Neonazis auf Streife

von Charles Paresse
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 178 - Mai / Juni 2019

#Polizeireserve

Ein Untersuchungsausschuss bemühte sich Anfang der 1990er-Jahre, rechtsradikale Aktivitäten in der »Freiwilligen Polizeireserve« in Berlin aufzuklären.

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© Christian Ditsch

Rechtsradikale in der Polizei, das ist nicht neu – sogar Hamburgs früherer Verfassungsschutz-Chef Ernst Uhrlau hatte Anfang der 1990er-Jahre davor gewarnt. Das »Jahrbuch Extremismus & Demokratie« zitierte ihn damals mit Äußerungen im Innenausschuss des Bundestages, in denen er auf das »Eindringen von Rechtsextremisten in Ordnerverbände öffentlicher und freier oder kommerzieller Träger einschließlich der Polizei und der Bundeswehr« hinwies – ausdrücklich nannte Uhrlau die »Freiwillige Polizeireserve« (FPR) in Berlin.

»Neonazis und Gewaltverbrecher«
1993 hatte die Polizei »einen international agierenden Waffenhändlerring ausgehoben, dem (Neo-)faschisten angehörten«, berichtete »der rechte rand« (s. drr Nr. 21). Die zwölf Beschuldigten hatten illegal Gewehre, Pistolen und Munition nach Berlin geschmuggelt und versteckt. Mehrere von ihnen waren aktive und ehemalige Mitglieder der FPR, sechs seien wegen Wehrsportübungen aufgefallen und drei hätten versucht, eine Gruppe der neonazistischen »Freiheitlichen deutschen Arbeiterpartei« (FAP) aufzubauen. Polizeiintern entstand der Verdacht, die Rechten seien gezielt von zwei Beamten eingeschleust worden. »Focus« titelte: »Neonazis und Ganoven in Berlin auf Streife« (Nr. 7/1993). Weiter hieß es in dem Magazin: Die FPR sei »offenbar ein Sammelbecken für Neonazis und Gewaltverbrecher« und »von militanten Rechtsradikalen, Räubern und Sexualverbrechern durchsetzt«. Eine Sonderkommission fand in den anschließenden Ermittlungen bei einem Drittel der Mitglieder – in 807 Biographien der etwa 2.400 Mitglieder – »schwarze, graue und hellgraue« Flecken, von Verdachtsfällen und eingestellten Ermittlungen über kleinere Bagatelldelikte bis hin zu schweren Straftaten oder eben auch eine Reihe von Kontakten in die extreme Rechte. Unter den etwa 2.000 freiwillig Überprüften gab es gut 100 Verurteilte. Eine Reihe von Mitgliedern wurde aus der Truppe entlassen, knapp 100 traten im Zusammenhang mit der Überprüfung aus.

Die FPR war ein Gewächs der Blockkonfrontation des 20. Jahrhunderts. Mit dem Aufbau wurde ab 1960 begonnen, die Mitglieder stammten überwiegend aus dem öffentlichen Dienst und hatten mehrheitlich – so berichtete es die Presse – in der Wehrmacht gedient. Ihre Aufgabe nach einer zweiwöchigen Schnellbesohlung war es, »im Falle einer äußeren Bedrohung die Polizei beim Schutz der für die Stadt lebenswichtigen Einrichtungen zu entlasten« – kurzum, eine antikommunistische Truppe für den Notfall. Über die Jahrzehnte veränderte die Reserve, die immer wieder mit Skandalen auffiel, in Details ihr Gesicht. Nach 1990 wurden die Aufgaben neu definiert, Befugnisse erweitert und aus ihr eine »Hilfspolizei« gemacht, die auch im Alltag eingesetzt wurde.

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»Keine Garantien«
Doch der Skandal waren nicht allein die aufgeflogenen Rechten und die straffälligen oder polizeilich auffällig gewordenen Mitglieder, vielmehr war es die FPR an sich. So wurde beispielsweise 1990 in der offiziellen Zeitschrift der Truppe eine ganzseitige Anzeige der Rechtspartei »Die Republikaner« (REP) oder ein Gedicht mit rassistischen Tönen veröffentlicht. Ein Untersuchungsausschuss (UA) des Berliner Abgeordnetenhauses nahm ab 1993 die Truppe unter die Lupe und legte im Januar 1995 seinen Abschlussbericht (Drucksache 12/5187) vor. Der UA fand zahlreiche Vorstrafen und Einträge in Polizeidatenbanken bei Mitgliedern der Reserve, stellte Verstöße gegen die Einstellungsrichtlinien fest und listete frühere vertuschte Skandale auf, bei denen zum Beispiel Mitglieder der FPR an Überfällen beteiligt waren oder die Mitgliedschaft des »Waffenmeisters der rechtsextremen Szene« Michael Abbas-Yacoub in der FPR, einem Neonazi, bei dem zahllose Waffen gefunden wurden. Der an der Aufklärung beteiligte Berliner Abgeordnete der Grünen, Wolfgang Wieland, hatte in seinem Minderheitsvotum für den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses betont, dass es keine Garantien gäbe, dass die Polizeireserve »nicht nach wie vor von Rechtsextremisten unterwandert« werden könnte, wie er 1996 schrieb, als ein weiterer Fall auftauchte: Ein Mitglied der Truppe hatte für die REP kandidiert und war Teilnehmer einer »Reichsgründungsfeier«.

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Polizei © Mark Mühlhaus / attenzione

Milieu der Polizei
Die wiederkehrenden Skandale und der offenbar begrenzte Nutzen der FPR läuteten das Ende der Truppe ein. Sie wurde 1999 von der CDU-geführten Berliner Landesregierung erst umbenannt und schließlich 2002 vom rot-roten Senat aufgelöst. Die Unterlagen des Untersuchungsausschusses zur Polizeireserve und die damaligen Medien-Recherchen zeigen, dass Rechtsradikale in der Polizei keine Einzelfälle waren, sondern in einem abgeschotteten, schwer kontrollierbaren und antikommunistischen Milieu gedeihen konnten. Auch wenn sich die Struktur der FPR und ihre Aufgaben von der regulären Polizei deutlich unterschieden, zeigt sich, dass das Milieu der Polizei für die radikale Rechte attraktiv war und zumindest die damalige Kultur in der Polizei ihr nicht im Wege stand, sondern sie sogar in Teilen unterstützte.