»Andere kulturelle Spielfelder eröffnen«

Sascha Schmidt Interview mit dem Musikwissenschaftler und RechtsRock-Experten Thorsten Hindrichs
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 203 Juli | August 203

#Musik

Die RechtsRock-Szene war jahrzehntelang eine der bedeutendsten Säulen des Neonazismus in der BRD. Über mögliche Veränderungen und Entwicklungen infolge einer Diversifizierung der Angebote und der pandemiebedingten Einschränkungen in den letzten Jahren sprach Sascha Schmidt mit dem Musikwissenschaftler und RechtsRock-Experten Thorsten Hindrichs.

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Thorsten Hindrichs © Privat

drr: Bis ins Jahr 2019 stieg die Zahl der RechtsRock-Konzerte auf mehr als 300 Veranstaltungen bundesweit an. Mit den Corona-Maßnahmen halbierte sich die Zahl. Großveranstaltungen wie »Rock gegen Überfremdung« in Themar oder das »Schwert und Schild Festival« im sächsischen Ostritz fanden seither nicht mehr statt. Wie viel Anklang finden die Konzerte aktuell?
Thorsten Hindrichs: Die pandemiebedingten Einschränkungen haben auch der extrem rechten Musikszene gehörig ins Kontor geschlagen. 2021 hat fast überhaupt nichts stattgefunden. Die Aktivitäten haben erst im Sommer/Herbst 2022 wieder an Fahrt aufgenommen. Meinen Beobachtungen nach sind Konzerte und Liederabende zuletzt doch wieder recht gut besucht gewesen. Ganz spannend finde ich, dass aktuell die Tendenz eher zur kleinen, nicht aufwendigen Form des Liederabends geht und größere Konzerte, bei denen eine Anlage und eine Location gebraucht werden, bislang im Vergleich zu den Vorjahren eher unterrepräsentiert sind.

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Eine Szenegröße – Thorsten Heise – ist im März diesen Jahres mit einem Konzert in Neumünster gescheitert. Dort löste die Polizei ebenso wie Anfang Juni 2023 im rheinland-pfälzischen Daaden die Veranstaltung auf. Wie erfolgen Bekanntmachung und Kartenverkauf in jüngster Zeit?
Die Bewerbung für Konzerte ist im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie deutlich weniger öffentlich geworden. In den einschlägigen Social-Media-Portalen wie facebook wird nicht viel angekündigt, auch nicht so ganz viel auf Telegram. Dort gibt es allerdings ein paar kleine versteckte Gruppen, wo mal was durchrutscht. Aber die gute Übersicht im Vorhinein, die wir vor 2020 hatten, ist so nicht mehr gegeben. Häufig erfahren wir das erst im Nachhinein, wenn Nazis Nachberichterstattung machen und von einem »schönen Wochenende in Brandenburg« schreiben oder so. Sehr viel Mobilisierung findet über geschlossene Threema-Gruppen statt, in die man auch nicht ohne Weiteres reinkommt. Das macht die Recherchearbeit nicht leichter. Dass die Sicherheitsbehörden in den letzten Wochen und Monaten erstaunlich viele Konzerte unterbunden oder aufgelöst haben, spricht eigentlich dafür, dass sie ihre Informationen von anderswo beziehen. Sie müssen Leute da drin haben, die ihnen Infos durchstecken.

Würdest du sagen, es gibt nach drei Jahrzehnten des zum Teil laxen Umgangs mit RechtsRock seitens der staatlichen Stellen auf Bundes- oder Landesebene nun ein koordinierteres Vorgehen?
Es macht im Moment den Eindruck. In der Tat. Es hat sich in den letzten zwei, drei Jahren offensichtlich bei den Sicherheitsbehörden doch ein gewisses Bewusstsein dafür durchgesetzt, dass eine konzentriertere und länderübergreifende Zusammenarbeit vielleicht nicht die allerschlechteste Idee ist. Das war zuvor ein ganz massives Problem, dass Rheinland-Pfalz beispielsweise gesagt hat: Wir sind für unser Bundesland zuständig und wenn Band xy von dort nach Nordrhein-Westfalen rüberswitcht, ist es deren Angelegenheit. Da hat sich einiges getan. Es scheint sich auch eine überbehördliche Zusammenarbeit anzudeuten: Die rechte Musikszene ist nicht mehr nur allein im Fokus von Kriminalpolizei, Landeskriminalämtern und Verfassungsschutzämtern, sondern auch von Finanzbehörden.

Teile der Szene bemühen sich immer wieder um eine Ausweitung kultureller Angebote und deren Professionalisierung. Im Rahmen einer NPD-Netzwerktagung im Mai 2023 betonten die Anwesenden die Bedeutung dieser beiden Aspekte, um potenzielle Sympathisant*innen auch über die schon involvierten Szene-Kreise hinaus erreichen zu können. Waren solche Bemühungen in den letzten Jahren erfolgreich?
Es geht so. Es gab den einen oder anderen Versuch, wenn ich zum Beispiel an »Schild und Schwert« denke, wo es Rundum-Wohlfühl-Wochenenden für den Nazi von heute gab: mit Musik, Kampfsport und Tattoo-Convention. In dieser Kombination war es aber eher die Ausnahme. Sie haben insgesamt nicht das Angebotsspektrum erweitert. Angebote wie das Kampfsport-Event »Kampf der Nibelungen« werden nur intensiver beworben. Wandern und andere Outdoor-Aktivitäten sind ein relativ neues Ding in der Szene. Aber meiner Beobachtung nach finden solche Angebote eher getrennt voneinander statt.

Siehst du eine Entwicklung, dass solche sportlichen Events attraktiver für junge, sportlich ambitionierte Neonazis sein könnten, als sich auf einem RechtsRock-Konzert volllaufen zu lassen?
Das finde ich schwer zu beantworten. Weil vor der Pandemie schon der Eindruck bestand, dass die RechtsRock-Szene keine Jugendkultur mehr ist, sondern die rechte Musik-Szene überaltert ist. Das verdeutlichen die vielen Online-Fotostrecken von den einschlägigen Konzerten: Das Publikum ist mindestens Ü30 – wenn nicht älter. Aber du hast natürlich recht: Aktuell sieht es so aus, als wären die Jüngeren eher sportaffin, als dass sie sich jetzt für Musik interessieren würden. Spannend ist zu beobachten, wie rechte Akteur*innen versuchen, bestimmte Trends aufzugreifen oder dort anzudocken – wie beispielsweise Comic-Angebote. Wobei ich auch da nicht das Gefühl habe, dass damit ein jugendliches Spektrum angesprochen wird. Aber was die klassische RechtsRock-Szene angeht: Es ist keine Jugendkultur mehr. Das gilt auch für einen zentralen Aspekt: das Business. Das ist ja eines der spannendsten Phänomene in der Corona-Phase gewesen. Es war zu beobachten, wie wichtig Konzertveranstaltungen für die Szene sind, um Gelder zu generieren. Da ist etwas massiv weggebrochen. Ihnen sind über 75 Prozent ihrer Umsätze über die Wupper gegangen. Das Ergebnis war dann, dass sie 2020 angefangen haben, Tonträger und Merchandise wie verrückt auf den Markt zu werfen. Für das Jahr 2020 hat Jan Raabe 236 Veröffentlichungen für Deutschland gezählt (s. drr Nr. 202). Da sind aber viele Reissues dabei. Das war der Versuch, etwas zu kompensieren.

Mit den Reissues wurden dann ja wieder die »alten Klassiker« aufgelegt …
Genau. Ich finde ja am RechtsRock-Musikmarkt interessant, welche Strategien die verfolgen. Dort ist deutlich erkennbar, dass sich die Angebote im Bereich physischer Tonträger sehr deutlich an ein älteres Publikum richten, das auch Kohle hat und sich die als Sondereditionen wieder aufgelegten »Klassiker« kaufen kann. Es gibt viele Veröffentlichungen, bei denen die CD in 25 verschiedenen Variationen mit Gimmicks und special editions mit Holz- oder Stahlbox aufgelegt wird. Und es gibt – wie auch im Mainstream – den Trend zum Vinyl. Das sind aber alles Produkte, die sich ein junger Mensch so ohne Weiteres, auch im Jahr 2023, nicht leisten kann.


Es wäre vielleicht auch die Frage, ob junge Menschen überhaupt noch das große Interesse an diesen »Klassikern« haben. Du hattest ja von Trends gesprochen: Der rechte Rap wurde zum Beispiel medial stark als neuer Trend präsentiert. Ist das denn eine Alternative?
Das ist eine Alternative, die sich auftun kann. Die frühen NS-Rap-Projekte – ab den Jahren 2010/2011 – haben zunächst null gefruchtet. Die waren technisch auch schlecht gemacht – wenn auch jemand wie »MaKss Damage« ein relativ guter Rapper ist. Aber die liefen immer dem Trend, der im Hip-Hop angesagt war, hinterher. Und insofern war das auch nicht für die Jugend attraktiv. Ich tue mich im Moment noch etwas schwer damit, welchen Impact aktuell zum Beispiel jemand wie Kai »Prototyp« Naggert und das Label NDS (»Neuer Deutscher Standard«) haben werden. Deren Künstler*innen-Portfolio ist mit Blick auf technische Fähigkeiten gegenüber dem Mainstream nicht konkurrenzfähig. Aber die Produktionen sind professioneller geworden. Es ist zumindest Potenzial da, um jugendliche Hörer*innen abholen zu können. Was die Rock-Szene angeht, wäre ich noch vorsichtiger, wenn auch die aktuelle Platte der Neonazi-Band »Confident of Victory« (COV) von der Produktion und Machart her mainstreamtauglich ist. In der Szene wird aktuell diskutiert, dass man ein Projekt bräuchte, das eine Mischung aus den musikalischen Fähigkeiten von COV und der Präsentation von der Band »Weimar« braucht. Dass letztgenannte ihre Wurzeln in der extremen Rechten in Thüringen hatte, machte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Anfang des Jahres öffentlich. Zugleich hatte die Band aber einen Vertrag mit dem großen Major-Label Universal.

Wenn der RechtsRock keine Jugendkultur mehr ist und sich dieser Trend fortsetzt: Gibt es in 15, 20 Jahren noch diese klassische RechtsRock-Szene und welche Auswirkungen hätte das für die extrem rechte Szene, wenn diese wegfiele?
Ich tue mich mit Vorhersagen unglaublich schwer. Musik ist für ungefähr 95 Prozent von jungen Menschen laut Umfragen der JIM-Studien nach wie vor essenzieller Bestandteil der lebensweltlichen Alltagsgestaltung. Das ist also kein Alleinstellungsmerkmal von Nazis. Daher muss die extreme Rechte Musik zwingend im Angebot haben, um anschlussfähig im Alltag sein zu können. Allerdings ist das kein ausschließliches Kriterium: Die extreme Rechte wirkt nicht per se besonders cool, nur weil sie auch Musik anbietet. Natürlich findet auf Konzerten Vergemeinschaftung statt, genauso auf virtueller Ebene. Wenn ich mir zu Hause Musik anhöre, fühle ich mich einer Szene zugehörig, auch wenn ich allein bin. Das funktioniert dort wie in allen anderen sozialen Formationen auch.
Aber von den Angeboten wird dann tatsächlich auch abhängen, ob in 15, 20 Jahren eine RechtsRock-Szene funktioniert und welche kulturellen Praktiken junge Menschen dann ansprechen. Vielleicht sind es ja tatsächlich weniger die Musik und doch mehr Sport und andere Aktivitäten. Wenn aber dann die klassische RechtsRock-Szene mehr oder weniger tot sein sollte, bedeutet dies für die extreme Rechte natürlich massive Umsatzeinbußen, bei denen sie schauen muss, wie sie diese vermeiden können – zum Beispiel, indem sie andere kulturelle Spielfelder eröffnen.

Vielen Dank für das Gespräch!