»… contra 1789«

von Ernst Kovahl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#Kirche

Im reaktionären Erfurter »St. Georgs-Orden« kommen evangelische Kirchenfunktionäre, Politik und »Neue Rechte« zusammen. Der Gegner: die Ideale der Französischen Revolution von 1798.

 

 

»Auf dem Weg zum Gottesdienst durfte nicht gesprochen werden. Wir standen (…) schweigend im fahlen Licht, das flackernde Kerzen über Kirchenbänke und Wände warfen. Dann setzten die feierlichen Klänge von Mozarts ‹Ave verum corpus› ein, und Ordensbrüder im schwarzen Ornat schritten an uns vorbei zum Chor, wo sie betend niederknieten. Kaum zu glauben, schoß es mir durch den Kopf, als ich das silberne Ordensschwert im Kerzenschein blitzen sah, daß ich mich hier in einem protestantischen Gotteshaus mitten in Thüringen befinde, als Gast einer evangelischen Bruderschaft!« Heimo Schwilk, der Autor neu-rechter Werke der frühen 1990er Jahre, war offenbar beeindruckt, als er 2005 in der Zeitung Welt am Sonntag über eine Veranstaltung der »Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden« berichtete, die ansonsten eher im Stillen wirkt.

2018 erhielt der Orden – seine Mitglieder ausschließlich Männer – verstärkt Aufmerksamkeit in der bundesweiten Presse. Denn ihr führendes Mitglied Ulrich Schacht – in den 1990er Jahren Autor wichtiger Werke der »Neuen Rechten« – war im September des Jahres verstorben. Die Feuilletons widmeten ihm Nachrufe, da seine Werke auch in seriösen Verlagen, zum Beispiel im Berliner »Aufbau Verlag« oder bei »Matthes & Seitz«, erschienen. Der Literaturbetrieb überhäufte ihn zu Lebzeiten mit Preisen für seine kulturpessimistische Lyrik.

Die »Süddeutsche Zeitung« schrieb in ihrem Nachruf, er sei einst gegen die »Weltverfallenheit« der heutigen Kirche als »Bruder Wismar« in den konservativen »St. Georgs-Orden« »geflüchtet«. Der agiert meist hinter dicken Klostermauern in Erfurt, dort, wo einst Martin Luther tätig war, und druckt seine theologischen und politischen Texte in Büchern religiöser Verlage. In den Institutionen der Evangelischen Kirche Ostdeutschlands hat sich zwischen Kirche, CDU-dominierten Verwaltungen und konservativer Politik ein reaktionäres Netzwerk entwickelt. Dieses stützt sich – abseits der Blicke der Bundespolitik oder kritischer Presse – auf konservative und rechte DDR –Oppositionelle und ist mit dem Argument der erlittenen Verfolgung in der DDR vor öffentlicher Kritik geschützt.

Neu-rechter Star-Autor

1987 war der inhaftierte Oppositionelle Schacht, der in der DDR Theologie studierte, von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft worden und fand im Westen schnell Anschluss an konservative Kreise. Er schrieb unter anderem für die Zeitungen Welt und Welt am Sonntag – und später für die neu-rechte »Junge Freiheit« (JF). In der neuen Heimat habe er einen »Zweifrontenkrieg« geführt, schreibt die Süddeutsche Zeitung: Gegen die DDR und gegen »das sich als ‚linksliberal‘ verstehende Milieu der alten Bundesrepublik«. Diesen Kampf führte er auch in der vom ihm und anderen Personen ostdeutscher Kirchenkreise 1987 gegründeten »Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden«, deren Arbeit er als Leiter (»Großkomtur«) entscheidend prägte. Die Organisation hat heute ihren Sitz im Augustinerkloster in Erfurt, das zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) gehört. Dort veranstaltet er Tagungen und publiziert die Vorträge in einer Buchreihe. 2014 erkannte die EKM den Orden mit damals etwa 20 Mitgliedern als »Kommunität« als offiziellen Teil der Kirche an.

Zum Orden gehört der einst in Hagenow und heute in Erfurt registrierte Verein »Bonhoeffer-Haus e.V.«, dessen stellvertretender Vorsitzender der frühere Star-Autor der »Neuen Rechten« Schacht bis zu seinem Tod war. In Schachts Todesanzeige von 2018, die in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« veröffentlicht wurde, fand sich ein Who-is-Who der deutschen Rechten, was seine anhaltende Bedeutung für dieses Spektrum klar macht. Unter den Unterzeichner*innen waren beispielsweise Michael Klonovsky, Dieter Stein, Günter Zehm, Matthias Mattusek, Heimo Schwilk, Siegmar Faust und Vera Lengsfeld. Auch die Blätter der deutschen Rechten würdigten Schacht als einen der ihren und betonten seine Leistungen für das Spektrum der reaktionären und »Neuen Rechten« – von »Cato« und »Tumult« über die JF bis hin zur »Preußischen Allgemeinen Zeitung«. Schacht hatte im ersten Aufschwung der »Neuen Rechten« in den 1990er Jahren gemeinsam mit Schwilk zwei Standardwerke der Szene herausgegeben: 1994 den Sammelband »Die selbstbewußte Nation« und 1997 dann »Für eine Berliner Republik. Streitschriften, Reden und Essays nach 1989«. Als Kandidat für den »Bund freier Bürger« unterstützte er parteipolitische Versuche, eine Rechtspartei zu etablieren.

Nähe zur radikalen Rechten

In der radikalen Rechten wird die Arbeit des Ordens mit Interesse verfolgt. So berichtete die neu-rechte Online-Publikation »Blaue Narzisse« 2009 über den damaligen Konvent des Ordens und die Wochenzeitung »Junge Freiheit« veröffentlichte im November 2012 anlässlich des 25. Gründungsjubiläums ein ausführliches Porträt und lobte das Ziel des Ordens, das Christentum in der säkularen Gesellschaft und gegenüber einer als links oder linksliberal verstandenen Kirche »entschieden und streitbar« zu leben. Man wollte als »geistig-geistliche Gemeinschaft ritterlicher Tradition« an widerständige Traditionen in der DDR und des »Deutschen Ordens« anknüpfen. Die »Bruderschaft« wolle »missionarisch im intellektuellen Diskurs wirken«, teilte die EKM 2014 nach der Anerkennung der Struktur mit. Die Kirche hoffte, dass sich der Orden »in das Leben unserer Kirche einbringen und es bereichern« werde.

2005 widmete sich das Symposium des Ordens dem rechtsradikalen Philosophen Günter Zehm, der als Dauerkolumnist für die JF schrieb und auch selbst bei der Veranstaltung unter dem Dach der Evangelischen Kirche in Thüringen referierte. Und im Oktober 2020 trat in der Vortragsreihe »Bonhoeffer-Studienkreis« des Ordens Harald Seubert auf, ehemaliger Präsident des rechten »Studienzentrum Weikersheim« und Autor neu-rechter Publikationen. Moderiert wurde die anschließende Diskussion vom Mitglied und »Spiritual« des Ordens Christian Dietrich, Unterzeichner des 2016 von der JF initiieren »Appell für die Pressefreiheit« und bis 2018 Stasi-Beauftragte Thüringens. Weitere Mitglieder der Bruderschaft sind unter anderem der »Ordenskanzler« Axel Große, der – so berichtete die JF – aufgrund »der vornehmlich linken Einstellung« in einer Studentengemeinde mit dem Glauben gebrochen und schließlich über den Orden wieder zurückgefunden habe. Insgesamt lässt sich eine große Nähe zu der neu-rechten Wochenzeitung unter den Mitgliedern feststellen. So unterschrieb auch der »Erste Landkomtur« des Ordens, Jürgen K. Hultenreich, den »Appell für die Pressefreiheit« für die JF, ebenso wie das frühere Vorstandsmitglied des Orden-Trägervereins Dirk Jungnickel. Und das verstorbene Mitglied Werner Pfeiffer war lange Jahre Autor der Zeitung.

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Gegen die Französische Revolution

Das Ordens-Mitglied Peter Voß erzählte 2013 der Welt am Sonntag, es gehe der Bruderschaft um das »aristokratische Prinzip« und um die Schaffung einer neuen »Aristokratie des Geistes« in einer Gesellschaft von »geistlichen und geistigen Verwüstungen, die der gottfeindliche Kommunismus und der gottvergessene Kapitalismus angerichtet haben und anrichten« – klassisch reaktionäres Denken also.

2009 berichtete die JF ausführlich über den 36. Ordens-Konvent »Geist und Revolution. Geschichtstheologische Fragen an die gesellschaftlichen Umbrüche von 1789 und 1989«. Dort stellte Schacht die »Deutsche Revolution« von 1989 in den »erklärten Gegensatz zur ‹Französischen Revolution› von 1789« und als deren »monströse Fortsetzung« die russische Revolution von 1917 dar. Während es 1798 um den »neuen Menschen« als »herstellbares Produkt menschlicher Vernunft« gegangen sei, habe man sich 1989 »unter dem Kreuz Christi« gesammelt. Auch der neu-rechte Philosoph Seubert kritisierte einen »antichristlichen Charakter der Französischen Revolution«, wie die JF schrieb. Die Beiträge der Tagung wurden in einem Sammelband »1989 contra 1789« zusammengefasst. Im Vorwort ziehen Schacht und Seidel eine scheinbar direkte Linie von der französischen Revolution über die russische Revolution zum NS-Volksgerichtshof und präsentieren den Mauerfall von 1989 als »friedliche Revolution« gegen die »blutige von 1789«. Freiheit, Gleichheit und Solidarität – also die Ziele der französischen Revolution – werden ganz im Geiste der reaktionären Haltung in ihr Gegenteil umgedeutet. Schacht und Seubert untermauerten mit ihren Beiträgen das offenbare Ziel des Ordens: Die Wiedererrichtung einer ewigen, göttlichen Ordnung durch die Überwindung von 1789.

Einfluss

Zu den Veranstaltungen werden regelmäßig auch prominente Personen eingeladen. So referierten beispielsweise zum 25. Ordensjubiläum der Rektor der Universität Jena Klaus Dicke und 2016 der frühere Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio. Den politischen und gesellschaftlichen Einfluss des Ordens kennzeichnet aber auch die Person von Thomas A. Seidel, der seit Jahren an der Seite von Schacht die Organisation führte. Seit 2019 ist er nun Leiter (»Großkomtur«) der Bruderschaft. Der Oberkirchenrat ist eine einflussreiche Person in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands. Der frühere Beauftragte der Kirche beim Thüringer Landtag und der Landesregierung war 2017/2018 Beauftragter der Landesregierung zur Vorbereitung des prestigeträchtigen Reformationsjubiläums Luther 2017.

Bisher störte sich niemand an der Tätigkeit des Ordens unter dem Dach der Kirche oder an der Person Seidel, der an der Seite des profilierten »Neu-Rechten« und Reaktionärs Schacht tätig war. Aus der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands hört man keine Kritik, der Orden ist bis heute offizieller Teil der Kirche. Geld für die Arbeit der Bruderschaft kam in der Vergangenheit unter anderem von der Sparkasse Mittelthüringen, der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, vom Landeskirchenrat der EKM oder dem Freistaat Thüringen. Dabei hielt Schacht mit seinen Positionen nie hinterm Berg – sei es durch seine Veranstaltungen, seine Texte oder indem er 2018 die »Gemeinsame Erklärung« gegen »illegale Masseneinwanderung« unterschrieb.