Revisionistische Rentner*innen

von Felix Krebs
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#Scharnier

Die »Staats-und Wirtschaftspolitische Gesellschaft« wird 60 Jahre alt.

 

Am 4. März 2005 fand in Kiel eine Saalveranstaltung der »Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft« (SWG) mit Karlheinz Weißmann statt.
© Mark Mühlhaus / attenzione

 

Die »Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e.V.« (SWG) feiert in diesem Jahr ihr 60-jähriges Bestehen und ist damit eine der ältesten Institutionen der extremen Rechten. Ihre Mitglieder sind zumeist schon im betagten Alter und momentan ruht die Veranstaltungstätigkeit weitestgehend aufgrund der Pandemie. Ob diese Bildungsgesellschaft zukünftig noch eine Bedeutung spielt, wird sich zeigen. Skandalös ist nicht nur ihre Existenz, sondern auch das Agieren der Hamburger Behörden: Die SWG ist als gemeinnützig anerkannt und der Inlandsgeheimdienst will keine öffentliche Auskunft geben, ob bei der Gesellschaft extrem rechte Funktionär*innen und Referent*innen tätig sind.

Gründung durch Altnazis

Die SWG wurde ursprünglich zur außerparlamentarischen Unterstützung des rechten »Stahlhelmflügels« der Unionsparteien gegründet. Die erste Generation rekrutierte sich zu einem guten Teil aus Funktionär*innen des NS-Staates. So waren der langjährige erste Vorsitzende, Hugo Wellems, Referent im Propaganda-Ministerium von Joseph Goebbels und der erste Kassenwart, Albert Derichsweiler, vor 1945 Bundesführer des NS-Studentenbundes und SS-Obersturmführer. Weitere SWG-Funktionär*innen der 1960er bis 1990er Jahre hatten einen NS-Vorlauf und gehörten nach 1945 meist der Union, der FDP oder den damals noch bedeutenden Organisationen der Vertriebenen an. Heute ist die Organisation eng verbandelt mit der rechtskonservativen, wöchentlich herausgegebenen »Preußischen Allgemeinen Zeitung« (PAZ), dem ehemaligen »Ostpreußenblatt«. 1972 unterstützte die SWG laut dem Magazin Der Spiegel Kampagnen gegen Willy Brandt und seine Ostpolitik mittels Millionen aus der Wirtschaft. Auch sprachen damals noch (Bundes-)Minister und viele hochrangige, ehemalige Diplomaten und Militärs, ebenfalls teils mit NS-Vergangenheit, bei der SWG. Wie zum Beispiel Adolf Heusinger, Mitglied im Generalstab der Wehrmacht, beteiligt am Überfall auf die Sowjetunion und der sogenannten Bandenbekämpfung, nach 1945 Generalinspekteur der Bundeswehr. Oder auch Vizeadmiral der Wehrmacht Hellmuth Heye, beteiligt an medizinischen Versuchen im KZ Sachsenhausen, nach 1945 CDU-Mitglied und später Wehrbeauftragter der Bundeswehr.

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Und heute?

Diese Zeiten sind jedoch lange vorbei und die SWG hat nur noch im norddeutschen Raum, speziell in Hamburg, einige Bedeutung. Vor der Pandemie konnte sie zu Vorträgen noch mehrere Dutzend, zu den jährlichen Seminartagen auch wenige hundert Anhänger*innen mobilisieren. Eine eigene Publikation erschien ursprünglich wöchentlich, später monatlich, inzwischen kommt das »Deutschland-Journal« nur noch jährlich heraus. Hier werden meist gehaltene Vorträge abgedruckt und zusätzlich unterhält die SWG seit wenigen Jahren auch eine Homepage und eine Facebookseite. Dort wird allerdings meist auf Fremdbeiträge der Wochenzeitungen »Junge Freiheit«, PAZ, der österreichischen »ZurZeit« sowie der »Burschenschaftlichen Blätter« und anderer rechtskonservativer bis extrem rechter Publikationen zurückgegriffen. Für ihre Vortragsveranstaltungen musste die SWG in den letzten Jahrzehnten aufgrund von antifaschistischen Kampagnen mehrfach die Örtlichkeiten wechseln. Auch eine zeitweise engere Kooperation mit der schlagenden Verbindung »Landsmannschaft Mecklenburgia Rostock« scheiterte letztlich daran.

Das heutige Personal verdeutlicht die Vernetzung mit dem Milieu der »Neuen Rechten«. Aktueller Vorsitzender ist der ehemalige CDU-Ratsherr aus Kiel, Stephan Ehmke. Er geriet 2008 in die Schlagzeilen, weil er Wjatscheslaw Daschitschew als Referent für die SWG einlud: Der Hamburger Verfassungsschutz hatte den russischen Politiker kurz zuvor als »internationale Größe des Rechtsextremismus« bezeichnet. Im aktuellen »Deutschland-Journal« skizziert Ehmke das Konzept eines christlichen »Europas der Vaterländer«, das sich sowohl suprastaatlicher Institutionen wie der EU, des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Parlaments erwehren müsse wie auch einer »zerstörerischen Massenzuwanderung«. Dabei nimmt er explizit Bezug auf den russischen Faschisten und Einflüsterer Putins, Alexander Dugin. Dugins geopolitisches Konzept eines »Neo-Eurasismus« ist durch den NS-Staatsrechtler Carl Schmitt geprägt, wie Ehmke wohlwollend erklärt. Ehmkes Vison: Eine Stärkung der europäisch-russischen Achse und Zurückdrängung der US-amerikanischen Einflüsse. »Es könnte dann zu der ‹multipolaren Welt› kommen, die Dugin fordert.«

Vize-Vorsitzender der SWG ist der ehemalige Redakteur des Deutschlandfunks, Bernd Kallina. Er begann seine Karriere bei der NPD. In den letzten Jahrzehnten publizierte er in zahlreichen Zeitschriften der extremen Rechten. Als Beisitzer*innen fungieren aktuell unter anderen Miguel Venegas, Mitglied des Bezirksvorstandes der »Alternative für Deutschland« (AfD) in Hamburg-Harburg und Christoph Radl, Referent des AfD-Bundestagsabgeordneten Heiko Wildberg. Radl kommt wie Kallina aus der völkischen »Burschenschaft Danubia München«.

Strategisch positioniert sich die SWG in Beiträgen eher auf dem Flügel der Gegner*innen des ehemaligen AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen. Ansonsten dominiert in den Veröffentlichungen der SWG immer noch Geschichtsrevisionismus, manchmal haarscharf entlang der Grenze zur Holocaustleugnung argumentierend. Verbrechen der Wehrmacht und sogar der Waffen-SS werden relativiert. Nicht nur deshalb bezeichnet der Experte Professor Wolfgang Gessenharter die SWG als »ein wichtiges Scharnier zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus«.