkschafterInnen zwischen 18 und 24 Jahren mit 32 Prozent etwa doppelt so hoch lag wie bei Nichtmitgliedern dieser Altersgruppe. Als Motive wurden in Ostdeutschland vor allem ein »Rassismus der Ausgrenzung von Armen« und in Westdeutschland ein »Wohlstandschauvinismus« gesehen. Im Jahr 2005 zeigte die Studie »Gewerkschaften und Rechtsextremismus« zudem, dass Organisierte, die der Mittelschicht angehören oder »einfach Arbeiter« sind, anfälliger für extrem rechte Einstellungen waren als Nicht-Organisierte. Das war damals ebenso alarmierend wie heute, allerdings verhalf dies weder NPD, DVU oder Republikanern zum Einzug in den Bundestag.
Umso mehr profitiert nun die AfD davon. In einer Auswertung zur Bundestagswahl 2017 skizziert die Hans-Böckler-Stiftung die AfD-wählenden GewerkschafterInnen vor allem als männlichen, einfach gebildeten Arbeiter. Deren Wahlentscheidungen basierten im Gegensatz zu anderen Mitgliedern deutlich stärker auf den Themen »Flüchtlingspolitik« und »Innere Sicherheit«, während »Soziale Gerechtigkeit«, »Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik« für sie weniger bedeutend waren. Dabei ist die gewerkschaftliche Bindung statistisch nicht ausschlaggebend, denn diese Gemengelage liegt im Durchschnitt aller AfD-WählerInnen. Noch etwas bringt die Studie hervor: Bedeutend für die Wahlentscheidung ist nicht die tatsächlich-objektive wirtschaftliche und soziale Lage, sondern das subjektiv empfundene Gefühl von Abstiegsangst, persönlichem Abgehängtsein und Kontrollverlust beziehungsweise Handlungsunfähigkeit im Zeitalter von Globalisierung und digitalisierter Arbeitswelt.

Über Bildungsarbeit und Satzungen hinaus
Die AfD hat es geschafft, diese Emotionalität und Wut mit rassistischer Antiflüchtlingsrhetorik und autoritär-völkischen Glücksversprechen aufzugreifen und zu verstärken. Noch dazu haben ProtagonistInnen anderer Parteien diese befeuert. Peter Kern aus der IG-Metall-Vorstandsverwaltung hat das in der Zeitschrift »Sozialismus« (2/2018) treffend als sozialpsychologisch-agitatorischen Rausch beschrieben, der gegen jede »Kraft des besseren Arguments« gefeit sei. Eine Kritik an Tarifflucht, Arbeitsbedingungen und -zeiten sowie fehlender staatlicher Regulierung führt hier nicht zu einem solidarischen Gerechtigkeitsstandpunkt als abhängig Beschäftigter, sondern trifft auf eine rechtsoffen-regressive Flanke. Sie verkehrt sich in eine Aggression gegen »die Anderen«, gegen die Flüchtlinge und das »Establishment« da oben.
Solche politischen Einstellungen und Scheinerklärungen sind schon lange unter uns. Ihnen zu begegnen und GewerkschafterInnen wie andere Lohnabhängige dafür kritisch zu sensibilisieren wird eine Aufgabe bei den diesjährigen Betriebsratswahlen und darüber hinaus sein. Die Hans-Böckler-Stiftung hat 2017 nach »Haltepunkten« gegen rechte Orientierungen gesucht. Unter GewerkschafterInnen waren dies vor allem Werte wie »Weltoffenheit und Toleranz« und »Solidarität der Menschen untereinander«. In der »unteren« Mittelschicht wählten gegen den Trend jene weniger AfD, die in ihrer sozialen Lage Mitbestimmung und Gestaltungsmöglichkeiten erleben, wie beispielsweise Tarifbindung und unbefristete Arbeitsverträge.

Wollen die Gewerkschaften ein »Bollwerk« gegen die AfD sein, genügen nach den Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte nicht formale Satzungen, Wochenendseminare und Demonstrationen gegen Rechts. Eine Vertretung der lohnabhängig Beschäftigten und eine Kritik an den Arbeitsverhältnissen muss im Alltag der Betriebe einen solidarischen und zugleich antirassistisch-antifaschistischen Standpunkt aufzeigen. Sonst bleibt das Einfallstor für die Anschlussfähigkeit von Rechts geöffnet. Nicht zuletzt braucht es für eine kritische und emanzipatorische Haltung neben politischer Bildung auch politische Bindung. Dass der Weg zu dieser gegenwärtig oftmals beim Kosten-Nutzen-Kalkül einer Mitgliedschaft beginnt ist das eine, deren Festigung über die gemeinsame Erfahrung erfolgreicher Kämpfe in Betrieb, Politik und Gesellschaft das zu realisierende andere.