In Sachen deutsche Erinnerungskultur
von Barbara Manthe
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 138 September / Oktober 2012
#Erinnerungskultur
Ein Besuch in der »Gedenk- und Erinnerungsstätte« Wewelsburg im gleichnamigen Dörfchen in Ostwestfalen: Ein neues Museumskonzept für die Burg, in der die SS während der NS-Zeit ein weltanschauliches Zentrum plante, soll die Anziehungskraft des Ortes für die extreme Rechte mindern.
Es ist eine eigentümliche Szene, die sich im Nordturm des ostwestfälischen Kreismuseums Wewelsburg abspielt: Ein Mitarbeiter des Museums betritt den kreisförmigen Saal im ersten Obergeschoss und schiebt unförmige orangene und graue Sitzsäcke und kleine Tischchen in die Mitte des Raums. Damit verdeckt er Teile eines Ornaments, das in den grauen Marmorboden eingelassen ist. »Das bricht die Symbolik«, erklärt der Museumsmitarbeiter auf unsere Frage, weshalb er die Kissen so anordnet. Tatsächlich kontrastieren die farbigen Säcke zu den kalten grau-grünen Steinen des Mosaiks: ein zwölfteiliges Sonnenrad, dessen Speichen jeweils eine Sig-Rune bilden. »Schwarze Sonne« nannte man das Symbol nach 1945. Der Raum wurde in seiner jetzigen Form zwischen 1938 und 1943 gestaltet und erhielt die Bezeichnung »Obergruppenführersaal«, damals der höchste Rang der SS. Er ist ein Ziel unseres Ausflugs in die Wewelsburg, die zwischen 1934 und 1945 von der SS genutzt wurde, und lange Zeit ein negatives Musterbeispiel in Sachen deutsche Erinnerungskultur war.
Das Museum will verhindern, dass um das Mosaik ein ehrerbietender Sitzkreis entsteht. So gehört es zu der Aufgabe der MitarbeiterInnen, regelmäßig den Raum zu überprüfen. »Hätten wir die Kissen nicht hier, würden sicherlich mehr rechte Besucher kommen«, meint der Angestellte und erzählt weiter, das Personal sei darin geschult, neonazistische Symboliken bei BesucherInnen zu erkennen.
Ausflugsziel für Neonazis
Tatsächlich übt der Ort auf Neonazis enorme Anziehungskraft aus und hat sich zu einer Wallfahrtsstätte für Neonazis und rechte EsoterikerInnen entwickelt. Das Ornament selbst wurde in abgewandelter Form als »Schwarze Sonne« äußerst populär und ziert seitdem T-Shirts, Anhänger und Logos der extremen Rechten. Bis heute ist die Wewelsburg beliebtes Reiseziel für Neonazis, nicht zuletzt für »private« Ausflüge, bei denen sie sich der offen zur Schau gestellten NS-Symbole erfreuen, wie in diversen Reiseberichten zu lesen ist. Mit den rund 600 extrem rechten BesucherInnen, die offiziellen Zählungen zufolge jährlich kamen, ging die Museumsleitung in der Vergangenheit häufig hilflos um. Man versuchte, der Attraktivität des Ortes nicht inhaltlich etwas entgegen zu setzen, sondern mit Restriktionen: So konnte zum Beispiel der »Obergruppenführersaal« wie die ebenso mystisch aufgeladene »Gruft« nur im Rahmen von Führungen besucht werden. Der Saal selbst blieb aber wie er war, und so zeigen die hohen Decken, das hereinfallende Licht durch die zwölf Fenster und der glatte Marmorstein ihre Wirkung.
Aber auch heute dauert es keine zehn Minuten, bis uns im Saal die ersten rechten BesucherInnen begegnen: Ein junges Pärchen, er mit kurzen Hosen, Sportjacke, »Tunnel«-Ohrringen und Käppi, hat eine Rune auf den Unterarm tätowiert. Sie trägt schwarze Kleidung, eine Gürteltasche und Piercings im Gesicht. Überhaupt dominieren den Saal junge Männer und Frauen in schwarzer Kleidung. Das Fotografierverbot missachten die meisten, sie versuchen vom Rand eine möglichst gute Perspektive auf das Symbol zu bekommen, ohne dass die Überwachungskamera sie erfasst. Die Wewelsburg ist immer noch ein attraktives Ziel für Rechte, dennoch: Mit missbilligenden Mienen stehen die BesucherInnen am Rand und schütteln den Kopf über die Sitzkissen.
Zentrum der SS
In den 1930er Jahren mietete der Reichsführer-SS Heinrich Himmler die Wewelsburg an, ein dreieckiges Schloss aus der Renaissancezeit bei Paderborn, um dort eine Akademie für SS-Führer zu errichten. Obwohl weder die Schule realisiert, noch die Burg als weltanschauliches Zentrum und »Kultstätte« der SS genutzt wurde, entwickelte sich das Schloss zu einem Versammlungsort für Himmler und seine höchsten SS-Offiziere und wurde Objekt gigantischer Umbaupläne. An wenigen Orten treten so deutlich die Geschichtsmythen der SS und insbesondere Himmlers zutage, ihre das Germanentum verklärenden Vorstellungen und gleichzeitig die Allgegenwärtigkeit ihrer Verbrechen: Die architektonischen Umbauten am Schloss waren ebenso wie die Gestaltung des »Obergruppenführersaals« Resultat der Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen, die in einem eigens dafür eingerichteten Lager im Dorf inhaftiert waren.
Das Mosaik in der Wewelsburg bedient sich einer frühmittelalterlichen germanischen Sonnendarstellung. Wer das Ornament in der Wewelsburg gestaltete, ist unbekannt, auch gibt es keine Informationen über die Nutzung des Symbols in der Zeit davor. Die Tatsache, dass die SS damit ein Kunstprodukt erzeugte, verdeutlicht umso mehr, dass der Saal mitnichten ein »sakraler« Raum ist, der Ehrfurcht gebieten soll.
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Umdenken im Museum
Nun betreten neue BesucherInnen den Raum, zwei Familien mit Kindern. Die Stimmung ändert sich völlig, denn die Kinder nehmen sofort die Kissen in Beschlag und blättern in den ausliegenden Beiheften, ohne das Ornament zu ihren Füßen zu registrieren. Affirmative Exponate – also Gegenstände, die zu einer positiven Deutung führen können – zu »neutralisieren«, dieses Ziel verfolgt die neue Dauerausstellung »Ideologie und Terror der SS« nach Angaben der GestalterInnen. Das bedeutet etwa, dass, wenn die »Bauleistungen« der SS dargestellt werden, auch erläutert wird, wenn Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge diese Bauwerke errichteten. Gegenstände der SS, die leicht einer kultischen Verklärung unterliegen können, verdecken die erklärenden Texte halb, so dass sich ihre optische Wirkung nicht voll entfalten kann. Demselben Konzept folgt die Entscheidung, die Atmosphäre des »Obergruppenführersaals« mit Sitzkissen zu brechen.
Die im Frühjahr 2010 eröffnete Dauerausstellung beschreitet auch inhaltlich neue Wege: Sie bildet zum einen den aktuellen Forschungsstand zur SS ab, versucht zum anderen aber auch, die Täterzentrierung der alten Ausstellung zu überwinden, indem sie die Aktivitäten der SS in den Kontext ihrer Verbrechen stellt. Daher stehen auch das örtliche KZ, die Erinnerung nach 1945 sowie die Rezeption der Wewelsburg in rechten Kreisen im Fokus.
KZ Niederhagen
Nach dem Obergruppenführersaal muss jedeR BesucherIn durch den zweiten Teil des Museums gehen, der die Geschichte des Konzentrationslagers Niederhagen erzählt. Die umfangreichen Bauarbeiten an der Burg führten ab 1939 Häftlinge durch, die in einem eigens dafür eingerichteten Außenlager des KZ Sachsenhausen am Ausgang des Dorfes inhaftiert waren. Zwei Jahre später wurde daraus ein Hauptlager, das KZ Niederhagen mit bis zu 1.600 Gefangenen. 1943 wurde das Lager aufgelöst, wobei circa 50 Häftlinge verblieben. Insgesamt waren 3.000 Menschen im KZ inhaftiert, unter anderem politische Gefangene, Zeugen Jehovas und osteuropäische ZwangsarbeiterInnen. 1.285 von ihnen wurden ermordet oder starben an Erschöpfung, Hunger und Kälte oder an der Zwangsarbeit – was selbst im Vergleich zu anderen Konzentrationslagern eine sehr hohe Sterberate darstellt.
Auch das junge Pärchen muss durch die Ausstellung, um zum Ausgang zu gelangen. Auf die Frage, was er denke, wenn er durch die Ausstellung gehe, sagt der junge Mann mit schwerem thüringischen Dialekt: »Nüscht, ich kuck mir das nur an.« Das Konzept scheint so weit zu wirken, dass die rechten BesucherInnen zumindest schnell das Museum verlassen und kein Bedürfnis verspüren, sich mit Hakenkreuzen oder neonazistischen Parolen im Gästebuch zu verewigen – anders als früher, als dies häufiger der Fall war.
»Dorfgemeinschaftshaus« und Hakenkreuzschnitzereien
Wenige hundert Meter neben der Burg bietet das Landgasthaus »Ottens Hof« frische Pfifferlinge und Waffeln an. Auch hier ist die NS-Vergangenheit offensichtlich: Das 300 Jahre alte Fachwerkhaus kaufte die SS Mitte der 1930er Jahre und baute es gemeinsam mit Dorfbewohnern und Angehörigen des »Reichsarbeitsdienstes« (RAD) um. Als »Dorfgemeinschaftshaus« sollte es kultureller Mittelpunkt des Dorfes werden, stets aber von der SS dominiert. An der Häuserfront ist eine Symbolleiste erhalten, die unter anderem das Logo des RAD sowie leicht veränderte Hakenkreuze zeigt. Im Inneren der Gaststätte sind Hakenkreuze und ein Totenkopf-Symbol in die Sitzbänke eingeschnitzt, Überreste aus der Zeit als »Dorfgemeinschaftshaus«. Nirgendwo ist der Kontext dieser Schnitzereien erläutert, stattdessen hängen geflochtene Kränze davor, wie um den Makel zu verdecken. Der Denkmalschutz verbiete es, die Hakenkreuze zu entfernen, versichert der Pächter.
Schweigen im Ort
Ortswechsel: Das Gelände des ehemaligen KZ liegt am anderen Ende des Dorfes. Auf dem einstigen Appellplatz steht ein schlichtes Denkmal, das 2000 nach zähem Ringen aufgebaut wurde. Ansonsten erinnert wenig an die Haftstätte. In die Baracken des Lagers wurden nach dem Krieg zuerst befreite ZwangsarbeiterInnen und dann Vertriebene aus dem Osten einquartiert. Nach und nach riss man die Bauten ab, doch das Torhaus und die Lagerküche werden heute noch genutzt. Direkt neben dem Appellplatz sitzt eine Familie vor dem kleinen Torhäuschen und grillt. Noch heute leben in der Gegend vor allem die Nachkommen der deutschen Flüchtlinge.
Die Menschen vor dem Haus schauen interessiert zu uns herüber, von den anderen BesucherInnen aus dem Museum ist am Mahnmal nichts zu sehen. Das Gelände des ehemaligen Lagers spiegelt den Umgang des Dorfes mit der Vergangenheit wider, der viele Jahrzehnte vom Schweigen geprägt war. Mehrere Gedenktafeln für die Verfolgten und Ermordeten, die zuerst Alliierte, dann VVN, DKP und SPD zwischen 1945 und 1977 aufstellten, wurden wieder entfernt. Es dauerte bis 1998, als eine Gruppe junger WewelsburgerInnen gemeinsam mit überlebenden Häftlingen auf dem Appellplatz ein provisorisches Mahnmal errichtete: Erstmals wurde der Gedenkstein nicht wieder abmontiert, so dass im Jahr 2000 ein offizielles Denkmal folgen konnte. Die schlichte Gestalt war ein Kompromiss mit der Wewelsburger Bevölkerung.
Der Besuch in Wewelsburg hinterlässt gemischte Gefühle: Das Museumskonzept ist durchdacht, die Ausstellung bietet die aktuellsten Erkenntnisse der historischen SS-Forschung und die MitarbeiterInnen sind sich der Problematik extrem rechter BesucherInnen bewusst. Doch der Ort selbst scheint sich immer noch davon abschotten zu wollen. Die Bannkraft der monumentalen Umbauten, welche die SS vornehmen ließ, lässt sich vermutlich niemals ganz auflösen. Am Ort des Lagers jedoch, immerhin das einzige Konzentrationslager in Nordrhein-Westfalen, sieht man von einem frühen Lager in Kemna ab, fehlt politischer Wille, angemessenes Gedenken zu ermöglichen.