Radikalisierung hoch drei
von Sören Frerks
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018
#Faschisten
Zunächst waren es »Euro-Skeptiker und Professoren«, später »Rechtspopulisten« und »Islam- oder Asylkritiker«. Gesellschaft, Medien und Politik tun sich noch immer schwer damit, den extrem rechten und neofaschistischen Kurs der »Alternative für Deutschland« zu benennen.
Das Unvermögen, einen Umgang mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) zu finden, ist weit verbreitet. Folglich sind viele dem Fehlschluss aufgesessen, wer besonders laut und vulgär daherkomme, über den müsse berichtet werden. AfD-PolitikerInnen und ihre Hetze gegen Geflüchtete und Muslime waren omnipräsent, insbesondere in Talkshows, wie der Kulturrat im April diesen Jahres kritisierte. Während einige JournalistInnen bis hin zur linksliberalen Presse meinten, mit oder gar bei Rechten reden zu müssen (s. drr Nr. 168), brachte es der Chef des ARD-Politmagazins »Monitor«, Georg Restle auf den Punkt: »Wir müssen eben nicht jeden Mist abbilden, nur weil er aus dem Mund eines Bundestagsabgeordneten oder eines Parteivorsitzenden kommt. (…) Wenn es aber um den Schulterschluss von AfD-Kadern mit rechtsextremistischen Vereinigungen geht, gehört es zur journalistischen Pflicht, darüber aufzuklären.« Über die Radikalisierung im Bundestag, in den Landtagen, im Internet und auf der Straße gibt es genug zu berichten.
In den Parlamenten
Die Bundestagsfraktion ist ein Sprachrohr der extremen wie »Neuen Rechten« und in vielen Landtagen sieht es nicht anders aus. Mit ihrer Themensetzung in den Parlamenten propagiert die AfD verklausuliert eine rassistische und völkisch-nationale Ausrichtung. Ein Gesetzentwurf zur Aushebelung des Volksverhetzungsparagraphen, Anfragen zur Zahl von Homosexuellen in Thüringen, Sinti und Roma in Sachsen und Menschen mit Behinderung in Deutschland. Oder sie stellt Anfragen nach zivilen SeenotretterInnen, Anträge auf die »Rückführung« von Geflüchteten ins kriegszerrüttete Syrien und Anträge zum Schutz der Bevölkerung vor »ausländischen Gefährdern«. Hinzu kommen aktuelle Stunden zu »Freiheit und Gleichheit von Frauen«, zum »Globalen Migrationspakt der Vereinten Nationen« und zu »linksextremer Gewalt«, mit denen die AfD vor allem gegen Muslime, Asylsuchende und AntifaschistInnen Stimmung macht. Die Rechtspartei nutzt die Bühne für ein konzertiertes Agendasetting und weiß, dass sie mit immer neuen Schlagzeilen auftrumpfen muss, um für eine noch breitere rechte Klientel wählbar zu werden.
Mitten drin im Online-Hass
Wenn die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch bei Twitter über »barbarische, muslimische, gruppenvergewaltigende Männerhorden« schwadroniert oder ihr Fraktionskollege Jens Maier den Künstler Noah Becker einen »kleinen Halbneger« nennt, dann ist dies gezielte rassistische Hetze. Doch es wird noch deutlicher. Seit Juni 2017 sind mindestens sechs Facebook- und Whatsappgruppen aufgeflogen, in denen extrem rechte und rassistische bis offen volksverhetzende und neonazistische Inhalte zirkulieren. Sie heißen »Unser Deutschland patriotisch & frei«, »Die Patrioten«, »AfD Spass – neuer Versuch« oder »Integrativ-Konservativ«. Hier bricht sich die Hetze freie Bahn. So wurden Hakenkreuz-Bilder gepostet oder die im KZ-Bergen Belsen ermordete Anne Frank verunglimpft und in einer Fotomontage auf einem Pizzakarton retuschiert, mit der Überschrift: »Die Ofenfrische«. Zu PolitikerInnen heißt es »Weg mit dem Dreck« und über Flüchtlinge: »Alles vergasen.« Die Partnerin eines dunkelhäutigen Mannes wird als »Negernutte« und »Verräterin der weißen Rasse« beleidigt. Andere teilen das Foto einer Ratte mit der Überschrift: »Ratten gibt es nicht nur in der Kanalisation. Sie sind mitten unter uns.« Auf dem Bild einer SS-Mütze steht: »Liebe Flüchtlinge, an diesen Mützen erkennen Sie Ihren Sachbearbeiter.« AfD-Politiker Guido Reil (s. drr Nr. 171) schreibt, die AfD müsse »national + sozialistisch« werden. »Deutschland den Deutschen« heißt es vom sachsen-anhaltischen Landtagsabgeordneten André Poggenburg und ein AfD-Mitglied aus Halberstadt kommentiert: »Vorwärts Patrioten – Deutschland über alles.« Auch andere Abgeordnete der AfD wie Stephan Brandner, Stephan Protschka, Dirk Spaniel, Stefan Keuter, Norbert Kleinwächter und Martin Sichert waren in diesen Online-Gruppen mit von der Partie, diese Tatsache können alle »Die Maus ist verrutscht«- oder »Der Mitarbeiter war’s«-Ausreden nicht kaschieren. Mindestens 23 Bundestagsabgeordnete fanden sich bei »Unser Deutschland patriotisch & frei« wieder, also ein Viertel der gesamten AfD-Fraktion. Der Administrator der Facebook-Gruppe Carsten Spindler ist selbst Parteimitglied. Bei »Die Patrioten« waren es 15 AfD-Abgeordnete aus dem Bundestag und 33 aus den Landtagen.
Anführer auf der Straße
Nicht nur Online, sondern ganz real auf der Straße ist die Partei von RassistInnen und NeofaschistInnen durchsetzt und gibt ihnen Raum. Im Lichte von PEGIDA in Dresden und des Leipziger Ablegers »Legida« begann die AfD schon im September 2015 in Erfurt mit Aufmärschen gegen die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen. Unter den teilweise mehreren tausend TeilnehmerInnen waren rechte Hooligans und Mitglieder der »Identitären Bewegung« (IB), auch Fahnen der mutmaßlich rechtsterroristischen »Europäischen Aktion« waren zu sehen und NPD-Flugblätter wurden verteilt. Björn Höcke, der schon 2010 beim Neonaziaufmarsch in Dresden dabei war, am 14. Mai 2018 bei PEGIDA in Dresden als Redner auftrat und mehrfach die Sprache von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels adaptierte, rief ihnen zu: »Erfurt ist schön deutsch und Erfurt soll schön deutsch bleiben.« Nach der Kundgebung griffen 40 Neonazis und Hooligans eine Gruppe GegendemonstrantInnen brutal an.
Als nächste Stadt folgte Cottbus (Brandenburg). Seit Sommer 2017 mobilisierte der Verein »Zukunft Heimat« über Wochen zu Aufmärschen, an denen Mitglieder von PEGIDA und der IB, Neonazis aller Couleur und die AfD teilnahmen. Mehrere Parteimitglieder und Abgeordnete traten hier als Redner auf, darunter Andreas Kalbitz, der Fraktionsvorsitzender im Landtag ist und Kontakte zur verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) hatte. Am 13. Juni 2017 wurden dann GegendemonstrantInnen zusammengeschlagen und am 30. Januar 2018 JournalistInnen attackiert (s. drr Nr. 169).
In Westdeutschland sattelt die AfD vor allem in der rheinland-pfälzischen Kleinstadt Kandel und Umgebung auf die rechte Straßenmobilisierung auf. Was mit einer kleinen Kundgebung der NPD begann, die den gewaltsamen Tod einer 15-Jährigen im Dezember rassistisch instrumentalisieren wollte, entwickelt sich seither zu einem monatlichen Aufmarsch. Am 3. März kamen 4.000 Menschen, die einen Querschnitt der extrem rechten Szene bildeten, von der AfD und IB über »Der III. Weg« und HoGeSa bis hin zur selbsternannten Bürgerwehr »Soldiers of Odin« (S.O.O.) und »Reichsbürgern«. Anwesend waren unter anderem die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst sowie der »Junge Alternative«-Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Damian Lohr, der an der Spitze des IB-Blocks lief. Aus der Demonstration heraus kam es vor dem Haus eines Antifaschisten zu einem gezielten Angriff von Neonazis. Filmaufnahmen zeigen, wie sie eine Polizeikette durchbrechen und auf GegendemonstrantInnen einschlagen und -treten.
Seit März dieses Jahres veranstaltet die AfD zudem in Rostock monatliche Aufmärsche, die sich zum Kristallisationspunkt der extremen Rechten entwickeln. Am 14. Mai waren unter den 450 TeilnehmerInnen die Hooligan-Gruppierung »Nordische Wut«, die Kameradschaft »Nationale Sozialisten Rostock« und die IB. Wie schon bei einer AfD-Demonstration im Oktober 2015 in der Hansestadt kam es hierbei zu Ausschreitungen. Der IB-Vorsitzende Daniel Fiß und andere Neonazis versuchten einen Pressefotografen anzugreifen, was die Polizei nur knapp verhinderte.
Ähnlich ‹braun› gemischt war die angekündigte AfD-Großdemonstration am 27. Mai 2018 in Berlin. Unter den letztlich knapp 5.000 TeilnehmerInnen befanden sich wieder AnhängerInnen von IB, S.O.O. und PEGIDA. Ein Video dokumentiert, wie TeilnehmerInnen »Merkel hängen« skandieren und Journalisten mit dem Satz »Die Zecken werden irgendwann mal mit der Klatsche erschlagen« bedrohen.
Nationalrevolutionäre Phantasien
Weitere Vorfälle ereigneten sich am 1. Mai 2018 in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt), wo auf einer AfD-Demonstration neben dem Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Oliver Kirchner, dem Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann und dem IB-Verbindungsmann im sachsen-anhaltischen Landtag, Hans-Thomas Tillschneider, auch der »Thügida«-Kader Alexander Kurth und weitere Neonazis mitmarschierten. Als die Wegstrecke blockiert wurde, kam es zu Rufen wie »Die Zecken hier nieder machen« und zu Morddrohungen gegen JournalistInnen. In Mödlareuth an der bayerisch-thüringischen Grenze stachelte Höcke am 17. Juni 2018 die KundgebungsteilnehmerInnen auf, den Gegenprotest zu stürmen, da ihm dieser zu laut war. »Ich gebe Ihnen fünf Minuten Zeit«, rief er von der Bühne, woraufhin seine AnhängerInnen auf die AfD-GegnerInnen zuliefen, die ihre Kundgebung dann aufgrund der Bedrohung abbrachen. Am Samstag darauf attackierten Gäste des »Kyffhäusertreffens« vom völkisch-rassistischen AfD-»Flügel« in Burgscheidungen in Sachsen-Anhalt mehrere JournalistInnen, beschädigten eine Kamera, riefen »Ihr Dreckschweine, wir kriegen euch!« und machten eine Enthauptungsgeste. Eine deutsch-türkische Pressevertreterin wurde am 7. Juli 2018 in Kornwestheim beschimpft und in den Nacken geschlagen. In Hanau traf es einen DGB-Gewerkschafter, der am 20. Juli 2018 von zwei Parteianhängern bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt wurde.
Die Meldungen über rechte und rassistische Gewalt im Umfeld der Rechtspartei nehmen zu und stehen im Verhältnis zur verbalen Radikalisierung in den Parlamenten und im Internet. Wenn Höcke meint, die Zeit des Redens sei vorbei und sagt »Wir müssen auf die Straße gehen, wir müssen das Recht des Souveräns in die eigene Hand nehmen«, dann spiegelt dies die nationalrevolutionären Großmachtphantasien wieder. Die AfD wähnt sich selbst als nationale Avantgarde einer neofaschistischen Bewegung. In dieser Rolle ist sie nicht nur der parlamentarische Arm einer organisierten Rechten, sondern paktiert immer offener mit militanten AnhängerInnen der rechten Szene.
Auch in der Ausgabe 174: Andreas Speit zur #Gesellschaft
»Wir sind keine Nazis«