Zwischen Männlichkeit, Metapolitik und Straßenkampf

von Felix M. Steiner
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 178 - Mai / Juni 2019

#Treffpunkt

In den vergangenen fünf Jahren hat sich Kampfsport für die Neonazi-Szene zum wichtigsten Aktionsfeld neben RechtsRock entwickelt. Bei Veranstaltungen wie dem »Kampf der Nibelungen« kommen hunderte Neonazis, Hooligans und Rocker zusammen. Die Ideologie dahinter ist sexistisch, gewalttätig und nationalsozialistisch.

Antifa Magazin der rechte rand
»Kampf der Nibelungen« Transparent bei der Veranstaltung in Ostritz 2018 @ Henrik Merker

Im Februar 2019 gingen die Organisatoren des größten extrem rechten Kampfsport-Events, des »Kampf der Nibelungen« (KdN), öffentlich auf die Suche nach einem neuen Veranstaltungsort. In den sozialen Netzwerken posteten sie: »Wir suchen eine Halle für den KdN 2019. Es kann eine Eventhalle, Disco oder Stadthalle sein. Voraussetzung wäre Platz für ca. 1000 Zuschauer.« Die neue Suche zeigt, wie groß mittlerweile der Zulauf zu derartigen Events in der Szene und darüber hinaus ist. Neben RechtsRock hat sich damit ein weiteres subkulturelles Aktionsfeld etabliert und in den letzten Jahren professionalisiert, das über die extrem rechte Szene hinaus reicht und so auch andere Milieus mobilisiert. Im Vergleich dazu gibt es hingegen bundesweit keine relevante neonazistische Demonstration mehr, die TeilnehmerInnenzahlen jenseits der 1.000 Personen mobilisieren könnte.

Der KdN oder »Ring der Nibelungen«, wie er noch 2013 bei seiner Gründung hieß, zog in den Anfangsjahren »nur« zwischen 120 und 200 ZuschauerInnen an. Die rechte Szene hat sich in den vergangenen Jahren deutlich sichtbar auf die Aktionsfelder RechtsRock und Kampfsport orientiert. Diese agieren aber keineswegs getrennt, sondern sind personell und organisatorisch eng miteinander verwoben. Das zeigte sich nicht nur 2018, als der KdN Teil des RechtsRock-Events »Schild & Schwert« von Thorsten Heise in Ostritz war, sondern auch international wie beim »Propatria Fest« nahe Athen im April 2019. »Propatria Fest« ist nicht nur ein Kampfsportevent, sondern gleichzeitig auch eine RechtsRock-Veranstaltung, bei der Auftritte verschiedener RechtsRock-Bands wie der »Green Arrows« oder »Terrorsphära« zum Rahmenprogramm gehören.

Auch mehrere der deutschen Neonazimarken, welche die neonazistische Kampfsportszene unterstützen, werden von Personen betrieben, die sich aus der RechtsRock-Szene rekrutieren, wie beispielsweise die Marke »Greifvogel Wear – Radical Warrior Clothing Brand«, die ihren Sitz in Südbrandenburg hat und vom ehemaligen »Blood&Honour«-Mitglied Sebastian Raack betrieben wird. Raack ist darüber hinaus auch Betreiber des Labels/Versands »Opos Records«. Und auch die Marke »Black Legion« hat nicht nur eine Partnerschaft mit den RechtsRock-Bands »Green Arrows« und »Frontalkraft«, sondern ihr Besitzer Martin Seidel ist außerdem Inhaber des Labels/Versands »Rebel Records«. Damit hat sich also offensichtlich nicht nur ein neues Betätigungsfeld der Szene weiter vergrößert, sondern auch die geschäftlichen Aktionskreise einiger Bewegungsunternehmer haben sich erweitert.

Nicht neu, aber im Aufwind
Dass sich die extrem rechte Szene auch für den militanten Kampf wappnet, ist keineswegs neu. In den zurückliegenden Jahrzehnten gab es immer wieder Wehrsportgruppen und ähnliche Aktivitäten, die sich nicht nur auf den militanten politischen Kampf vorbereiteten, sondern aus deren Reihen auch Anschläge und Morde verübt wurden. Und auch die Kampfsportszene wird nicht erst in den vergangenen fünf bis sechs Jahren von der extremen Rechten aktiv genutzt. Schon 2005 berichtete das »Antifaschistische Infoblatt« (AIB 68/ 4.2005) über die Überschneidungen der Neonaziszene mit dem Kampfsport- und Hooligan-Milieu – sowohl beim Publikum als auch bei den Kämpfern – zum Beispiel beim »Fight Club Chemnitz«.

Außerdem gab es bereits Anfang der 2000er Jahre Kampfsportteams in Sachsen, die sich von neonazistischen Firmen wie »Front Records« sponsern ließen. Mit dem weiteren Ausbau der Strukturen dürfte aber nicht zuletzt auch der in den letzten Jahren aufgetretene Boom um die Kampfsportarten Kickboxen oder Mixed Martial Arts (MMA) insgesamt zu tun haben.

Die neonazistische Szene hat derartige Entwicklungen immer auch aufgenommen und für sich nutzbar gemacht. In den vergangenen Jahren ist eine enorme Professionalisierung deutlich geworden, die es der Szene auch aus ihren Erfahrungen im Bereich RechtsRock ermöglicht, derartig große Events auf die Beine zu stellen. Damit einher geht auch ein zunehmend selbstbewusstes Auftreten in der Öffentlichkeit. Die Zeiten der klandestin organisierten Konzerte und Kampfsport-Events sind längst vorbei: Großkonzerte mit bis zu 6.000 TeilnehmerInnen aus ganz Europa und ein KdN mit erwarteten 1.000 BesucherInnen sind die aktuelle Realität der neonazistischen Großveranstaltungen.

Kampfsport als Metapolitik und im Spiegel extrem rechter Ideologie

Der aktuelle Kampfsport-Boom wird dabei am rechten Rand spektrenübergreifend ideologisch eingeordnet und begrüßt. Auf verschiedenen Ebenen konstruiert die Szene damit die Rückkehr zu einer »Wehrhaftigkeit des Volkes« und zur »Männlichkeit«.

Schon 2017 schrieb die neu-rechte »Blaue Narzisse«: »Männer müssen kämpfen. Sie müssen Frau und Kind, Volk und Vaterland verteidigen, wenn es sein muss. (…) Eine Gesellschaft, die nicht mehr weiß, wie man kämpft, die nicht mehr den gerechten Zorn des Angegriffenen kennt, ist zum Untergang verurteilt.« Der Duktus neonazistischer Publikationen zum Thema ist dabei nahezu gleich. Auf der extrem rechten Plattform »Gegenstrom« erschien Anfang 2018 ein Text unter dem Titel »Kampfsport als Metapolitik«, in dem es heißt: »In Zeiten der propagierten Geschlechtsneutralität bzw. der Gleichmacherei ist Kampfsport eins der wenigen Bindeglieder, in der der deutsche und westeuropäische Mann sich seiner Männlichkeit noch bewusst sein darf.« Verbunden wird diese Konstruktion von »Männlichkeit« mit dem Argumentationsmuster einer vermeintlichen Verteidigung gegen »Migranten«. Die »Blaue Narzisse« schreibt dazu: »Umso problematischer wird die Situation, wenn solcherart konditionierte Männer auf Millionen von Einwanderern treffen, deren Kultur mehr oder minder genau gegenteilig ausgerichtet ist.

Die Zurückweisung der Verteufelung von Kriegertum und wehrhafter Gesinnung ist also mehr als die Verteidigung eines ‹Hobbys›, sondern notwendig zur Auferstehung des Abendlandes.« Die neonazistische Partei »Der III. Weg« arbeitet mit ihrer Untergruppe »Körper und Geist« daran, »einmal das ganze Volk wieder wehrhaft zu machen« und versteht die eigene Sportgemeinschaft als »Teil einer Bewegung zur völkischen Wiedergeburt unserer Nation«, wie es auf der Homepage heißt. Und auch die Plattform »Gegenstrom« konstruiert eben jenes Bedrohungsszenario, wenn die Neonazis schreiben: »Fast täglich muss die autochthone Bevölkerung zuschauen, wie Volksangehörige durch kulturfremde Migranten drangsaliert werden.«

Eben jene Argumentation ist es auch, die als ideologische Grundlage eines rechten Terrors gilt, der seine Mordtaten – wie in Neuseeland – als Verteidigungsaktion gegen eben jene konstruierte Bedrohungslage beziehungsweise die »Überfremdung« versteht. Dass das Kampfsporttraining bei weitem nicht nur im Ring eingesetzt werden soll, lassen die verschiedenen Erörterungen, die in der extrem rechten Szene existieren, mehr oder weniger deutlich werden. So heißt es bei »Gegenstrom«: »Es dürfte davon ausgegangen werden, dass die Bereitschaft dann draußen, außerhalb der Trainingseinrichtungen, genauso geweckt ist, wenn es die Situation erfordert.«

Die ideologischen Deutungsmuster bewegen sich dabei tief im Fundus des Nationalsozialismus. So gibt es mit der Gruppierung »Wardon 21« seit 2017 auch eine neonazistische Straight-Edge-Auslegung der ideologischen Diskussionen rund um den Kampfsport. So sei durch »jahrzehntelange Umerziehung des deutschen Volkskörpers« ein »Menschenschlag heran gezüchtet [sic!]« worden, »welcher sich freiwillig und sogar freudig in die geistigen Degenerationsmühlen dieses Systems begeben hat«. Daher sieht »Wardon« ihr Ziel darin, »dem Ideal wahrer Volksgesundheit zuzustreben«. Ideologisch bewegen sich die Begründungszusammenhänge somit irgendwo zwischen völkischen Idealen und dem Training für Straßenkampf und Revolution. Die ganz konkrete Gefahr sieht man in Neonazi-Hochburgen, wo trainierte Kampfsportler auf politische GegnerInnen treffen oder bei Demonstrationen versuchen, JournalistInnen zu attackieren. Hier wird jenseits der ideologischen Begründungszusammenhänge die Professionalisierung der Gewalt spürbar und real.

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Wandel, Kommerzialisierung und Professionalisierung

In den vergangenen Jahren hat sich die klassische Neonazi-Szene deutlich in Richtung ihrer subkulturellen Aktionsfelder orientiert. Aufmärsche, die seit Ende der 1990er Jahre als zentrale Aktionsform galten, gehen in der Anzahl und der TeilnehmerInnenstärke weiter zurück. Ihre Funktionen haben dabei RechtsRock- und Kampfsportveranstaltungen übernommen: So dienen diese nicht nur der Verbreitung von extrem rechter Ideologie und der Vernetzung der Szene, sondern eben auch als Finanzquelle.

Bei der extrem rechten Kampfsportszene folgt die aktuelle Entwicklung einem ähnlichen Muster wie bei der RechtsRockszene seit dem Beginn der 2000er Jahre. Nur verläuft diese heute deutlich rasanter, wohl auch aufgrund der vorhandenen Erfahrungen aus dem Geschäft mit der Hassmusik. Der Fanforscher Robert Claus spricht in den vergangenen Jahren sowohl von einer »Kommerzialisierung« als auch einer »Professionalisierung der Gewalt« beziehungsweise einem »rechten Hooliganismus«. Die Gefahren sind offensichtlich: Neonazis und rechte Hooligans werden ihre gewaltdurchsetzte Ideologie verstärkt auf die Straße tragen und das Gewaltpotential wird dadurch noch weiter steigen.