Moderner Opferkult der »Vertriebenen«

von Lara Schultz
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#München

Das neue »Sudetendeutsche Museum« in München bietet keine Überraschungen. Eine Analyse der Exponate und ihrer Arrangements offenbart jedoch mehr als die Objektbeschreibungen.

 

© Lara Schultz

 

Auf den ersten Blick wirkt die Ende 2020 eröffnete Dauerausstellung in dem 26 Millionen Euro teuren Museumsbau mitten in München modern. Sie ist museumsdidaktisch auf der Höhe der Zeit, dreisprachig beschriftet, barrierefrei, mit Audioangeboten und taktilen Stationen sowie teils einzigartigen Exponaten ausgestattet. Dass die »Sudetendeutsche Stiftung« in Kooperation mit dem Freistaat Bayern als Schirmherrin der »Sudetendeutschen Volksgruppe« für die museale Ausstattung verantwortlich zeichnet, führt aber – inhaltlich äußerst fragwürdig – dazu, dass in der Ausstellung die »Entstehung des Nationalitätenkonflikts zu sehen ist, die schließlich in einer millionenfachen Flucht und Vertreibung einen traurigen Tiefpunkt findet«.

Aus der Annexion des Sudetenlands, der Zerschlagung der Tschechoslowakei, dem deutschen Angriffskrieg und der Shoah wird somit eine »Both Sides«-Geschichte, in der die im 19. Jahrhundert entstandene tschechische Nationalbewegung irgendwie ein bisschen mehr Schuld trug und erst in Reaktion zu einer (sudeten-)deutschen Nationalbewegung führte. Dass die Aussiedlung der Deutschen ebenfalls eine Reaktion war, wird dagegen kaum thematisiert. Überhaupt kommen der NS-»Sudetengau«, die Beteiligung der Sudetendeutschen an der Zerschlagung der Tschechoslowakei und an der Shoah, die starke Zustimmung zur Henlein-Partei sowie generell die Zeit der deutschen Okkupation von 1938-1945 nur am Rande vor.

Von der »Heimat!« zur »Heimat?«

Die Ausstellung mag so auch ein Abbild der versuchten, aber noch lange nicht erreichten Modernisierung der »Sudetendeutschen Landsmannschaft« sein. 2015 hatte die Bundesversammlung eine Satzungsänderung beschlossen und die Abschnitte »Wiedergewinnung der Heimat« und »Recht auf Rückgabe des konfiszierten Eigentums« gestrichen. Ein Drittel der Delegierten hatte gegen die Änderungen votiert. In der musealen Umsetzung zeigt sich dieser Dissens an der Überschrift »Heimat« für die gesamte Ausstellung und den beiden Teilüberschriften »Heimat!« bis 1945 und »Heimat?« für die Zeit danach.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

Märtyrertum

Ab Ende Mai 1945 bis 1946 mussten die Deutschen in Tschechien ab dem 6. Lebensjahr eine Armbinde oder einen Aufnäher mit einem »N« für Nemec (Deutsch) darauf tragen. Vier davon sind im Museum ausgestellt, einer ist mit »N-Aufnäher mit Blutflecken« beschriftet. Im Allgemeinen vermeiden es Museen und Gedenkstätten, menschliche Überreste inklusive Blut zu zeigen. Der »Deutsche Museumsbund« empfiehlt zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen eine besondere Sensibilisierung. Gewaltdarstellungen und menschliche Überreste sind eher in einer anderen Institution Standard: in katholischen Kirchen. Blut soll nicht nur besonders authentisch wirken, sondern stellt auch eine direkte Verbindung zu Reliquien von Heiligen und Märtyrer*innen her. Die Aussage des blutbesprenkelten Aufnähers ist dann: Es klebt Blut daran, das ist der Beweis für die mit der Aussiedlung einhergehenden Gewalttaten und Grausamkeiten. Die sogenannten Vertriebenen bekommen gleichsam einen Märtyrer*innenstatus.

Opfer des NS?

In einer Vitrine wird eine wilde Sammlung an Fotografien, Postkarten, ein Reprint aus dem Eingangsbuch des KZ Dachau und ein Fernglas gezeigt. Das Foto der brennenden Synagoge in Liberec (oder, wie es hier heißt, Reichenberg) lässt nur eine Interpretation zu: In diesem Schaukasten geht es um die Shoah. Ein Hinweis auf die Täterschaft auch der Sudetendeutschen fehlt dabei. Der Blick wandert nach unten und bleibt beim erwähnten Eingangsbuch hängen. Die Beschriftung verrät, dass hier die Namen von 30 Sudetendeutschen verzeichnet sind, »die am 12. und 13. Oktober 1938 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert wurden«. Regimegegner*innen, Antifaschist*innen und Sozialdemokrat*innen wurden auch im Sudetenland verfolgt. Sie waren aber die Ausnahme.

Der Blick geht in Leserichtung nach rechts und trifft auf das Exponat »Fernglas mit Futteral«. Dieses Fernglas rekurriert, wie aus der Beschreibung hervorgeht, auf Emil Horwitz, der ein Optikergeschäft betrieb und 1942 in Treblinka ermordet wurde. Die Platzierung innerhalb des Schaukastens in Leserichtung nach rechts stellt einen bewussten Zusammenhang mit den Sudetendeutschen im KZ Dachau her. Beim Betrachten des Schaukastens muss so der Eindruck entstehen, Sudetendeutsche seien seit 1938 in Dachau inhaftiert und später auch in Treblinka ermordet worden. Dass Horwitz Jude war und als solcher deportiert und ermordet wurde, ist der Ausstellung nicht zu entnehmen. Hier wird allein durch das Arrangement innerhalb des Schaukastens vermittelt, »die« Sudetendeutschen seien ebenso verfolgt worden wie Jüdinnen und Juden, somit seien alle Sudetendeutschen potenzielle Opfer gewesen. Die Gleichsetzung mit der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden erfolgt an keiner Stelle verbal, sondern ausschließlich durch ein entsprechendes Arrangement, das schier unerträglich ist.