Nationalisierung von Arbeit im 21. Jahrhundert
von Felix Axster und Nikolas Lelle
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 180 - September / Oktober 2019
#DeutscheArbeit
Politiker*innen der »Alternative für Deutschland« beziehen sich bekanntermaßen regelmäßig affirmativ auf Vergangenheit und kritisch auf Erinnerungskultur, um ein positives deutsches Selbstbild zu zeichnen. Weniger beachtet wird, welche Rolle Arbeit in diesem Bild spielt und wie sie auf historische Kontinuitäten in der Rechten verweist.
Im April 2016 sprach Björn Höcke, der Fraktionsvorsitzende der »Alternative für Deutschland« (AfD) im Thüringischen Landtag, in einer Rede in Schweinfurt davon, die »primäre soziale Frage« beziehe sich nicht mehr wie früher auf oben und unten. Die »neue deutsche soziale Frage des 21. Jahrhunderts« sei die nach der Verteilung des Volksvermögens »von innen nach außen«. Damit ist nicht nur die Ausgangslage einer völkischen Sozialpolitik skizziert, die Höcke und sein »Flügel« umzusetzen versuchen. Die Reformulierung der sozialen Frage durch die Unterscheidung von innen und außen ist auch Ausdruck einer neuen Nationalisierung von Arbeit im 21. Jahrhundert.
Die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, sorgte im letzten Jahr während der Haushaltsdebatte im deutschen Bundestag für einen Skandal, als sie davon sprach, dass »Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse (…) unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern« werden. Denn, so erklärte der AfD-EU-Parlamentarier Jörg Meuthen einige Wochen zuvor im Interview mit dem rechten Magazin »Recherche D«: »Wir wissen, dass man entweder offene Grenzen oder einen Sozialstaat haben kann. Wir wissen, dass unser Sozialstaat ein Pull-Faktor ist, der en gros Migranten anzieht, die nicht arbeiten wollen.« (s. drr Nr. 172) Wann immer sie können, zeichnen Vertreter*innen der AfD das Bild von Geflüchteten, die nicht arbeiten wollten, die faul seien und dem Staat auf der Tasche lägen.
Es war der Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, der in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von einer »globalistischen Klasse« schrieb, deren Angehörige Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Politik einnähmen, aber den Bezug zu ihrer Heimat verloren hätten. Ihnen gegenüber stünden zwei Milieus, die »in der AfD eine Allianz« eingegangen seien: die bürgerliche Mittelschicht und »viele sogenannte einfache Menschen, deren Jobs oft miserabel bezahlt werden oder nicht mehr existieren, die ein Leben lang den Buckel krumm gemacht haben und heute von einer schäbigen Rente leben müssen«. Gauland übte sich hier in der Anrufung des sogenannten kleinen Mannes. Die AfD geriert sich damit als Partei der hart Arbeitenden.
Unmittelbar nach dem Erscheinen des Artikels wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Text verblüffende Ähnlichkeiten zu einer Rede aufweist, die Adolf Hitler 1933 vor Arbeitern in der Siemensstadt hielt. Gauland will die Rede nicht gekannt haben. So oder so, die Ähnlichkeiten sind kein Zufall. Sie zeigen sich in der Gegenüberstellung von globaler Elite und faulen Fremden auf der einen und hart arbeitender, deutscher Bevölkerung auf der anderen Seite.
Björn Höcke fügte dem Selbstbild dieser Gegenüberstellung eine historische Dimension hinzu. In dem 2018 publizierten Interviewband »Nie zweimal in denselben Fluss« redete er von einem »Ansehen« der Deutschen in der Welt, das auf einem »Wohlstandsaufbau« beruhe, »der in der Zeit von 1850 bis 1918 aus dem Geist der praktischen Tüchtigkeit der Deutschen erwuchs«. Landolf Ladig, mit ziemlicher Sicherheit ein Pseudonym von Höcke, gab diesem Argument einige Jahre zuvor eine andere Stoßrichtung: In einem Artikel für die von dem Neonazi-Kader Thorsten Heise herausgegebene Zeitschrift »Volk in Bewegung« sprach er davon, dass »eben nicht die Aggressivität der Deutschen ursächlich für zwei Weltkriege« gewesen sei, sondern »ihr Fleiß, ihre Formliebe und ihr Ideenreichtum«.
Eine lange Geschichte »deutscher Arbeit«
Das von den AfD-Politiker*innen propagierte Bild der Deutschen haben diese keineswegs erfunden. Im Gegenteil, sie schließen an historische Vorläufer an, die sich mindestens bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen. Damals prägte Wilhelm Heinrich Riehl den Begriff »deutsche Arbeit«. Fleiß, Disziplin, Sittlichkeit – mit diesen Attributen sollte die Behauptung untermauert werden, es gebe eine spezifisch deutsche Art zu arbeiten. Riehl, der als Begründer der Volkskunde gilt, setzte sich kritisch mit der Durchsetzung des Kapitalismus beziehungsweise der Warenförmigkeit von Arbeit und Arbeitskraft auseinander. Seine Hauptsorge galt dem Erstarken der Arbeiter*innenbewegung und dem Sozialismus. Seine Ausführungen zur »deutschen Arbeit« lesen sich wie eine Entfremdungsdiagnose, nur dass Riehl im Gegensatz zu Karl Marx reaktionär-völkische Lösungsvorschläge unterbreitete: Es gelte, die Arbeit in den Dienst des nationalen Kollektivs zu stellen, um sie mit Sinn aufzuladen und Freude an ihr zu empfinden. Erst die Arbeit schweiße die Deutschen zusammen, präge ihre Besonderheit und immunisiere sie gegen vermeintlich schädigende Einflüsse, die laut Riehl insbesondere von Juden und Jüdinnen ausgingen.
Der Begriff »deutsche Arbeit« verweist auf das, was der Literaturwissenschaftler Frank Trommler als »Nationalisierung von Arbeit« bezeichnete. Arbeit sollte dazu dienen, nationalen Zusammenhalt herzustellen und die nationale Gemeinschaft zu formieren. Von Anfang an ging dieser Formierungsprozess mit antisemitischen und rassistischen Ausschlüssen einher. So ist es auch kaum verwunderlich, dass der Begriff »deutsche Arbeit«, der im Zuge der Globalisierung um 1900 immer populärer wurde, zu einem zentralen Bestandteil völkisch-reaktionärer Ideologien und Bewegungen des 20. Jahrhunderts avancierte. Dies zeigt sich auch und vor allem im Hinblick auf den Nationalsozialismus, wo er als Fundament der Volksgemeinschafts-Idee fungierte und Vernichtungspolitiken legitimierte.
»Deutsche Arbeit« – so lässt sich resümieren – befeuerte lange Zeit die Konzepte und Visionen der Rechten, wenn auch nicht immer so explizit wie bei Riehl oder Hitler. Es ging um das Versprechen der Überwindung von Spaltung, Vereinzelung und Entfremdung, das heißt Überwindung der als negativ empfundenen Konsequenzen kapitalistischer Modernisierung. Gleichwohl stand nicht die kapitalistische Organisationsform der Arbeit an sich zur Disposition. Vielmehr sollte die in antagonistische Klassen zu zerfallen drohende Gesellschaft wieder versöhnt werden – mittels nationaler Arbeit. Arbeit also, die dem nationalen Gemeinwohl diene, die Nation stärke, sie erst herstelle. Keineswegs ging es dabei in erster Linie um Wertschöpfung und Produktivität. Eher sollten sich die Deutschen in kultureller oder moralischer Hinsicht als wertvoll erweisen. Anders gesagt: Die postulierte Höherwertigkeit der Deutschen im Verhältnis zu Juden und Jüdinnen, Kolonisierten, Sinti*ze und Rom*nja, Pol*innen, Engländer*innen und anderen wurde auf einen vermeintlich besonderen Arbeitsethos zurückgeführt, eine besondere Beziehung und Haltung zur Arbeit. In jedem Fall ließ sich der Begriff »deutsche Arbeit« systemkritisch wenden und einsetzen – allerdings nur im Sinne einer »konformistischen Rebellion« (Erich Fromm) oder einer »autoritären Revolte« (Volker Weiß).
Anschluss und Vermittung
Die zitierten Sätze prominenter AfD-Politiker*innen schließen nicht bruchlos an den Begriff »deutsche Arbeit« an. Aber sie stehen in der langen Tradition dieses Begriffs und stellen Versuche der Reaktualisierung dar. Stichwortgeber für eine Nationalisierung von Arbeit im 21. Jahrhundert war sicherlich Thilo Sarrazin, der in seinem Bestseller »Deutschland schafft sich ab« immer wieder die Faulheit der Einwanderer*innen betonte. Das Buch wurde auch deshalb ein Erfolg, weil es als Begleitmusik zur globalen Krise seit 2007 funktionierte, in der auch vom »faulen Griechen« die Rede war. Sarrazin artikulierte ein Selbstbild, indem er ebenfalls einen besonderen, deutschen Fleiß predigte. Dieses Selbstbild ist in hohem Maße anschlussfähig – immerhin gehört Fleiß seit jeher zu den klassischen bürgerlichen Tugenden. Das heißt, das Selbstbild wird bis weit in die Mitte geteilt, wenngleich nicht jedes Mal mit der Idee einer nationalen Besonderheit verbunden. Es trägt so aber zu einer Vermittung der Ideen von Rechten bei.
Bislang wird das Selbstbild noch nicht in Politik übersetzt. Das hat auch etwas mit dem Richtungsstreit zu tun, der in der AfD tobt. Höckes Versuch, eine völkische Sozialpolitik umzusetzen, ist in der AfD weiterhin kein Konsens. Marktliberale Positionen stehen dem gegenüber und es ist noch nicht abzusehen, wer sich durchsetzt. Der angekündigte Bundesparteitag, auf dem dieser Streit hätte ausgefochten werden sollen, wurde vertagt. Die Idee von »deutscher Arbeit« spielt aber metapolitisch bereits eine Rolle, einerseits um Wähler*innen anzusprechen, andererseits um die eigenen Ideen zu begründen. In welcher Form sie politisch verwirklicht wird, muss sich noch zeigen.
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Zu untersuchen bleibt schließlich, inwiefern sich hier eine einzigartige deutsche Entwicklung ausmachen lässt. Denn als Nationalisierung von Arbeit können schon im 19. Jahrhundert auch Entwicklungen außerhalb Deutschlands bezeichnet werden. Und auch heute finden sich ähnliche Tendenzen in anderen nationalen Bewegungen, mit jeweils eigener Vorgeschichte. Der französische Autor Renaud Camus zum Beispiel, der als Vordenker der »Identitären Bewegung« gilt und außerdem das Stichwort vom »Großen Austausch« geprägt hat, führt die vermeintliche Unmöglichkeit des Zusammenlebens von Europäer*innen und insbesondere afrikanischen Einwander*innen unter anderem darauf zurück, dass Letztere keinen Begriff von Arbeit hätten und entsprechend nichts Produktives leisten würden. Zu analysieren wäre also, ob gegenwärtig eine Internationalisierung stattfindet, indem sich verschiedene rechte, nationale Bewegungen in ihrem Bezug auf Arbeit treffen und synchronisieren.