Den Dammbruch in Kauf genommen

von Kati Lang
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 199 - November | Dezember 2022

#Richter

Zu Recht wurde vor einem Dammbruch gewarnt, der mit der Rückkehr extrem rechter Richter*innen in den Justizdienst einhergehen würde. Die erhofften Selbstreinigungskräfte der Justiz haben (bisher) versagt, mit den vorhandenen Instrumenten des Rechts wird schwieriges juristisches Neuland betreten.

Antifa Magazin der rechte rand
Jens Maier beim AfD-Aufmarsch am 8. Oktober 2022 in Berlin. © Presseservice Rathenow

Die sächsische Justiz und die Berliner Senatsverwaltung wussten, dass mit dem Ausscheiden der AfD-Abgeordneten Jens Maier und Birgit Malsack-Winkemann aus dem Deutschen Bundestag im September 2021 ein Problem auf sie zukommt. Beide Abgeordnete konnten nun binnen drei Monaten ihre Rückkehr in den Staatsdienst als Richter*innen beantragen. Anstatt aber eine juristische Prüfung und politische Debatte um die Problematik in Gang zu setzen, ignorierten das von den Grünen geführte sächsische Justizministerium sowie die linke Berliner Justizsenatorin zunächst das Problem. In Sachsen wurde dann mit fadenscheinigen Argumenten der Versuch unternommen, die eigene Verantwortung vom Tisch zu wischen, um schlussendlich unter öffentlichem Druck doch aktiv zu werden. Auch der Berliner Justizsenat unternahm schlussendlich den Versuch, die Richterin vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen.

Juristisch gibt es zwei Wege, um extrem rechte Richter*innen aus dem Staatsdienst auszuschließen: die sogenannte Richteranklage unter Federführung des Parlaments und das disziplinar- beziehungsweise dienstrechtliche Verfahren unter Hoheit des*der Dienstherr*in – bei den im Raum stehenden Vorwürfen meist des Justizministeriums. Die verschiedenen Verfahren sind auch parallel möglich.

Versagen der Politik – keine Richteranklage in Sachsen
Die Richteranklage basiert auf Artikel 98 Absatz 2 Grundgesetz und gilt für Bundesrichter*innen. Den Ländern ist es freigestellt, in ihren Verfassungen entsprechende Instrumente zu verankern. Sachsen hat in Artikel 80 der sächsischen Verfassung davon Gebrauch gemacht. Berlin gehört zu den bisher wenigen Bundesländern, in denen die Richteranklage nicht existiert. Sie soll nun mit den Stimmen der demokratischen Parteien im Berliner Senat in die Landesverfassung aufgenommen werden. Mit der Richteranklage können Richter*innen mit Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Ruhestand versetzt werden, wenn sie »gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes« verstoßen haben. In der Praxis ist dies bisher weder auf Bundes- noch auf Länderebene angewandt worden.

Zuständig ist zunächst das Parlament, das mit einer Zweidrittelmehrheit die Erhebung der Richteranklage beim Bundesverfassungsgericht beschließen muss. Zwar verfügen die demokratischen Parteien (CDU, SPD, B´90/Die Grünen, Die Linke) im sächsischen Parlament gemeinsam über das entsprechende Quorum, aber insbesondere die CDU versucht sich des Problems mit Verweis auf das dienstrechtliche Verfahren zu entledigen. Dabei kommt ein, wenn auch erst spät durch die Landtagsfraktion von Bündnis´90/Die Grünen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu dem eindeutigen Schluss, dass eine Richteranklage gegen Jens Maier wohl erfolgversprechend wäre. Dass das ohnehin fragile schwarz-rot-grüne Regierungsbündnis offensichtlich keine Einigung zur Richteranklage erzielen kann, zeigt die Schwäche im Umgang mit der extremen Rechten. Selbstverständlich ist keineswegs sicher, dass ein Verfahren, für das es kein praktisches Vorbild gibt, erfolgreich sein wird. Den Versuch aber gar nicht zu unternehmen, demonstriert politische Tatenlosigkeit und signalisiert der extremen Rechten, dass ihr Verhalten auch im Staatsdienst nicht sanktioniert wird.

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Dienstrichterliches Verfahren: zu spät, zu zaghaft
Rechtsprofessoren wie Andreas Fischer-Lescano und Klaus Ferdinand Gärditz hätten es im Fall von Jens Maier für durchaus vertretbar gehalten, den Rückkehrantrag nach § 6 Abgeordnetengesetz von vornherein abzulehnen. Beide betonten, dass es sich zwar um rechtliches Neuland handele, aber dieser Schritt juristisch denkbar gewesen wäre. Auf diese Weise hätte Jens Maier gar nicht erst seinen Richterstatus wiedererlangt und damit wohl auch seine Bezüge verloren. Sachsens grüne Justizministerin Katja Meier lehnte diese Handlungsmöglichkeit jedoch kategorisch ab – offensichtlich allein gestützt auf einen dünnen rechtlichen Vermerk ihres Hauses. So wurde dem Rückkehrantrag Maiers entsprochen. Und das Justizministerium vertrat nicht nur die Position, man könne dessen Rückkehr nicht ablehnen, sondern sah auch überhaupt keine disziplinarische Handhabe vor seiner Rückkehr. Noch Anfang Februar 2022 betonte die sichtlich unter Druck geratene sächsische Justizministerin gegenüber der Sächsischen Zeitung, dass ihr die Hände gebunden seien. Unverständnis und Kritik schlugen ihr dazu sowohl aus der Zivilgesellschaft als auch aus der Rechtswissenschaft entgegen.

Schlussendlich gelang der Ministerin eine gesichtswahrende Lösung: Mit Verweis auf den öffentlichen Protest in der Causa Maier teilte das Justizministerium am 12. Februar 2022 mit, dass Jens Maier ab 14. März 2022 zwar wieder in den Dienst zurückkehren werde, man jedoch gleichzeitig beim Richterdienstgericht Antrag auf Versetzung in den Ruhestand und die vorläufige Untersagung der Führung der Amtsgeschäfte gestellt habe. Dieser Schritt sei erfolgt, da sich durch die Debatte eine »gravierende Erschütterung des Vertrauens in die sächsische Justiz« manifestiert habe. Dies sei »nicht zuletzt durch die öffentliche Diskussion der letzten Wochen und die Äußerungen von Institutionen wie dem Zentralrat der Juden oder dem Internationalen Auschwitz Komitee belegt«. Dass im Umkehrschluss die sächsische Justiz und Politik ohne öffentlichen Druck einen extrem rechten Richter in Sachsen in Kauf genommen hätten, wirft erneut ein fatales Licht auf Ministerium und Justiz.

Am 14. März 2022 trat Jens Maier ungeachtet dessen seinen Dienst am Amtsgericht Dippoldiswalde an. Das zuständige Richterdienstgericht hatte sich offenbar nicht in der Lage gesehen, innerhalb von vier Wochen über den Antrag auf vorläufige Untersagung der Führung der Amtsgeschäfte zu entscheiden. Zehn Tage später entschied es dann schließlich, Jens Maier die Amtsausübung vorläufig zu untersagen. Das Gericht begründete seine Entscheidung unter anderem mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, dass Maier öffentlich als »Rechtsextremist« wahrgenommen werde, woraus eine schwere Beeinträchtigung für die Rechtspflege folgen könne. Das Dienstgericht stellte zudem fest, dass dessen Äußerungen im Bundestagswahlkampf 2017 nahelegen, dass dieser sein Amt als »AfD-Richter« führen würde und damit nicht mehr dem gesetzlichen Leitbild eines unabhängigen und objektiven Richters entspräche. Seither ist Jens Maier vom Dienst freigestellt, jedoch inklusive der ihm zustehenden Bezüge. Die ursprünglich für den 22. September 2022 geplante mündliche Verhandlung zur Frage der Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wurde auf Antrag von Maiers Anwalt Jochen Lober verschoben und ist nunmehr für den 1. Dezember 2022 geplant. Sollte der Antrag des Justizministeriums Erfolg haben, wird Jens Maier unter Wahrung seiner Bezüge vorzeitig in den Ruhestand versetzt.

Ob und gegebenenfalls welche Äußerungen Maiers während seiner Abgeordnetenzeit vor Gericht verwertet werden dürfen, bleibt indes rechtlich spannend. Das Berliner Richterdienstgericht hatte am 13. Oktober 2022 entschieden, dass die vormalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann nicht in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden dürfe, da ihre im Bundestag getätigten Äußerungen nicht verwertbar seien. Andere Äußerungen, auch während der Zeit als Abgeordnete, also beispielsweise bei Social Media oder Veranstaltungen, hielt es hingegen für verwertbar. Waren solche aber bei Malsack-Winkemann nicht Gegenstand des Verfahrens, liegt hier ein eklatanter Unterschied zum Fall Maier. Der war nicht nur im Parlament, sondern auch außerhalb immer wieder durch extrem rechte Äußerungen aufgefallen und hatte sich zum »Flügel« bekannt.

Schwache Selbstreinigungskräfte der Justiz
Jens Maier ist letztlich kein neues Problem für die sächsische Justiz. Der AfD-Richter war bereits vor seinem Einzug in den Bundestag mit einer rechtslastigen Entscheidung aufgefallen. So hatte er im Jahr 2016 als Richter am Landgericht Dresden auf Eilantrag der NPD dem Politikwissenschaftler Steffen Kailitz die Äußerung untersagen lassen, dass die neonazistische Partei rassistisch motivierte Staatsverbrechen plane und bis zu elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben wolle, darunter viele Staatsbürger*innen mit Migrationsgeschichte. Als AfD-Politiker äußerte er sich, obwohl noch im Staatsdienst tätig, mehrfach zutiefst rassistisch. Zwar eröffnete das Landgericht Dresden aufgrund dessen ein Disziplinarverfahren gegen Maier, beließ es damals aber bei einem Verweis. Es bleibt abzuwarten, wie das parallel zum Verfahren am Richterdienstgericht eingeleitete disziplinarrechtliche Verfahren beim Landgericht Dresden für Jens Maier diesmal ausgeht. Nur mit diesem könnte das Justizministerium wohl dafür sorgen, dass auch das Ruhegehalt entzogen wird.

Auffällig in der ganzen Debatte ist, dass bis auf die Ausnahme der Neuen Richtervereinigung aus der Justiz keine kritischen Stimmen zu hören sind. Dieses Wegducken und Ignorieren durch die Richter*innenschaft lässt befürchten, dass in der (sächsischen) Justiz nur schwache Selbstreinigungskräfte vorhanden sind. Es ist aber die Notwendigkeit – und im Übrigen rechtlich meist unkompliziert möglich – Richter*innen oder Staatsanwält*innen, die mit rassistischen, homo- oder transphoben, antisemitischen oder sozialdarwinistischen Einstellungen beziehungsweise Äußerungen auffallen, in der Justiz selbst zu reglementieren. Sei es, dass diese nicht mehr als Einzelrichter*innen entscheiden können, sei es, dass Disziplinarverfahren angestoßen werden oder sei es, dass in ihre Zuständigkeit keine hochsensiblen Bereiche wie das Asylrecht fallen. Dafür müsste aber die Richter*innenschaft ein Problembewusstsein entwickeln und Verantwortung übernehmen.

Kati Lang ist Rechtsanwältin und Mitherausgeberin des jährlichen Reports »Recht gegen rechts«.