Machtergreifung?

von Ernst Kovahl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 203 Juli | August 203

#AfD

Die radikale Rechte bereitet sich auf die Macht vor: Einerseits Putsch-Pläne aus dem Milieu von »Reichsbürgern«, andererseits stille Vorbereitungen im »Vorfeld« der AfD und die Wahl erster kommunaler Verwaltungsspitzen. Kontroversen bleiben nicht aus: Koalieren mit der CDU oder braucht es im Krisenfall die Machtergreifung?

Antifa Magazin der rechte rand
Faschist Höcke © Dominik Sauerer

Schillernd war, was bei den Razzien gegen die Gruppe von »Reichsbürgern« rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß zu Tage kam. Gemeinsam mit ehemaligen Bundeswehrsoldaten, Adligen, Polizist*innen, Jurist*innen und einschlägigen Rechtsradikalen wollte er sich laut Presseberichten und den Mitteilungen des Generalbundesanwalts an die Macht putschen – erfolglos, wie wir wissen. Mit Waffensammlungen, Planungstreffen, ideologischer Untermalung, großem Tamtam und historischen Linien zur Legitimation: Was da nun zutage kam, war eine bizarre Mischung aus Größenwahn und gefährlichen rechten Strukturen. Die Zahl der Unterstützer*innen, ihre Stellung in Institutionen der Gesellschaft und ihr Zugriff auf Waffen machten klar, dass hier eine reale Gefahr besteht.

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Modell »Staatsstreich«
Das Modell »Staatsstreich« ist jedoch in einer gefestigten, modernen Demokratie wenig erfolgversprechend. Mit dem Denkmodell des italienischen Marxisten Antonio Gramsci über den demokratischen Staat und dessen vorgelagerten, schützenden Kasematten der Zivilgesellschaft lässt sich die Erfolglosigkeit dieses Versuchs erklären. In einer zentralistisch organisierten und vom Staat nur schwach durchdrungenen Gesellschaft lässt sich die Herrschaft im Handstreich erobern. Hier reicht es aus – um im historischen Bild der russischen Oktoberrevolution zu bleiben –, das Winterpalais zu stürmen. Doch ein demokratischer, institutionell dicht durchzogener, von großen Teilen der Bevölkerung getragener und mit einer Zivilgesellschaft ummantelter Staat ist dagegen nicht im Sturm zu nehmen. Hier geht es erst einmal darum, in Gesellschaft und Institutionen Hegemonie zu erringen, um eines Tages auch real die Macht übernehmen zu können. Diesen Weg hat offenbar die AfD und ein Teil ihres Umfelds inzwischen eingeschlagen – getrieben aus einer Melange aus praktischen Erfahrungen der letzten Jahre, opportunistischen Hoffnungen auf ein Stück vom Kuchen und strategischen Überlegungen zur Machtergreifung, wie sie im Umfeld des »Instituts für Staatspolitik« (IfS) und des »Compact-Magazins« diskutiert werden.


Rechter »Marsch durch die Institutionen«
Besorgt notierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Anfang Juli, der AfD gelinge inzwischen der Marsch durch die Institutionen. Die Wahl eines ersten Landrats der Partei im thüringischen Sonneberg und eines hauptamtlichen Bürgermeisters im sachsen-anhaltischen Raguhn-Jeßnitz sei für die rechtsradikale Partei »Neuland«. Das Ziel des »illiberalen Marschs durch die Institutionen« sei, schreibt das konservative Blatt mit Blick auf den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, ein »schleichender Systemwechsel«. Die Wahlen von Rechtsradikalen in zwei kommunale Verwaltungsspitzen seien erste Schritte auf diesem Weg.


Während die Sorgen der Zeitung aus Frankfurt am Main eher abstrakter Natur sind, werden die realen Folgen für geflüchtete Menschen, Linke und alle anderen Menschen, die ins Feindbild der Rechtsradikalen fallen, vor Ort sehr deutlich werden. Denn – das ist eine Erfahrung mit Rechtsregierungen – sie werden sich bemühen, das umzusetzen, was sie versprochen haben – auch durch Tabu- und möglicherweise Rechtsbrüche, die zwar durch Gerichte gegebenenfalls im Nachhinein korrigiert werden können. Doch dann ist das Kind meist schon in den Brunnen gefallen. Den sonst üblichen Anstand, sich im Großen und Ganzen an demokratische Gepflogenheiten zu halten, hat die radikale Rechte nicht und wird für diese Haltung zumeist bei Wahlen belohnt.

Dammbruch im Osten?
Die aktuellen Umfragewerte für Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – in dreien der Länder wird 2024 gewählt –, erschrecken: Die AfD ist hier inzwischen stärkste oder zweitstärkste Kraft mit Werten von knapp unter oder deutlich über 30 Prozent. Das befeuert die Träume der Partei, in naher Zukunft nicht nur Landräte oder Bürgermeister, sondern sogar Minister zu stellen oder gar Landesregierungen anzuführen. Zwar lehnt eine klare Mehrheit der Deutschen (73 Prozent) laut einer aktuellen Umfrage Koalitionen mit der Partei ab – regional sieht das jedoch anders aus. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen könnte es im nächsten Jahr folgende Optionen für eine Regierungsbildung geben: Entweder mit Beteiligung der AfD in Form einer Koalition von CDU und AfD beziehungsweise einer von der AfD tolerierten Minderheitsregierung oder eine quasi demokratische Allparteienregierung von Linkspartei bis CDU, um die Rechtsradikalen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten. Hier wird es vor allem darauf ankommen, ob die Bundes-CDU ihre ostdeutschen Landesverbände weiterhin im Zaum halten kann oder ob der Dammbruch einer Kooperation mit der AfD auf Landesebene gefährliche Realität wird.

Mitregieren
In der AfD sorgen die jüngsten Umfragen für Allmachtsfantasien. Sachsens Landesvorsitzender Jörg Urban sagte: »Wir wollen regieren, und wir werden regieren!« Zumeist scheint dafür nur die CDU als Partnerin infrage zu kommen. Doch daran kommt Kritik von rechts. Benedikt Kaiser, Dauerautor des IfS, schrieb: »Wieso soll man sich einseitig auf eine Zukunftskoalition mit der CDU festlegen? Die CDU ist im konservativen und rechtsoffenen, aber auch im diffus populistischen Wählerspektrum Sachsens unbeliebt; zwei Jahre Corona-Restriktionen und Gleichschritt mit der ›Ampelkoalition‹ in Berlin haben Spuren hinterlassen. Wieso also nicht das potenzielle Koalitionsfenster offenstehen lassen? Wieso nicht sagen: Wir gewinnen die Wahl, dann sehen wir weiter!« Sich an die CDU zu binden, sei »politisch nicht ratsam«, da man so Protestwähler*innen vergraule, schrieb er in »Der Eckart«, der österreichischen »Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur« im April 2023.

Osten als Vorreiter
Als im Januar dieses Jahres eine Umfrage die Bundesvorsitzende der AfD und Chefin der Fraktion im Bundestag Alice Weidel, bei einer Direktwahl zur Kanzlerin in Ostdeutschland an erster Stelle sah, freute sich der rechtsradikale Publizist über die Option auf die Macht: »Wenn es jemals eine ‹Wende› in der BRD geben wird, geht sie von den ‹neuen Bundesländern› aus und greift erst von dort auf den Westen über. Die AfD als Wahlformation einer ‹Mosaik-Rechten› nimmt genau diese Rolle nun einmal im Osten ein, wo ein konstruktives Ineinandergreifen parlamentarischer und außerparlamentarischer Akteure überwiegt (…). Nur dort erscheint es realpolitisch machbar, dass die AfD mit bald erreichten ‹30 Prozent plus› den dominierenden Seniorpartner wird verkörpern können – falls es überhaupt Koalitionsoptionen gibt. (…) Denn mit 30 Prozent plus kann man ein Bundesland mitgestalten: Man erinnere sich an die weitreichenden föderalen Spielräume, die man nutzen und kämpferisch ausweiten müsste, von der Sozial- und Kulturpolitik bis hin zur inneren Sicherheit. Wenn man also überhaupt auf Wahlen als Motor der Änderung setzt, heißt die Devise: Ostkurs!« Die CDU – »geschrumpft« und »politisch korrigiert« – ist für ihn in seiner Vision – und die jüngsten Umfragen geben ihm teilweise recht – höchstens noch »Juniorpartner der AfD«. Ein Erfolg im Osten würde »auch im Westen Hoffnungsregionen mitreißen«.

Schwarz-blau/braune Machtoption
Die rechten Träume von der Macht bekommen Nahrung von einem unklaren Verhalten der Konservativen. Neben klarer Abgrenzung nach rechts durch einige Vertreter*innen der Partei gibt es eben all jene – vor allem im Osten –, die für künftige Pöstchen bereits heute alle historischen Warnungen in den Wind schlagen. So plädierte beispielsweise Thüringens früherer Fraktions- und Parteichef und ewiger Anwärter auf den Posten des dortigen Ministerpräsidenten Mike Mohring für einen anderen Umgang mit den Rechtsradikalen. Es habe keinen Sinn, »die AfD parlamentarisch durch Ausgrenzung zu überhöhen, ohne dass sie sich inhaltlich beweisen muss«. Auch die Beobachtung der Partei durch den Thüringer Inlandsgeheimdienst sei noch kein überzeugender Anhaltspunkt, dass die AfD »nicht auf dem Boden des Grundgesetzes« stehe. So werden Machtoptionen vorbereitet.

»Mosaik-Rechte«
Kaisers »Mosaik-Rechte«, die er seit 2017 immer wieder in die Debatte bringt, soll ein Weg sein, die radikale Rechte wirkmächtiger werden zu lassen. 2022 untermauerte er seinen Vorschlag in seinem Buch »Die Partei und ihr Vorfeld« aus dem »Verlag Antaios«. Parlamentarische und außerparlamentarische Akteure müssten ein »Gesamtmilieu« abbilden, in dem »jeder in seinem Beritt mit den dort typischen Verhaltens- und Aktionsweisen agierte, die organisationskulturelle Autonomie des Bündnispartners aber akzeptierte.« Eine »kämpfende« und eine in Zukunft »regierende« Rechte müssten sich »als dialektisches Paar ergänzen, gegenseitig strategisch vorantreiben und zugleich korrigieren«. Kaiser erklärt in dem Buch, wie sich die AfD und ihr »Vorfeld« als »Schutz-, Unterstützungs- und Rekrutierungsraum« wechselweise stärken müssten. Für ihn ist klar: Die Partei dürfe nicht bloß »Korrektiv für die Union« sein, sondern müsse selbst nach der Macht greifen. Dafür sei es notwendig – im Sinne der Herausbildung politischer Hegemonie – auch intensiv im Vorfeld der Partei aktiv zu sein.


Kaiser bemüht sich immer wieder – bis heute allerdings erfolglos – Brücken von rechts nach links zu schlagen. Ein Ansatzpunkt dafür ist, »soziale Fragen« von rechts zu besetzen. Hier findet er Anknüpfungspunkte bei Jürgen Elsässers »Compact-Magazin«. Im Februar wurde dort die »heute so drängende Frage nach den Durchsetzungschancen der Opposition« diskutiert. »Das volksfeindliche Agieren der Eliten« habe »Millionen gegen ‹die da oben› aufgebracht«. Während Elsässer vor allem die Frage aufwirft, ob man »über einen Durchbruch in einer wichtigen Einzelfrage nicht die Eliten stürzen« könne – er meint das Modell von Massendemonstrationen in mobilisierungsstarken Einzelfragen –, setzt Kaiser statt auf putschartige Aktionen auf eine langfristig gedachte Eliten- und Kaderbildung, um politisch mächtig zu werden.

»Grundlegend anderes Deutschland«
Eines ist klar: Die radikale Rechte denkt aktuell auffallend intensiv darüber nach, nicht nur von der Seitenlinie die Politik zu kommentieren. Sie will an die Macht, möglichst ungehindert von anderen Parteien und demokratischen Gepflogenheiten. Und auch das Ziel ist klar: Ein »grundlegend anderes Deutschland, ein anderes Europa«, wie Kaiser dezidiert schreibt.