Mythos »Clan-Kriminalität«

von Marianne Esders
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 205 - November | Dezember 2023

Das rechte Narrativ der »Clan-Kriminalität« ist rassistische Stimmungsmache auf dem Rücken Unschuldiger. Nicht nur die AfD und die radikale Rechte nutzen das Thema, um Stimmen am rechten Rand zu gewinnen.

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Wahlkampf der CDU zur Niedersachsenwahl
© Mark Mühlhaus / attenzione

»Staat und Behörden werden der Clan-Kriminalität nicht mehr Herr«, überschrieb die rechtsradikale Zeitschrift »Zuerst!« jüngst reißerisch einen Artikel über Kriminalität in Deutschland. Die Polizei könne angeblich nichts mehr gegen die »verfestigten Parallelwelten« tun. Und das Rechtsaußen-Magazin »Compact« sprang bereits vor Jahren groß auf das Thema auf: «Gangster in Uniform. Wie Clans unsere Polizei unterwandern«, so titelte das Blatt 2017. Auch für die AfD ist der Mythos »Clan-Kriminalität« ein gefundenes Fressen. Seit Jahren bringt sie immer wieder Anträge zu diesem Thema in die Parlamente ein oder stellt Anfragen an die Regierungen. So forderte zum Beispiel die AfD-Bundestagsfraktion im Juni 2019, im März 2021 und im Mai 2022 konsequentes Vorgehen gegen sogenannte »Clan-Familien«, die ähnlich wie Mafia-Familien in Italien den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden würden. Sie beantragte die Anfertigung eines Bundeslagebildes zur Bekämpfung der »Clan-Kriminalität« durch ethisch abgeschottete, verwandtschaftlich geprägte Subkulturen, die sich zu einem unkontrollierbaren Staat im Staat entwickelt hätten und mit ihrer eigenen Werteordnung und Ablehnung des Rechtsstaates anhaltend Leib, Leben und Eigentum der Bürger gefährden würden. Und auch in den Ländern wird das Thema immer wieder durch die rechtsradikale Partei aufgegriffen: Die AfD-Landtagsfraktion in Niedersachsen forderte beispielsweise im März 2023 ein behördenübergreifendes Lagezentrum zur Bekämpfung der sogenannten Clan-Kriminalität und die Prüfung von Polizeianwärter*innen auf etwaige Bezüge zu Clan-Strukturen.

Mythos ohne Grundlage
Der Mythos der »Clan-Kriminalität« ist ein gefährliches, rechtes Narrativ, das seit Jahren durch Medienberichte und die Aufmerksamkeit der Politik für reißerische Stimmungsmache gegen Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte inszeniert und mit einem statistisch fragwürdigen Lagebild verfestigt wird. Die Ethnisierung von Kriminalität und die damit einhergehende Stigmatisierung von Menschen anhand ihrer Herkunft oder ihres Familiennamens hält sich hartnäckig und wird von Polizei und Politik instrumentalisiert, obgleich sie jedweder empirischen Grundlage entbehrt. Wird sogenannte Clan-Kriminalität zwar offiziell der Organisierten Kriminalität zugeordnet, umfasst sie ein breitgefächertes Sammelsurium an Bagatellverstößen, wie niedrigschwellige Verkehrsdelikte, Parkverstöße, Beleidigungen oder Körperverletzungen. Sie fließen in die Statistik mit ein und bauschen sie künstlich auf, obwohl diese Delikte weit unterhalb des allgemeinen Verständnisses organisierter Kriminalität liegen. Und selbst diese Bagatelldelikte eingerechnet, macht der Anteil registrierter »Clan-Kriminalität« im Bereich der Organisierten Kriminalität nur einen Bruchteil der Fälle und Taten aus. Diese fragwürdige statistische Erfassung ist Grundlage für die in einigen Bundesländern angewandte »Taktik der tausend Nadelstiche«, die in der öffentlichen Wahrnehmung eine Bedrohungslage inszeniert, die nicht der Realität entspricht. Denn diese Taktik orientiert sich nicht an Taten, sondern an vermeintlichen Täter*innen. Soweit möglich, sollen kleinste Vergehen mit Strafen belegt werden, um – so die Logik – Strukturen offenzulegen und Personen zu zermürben. Nach dem Motto »Wer sucht, der findet« werden Menschen allein aufgrund polizeilicher Einschätzungen und Erfahrungswerte unter Verdacht gestellt und in einem ans Absurde grenzenden Maße immer wieder polizeilich behelligt. So berichtete das Nachrichtenmagazin »Monitor« in der Sendung »Clan-Kriminalität: Unschuldige im Visier« im März 2023 von einem Kioskbesitzer, der in den letzten Jahren mehr als 100 mal von schwerbewaffneten Polizeibeamt*innen kontrolliert worden war.

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Stigmatisierung
Solche Razzien laufen nicht zimperlich ab: Die Kontrollierten werden eingeschüchtert, teils an die Wand gestellt und oft für Stunden festgesetzt. Nicht selten tragen die Polizeibeamt*innen Vollmontur oder Sturmhauben. Begleitet werden sie von Mitarbeiter*innen von Zoll, Ordnungs-, Gesundheits-, und Finanzämtern. Wer derartige Razzien schon einmal beobachtet hat, wird zu dem Schluss kommen, dass die Vorgehensweise ganz klar auch auf Abschreckung nach außen zielt. Betroffene Geschäftsinhaber*innen berichten von ausbleibender Kundschaft, fühlen sich misshandelt, diskriminiert und ohnmächtig. Oft findet sich anschließend eine reißerische Berichterstattung in den lokalen Medien, die in der Umgebung den Verdacht erhärtet, es würde zu Recht gegen verdeckte Kriminalität, wie Drogenhandel und Geldwäsche, durchgegriffen. Und das, obwohl die Razzien zumeist bis auf Bagatellen ergebnislos bleiben, was aber nicht berichtet wird oder bei Menschen mit einem vorurteilsbehafteten Bild kaum auf Interesse stößt.

CDU, FDP, SPD, …
Nicht nur von der AfD, sondern auch von demokratischen Parteien werden die Lageberichte der Länder und der sich festigende Mythos Clan-Kriminalität instrumentalisiert. Da mit einer gesteigerten Zahl an Einsätzen auch die Zahl der registrierten Verstöße zunimmt, werden die so gestiegenen Zahlen als polizeilicher Erfolg deklariert und von den Innenministerien öffentlichkeitswirksam verkauft, womit sich Zuspruch für noch mehr Einsätze und härteres Durchgreifen generieren lässt. Rechtspopulistische Stimmungsmache mit dem Thema wird nun auch verstärkt von Parteien »der Mitte« betrieben. Das Präsidium der FDP legte am 16. Januar 2023 einen Beschluss ­»[f]ür einen starken und effektiven Rechtsstaat gegen Clan-Kriminalität« vor. Und im Hessen-Wahlkampf verkündete Innenministerin Nancy Faeser (SPD), sie wolle Mitglieder vermeintlicher »Clans« abschieben, auch wenn diese nicht straffällig geworden seien. Das Narrativ der »Clan-Kriminalität« passt nur zu gut zu Faesers politischem Kurs der Ausgrenzung und Asylrechtsverschärfungen, den sie auf Bundes- und EU-Ebene im Rahmen der GEAS-Vereinbarungen durchsetzte. Ein gutes Wahlergebnis hat Faeser damit in Hessen dennoch nicht erzielt. Selbst der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU), stellte jüngst fest, rechtspopulistisches »Wahlkampf-Getöse« mit unhaltbaren Versprechen spiele allein der AfD in die Hände.

Doch auch die CDU nutzt das Narrativ der »Clan-Kriminalität« für politische Zwecke und brachte am 26. September 2023 im Bundestag unter Federführung von Friedrich Merz, der sich in Talk-Shows und den sozialen Medien verstärkt mit hetzerischen Äußerungen in Szene setzt, einen Antrag für einen Kurswechsel in der Migrationspolitik und »Null Toleranz bei Clan-Kriminalität« ein. Die AfD warf der Union sogleich vor, sie hätte deren Forderungen kopiert. Ähnlich der AfD behauptete die CDU/CSU in ihrem Antrag, Menschen, die der »Clan-Kriminalität« zuzuordnen seien, missachteten generell elementare Prinzipien des Rechtsstaates und lehnten die Rechts- und Werteordnung grundsätzlich ab. Die Union räumte zwar ein, dass viele dieser Personen die deutsche Staatsangehörigkeit hätten. Jenen »Clan-Kriminellen« mit doppelter Staatsangehörigkeit wolle sie aber die deutsche Staatsangehörigkeit möglichst aberkennen und sie abschieben. Geflüchteten Personen, die sich im Asylverfahren befänden oder bereits anerkannt seien und mit dieser Form der Kriminalität in Zusammenhang gebracht würden, solle der Asylantrag negativ beschieden oder der Schutzstatus aufgehoben werden. Zudem legte die CDU in dem Antrag ihre Vorurteile schonungslos offen, ohne ihren Behauptungen eine Statistik oder wissenschaftliche Studien zugrunde legen zu können. Basierend auf diesen Behauptungen plädierte sie für einen erweiterten Rechtsrahmen, der nicht nur die Entziehung von Vermögen und Besitz, sondern auch der elterlichen Sorge ermöglichen soll. Zudem forderte sie die Bundesregierung zur Beschaffung der »Verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform (VeRA)« auf. Das Programm des umstrittenen US-Herstellers Palantir soll durch die Verknüpfung von Informationen aus unterschiedlichen Datenbanken Ermittlungen erleichtern.

Anpassung an rechte Debatten
Während die Parteien Die Linke und Bündnis 90 / Die Grünen weiterhin ein Ende stigmatisierender Lagebilder und rechtspopulistischer Stimmungsmache fordern, haben die Parteien der »Mitte« sich offenbar beim Thema »Clan-Kriminalität« für Anpassung entschieden. Der von CDU/CSU, FDP und SPD geführte Diskurs lässt den Schluss zu, dass sie die Existenz des Phänomens als Teil der Organisierten Kriminalität als gegeben hingenommen haben, ohne die zweifelhafte empirische Grundlage zu hinterfragen. Durch Anträge, Maßnahmenkataloge, Debatten und Konferenzen wie den »Internationalen Kongress zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität« Ende Oktober 2023 im Düsseldorfer Innenministerium wird die Diskursverschiebung nach rechts aktiv betrieben. Mit der daraus resultierenden Normalisierung des Diskurses zur »Clan-Kriminalität« und der unkritischen Übernahme des Narrativs in den Medien müssen Brandmauern nach rechts nicht mehr eingerissen werden. Rechte Debatten werden unverhohlen vom rechten Rand in die Mitte der Gesellschaft verlagert. Mehr Wähler*innenstimmen bringt es den Mitte-Parteien allerdings offenbar nicht. Umfragewerte zeigen eine Zunahme rechter Einstellungen und eine gestiegene Bereitschaft zur Wahl rechter Parteien.